Maggie. Bettina Reiter

Maggie - Bettina Reiter


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als Maggie in den Doppeldeckerbus stieg, den sie auch am Sonntag als Verkehrsmittel nutzte. Bis zum Abend hatte sie die legendäre Half Penny Bridge gesehen, das imposante Dublin Castle in der Altstadt, das klassizistische Costume House in den Dublin Docklands, die Molly Malone Statue und das Famine Monument. Berührende Bronzestatuen, die verhärmt und ausgemergelt an Irlands große Hungersnot erinnern sollten.

      Nach all den Eindrücken wollte Maggie das erlebnisreiche Wochenende mit einem Spaziergang am Hafen ausklingen lassen. Hier herrschte wohltuende Ruhe, obwohl sie einen ähnlichen Trubel wie in den Straßen erwartet hatte. Aber sie stand beinahe alleine am Quay und schlenderte an der Uferpromenade entlang. Begleitet vom Meer, das mit dem blassrosa Horizont verschmolz. Der Geruch der salzigen See umfing sie wie eine zärtliche Umarmung aus der Heimat. Kein Haus, nichts versperrte die Sicht auf diese unendliche Weite, die ihr Herz erfüllte. Die es durchatmen ließ und an den Ketten rüttelte, die ihre Brust umschlossen. Aber noch war Maggie nicht bereit, sich von der Vergangenheit zu lösen. Ihr Gesicht dem Neuen zuzuwenden. Die Zukunft machte ihr mehr Angst, als das Altvertraute. Trotz der Qualen. Dennoch, sie musste eine Entscheidung treffen.

      Kurzerhand setzte sich Maggie auf die Steinmauer und zwang sich, an die Citizen-Bank zu denken. An Grace und ihre Warnung. Nach wie vor fühlte sie sich hin und her gerissen. Im Grunde hatte diese Iris vielleicht das richtige Gespür gehabt, indem sie ihr unmissverständlich zu verstehen gab, nicht in diese Welt zu passen. In eine Welt, die düster vor Maggie lag, und als teile die Natur ihre Gedanken, verdunkelte sich auch der Horizont allmählich. Mit ihm der Ozean, als wäre schwarze Tinte ausgelaufen. Sehnsüchtig schaute Maggie in den Himmel. Einige Sterne funkelten bereits und unaufhaltsam verwandelte sich die Stadt in ein Lichtermeer, das die See glitzern ließ wie schillernden Tüllstoff.

      Ob der Spiegel von Lyonesse bis hierher leuchten konnte? Nein, den Sagen und Legenden war sie entwachsen, diese Schuhe passten ihr nicht mehr. Es gab keine Wunder. Nur die harte Realität und bittere Gründe, welche sie aus Redruth fortgetrieben hatten. Unter anderem Hanks Vorwürfe. Er und Polly waren sicher froh, dass sie Cornwall den Rücken kehrte. Auch wenn sie die Heimat mit jeder Stunde mehr vermisste.

      Wäre alles anders gekommen, wenn sie Alec nicht gekannt hätte?

       Maggie erschrak über diesen Gedanken, der plötzlich in ihr war. Doch niemand hörte ihn, um sie zu verurteilen, und da diese Tür geöffnet war, ließ sie sich nicht mehr schließen. Darum fragte sie sich im nächsten Moment, ob sie sich unter diesen Voraussetzungen auf Finley eingelassen hätte. Ihr Blick schweifte zu den Lichtern ab, mit denen die Strömung spielte. „Ja, das hätte ich“, wisperte sie und träumte sich zum Cottage zurück. In Finleys Arme, und plötzlich wusste sie, was sie tun wollte. Was stärker wog, als alles andere. Schon einmal hatte sie eine große Liebe verloren, das sollte ihr kein weiteres Mal passieren. Alec würde es verstehen. Nein, das hatte er längst getan. Darum durfte sie nicht den Fehler begehen und sich selbst um dieses Glück bringen. Ein Glück, dem sie aufgrund ihres Kummers, den vielen Anfeindungen und Intrigen nicht getraut hatte. Insbesondere hatte die Angst überwogen, erneut alleine zurückzubleiben.

      Doch in diesen Minuten vor dem Cottage hatte Finley ihr sein Herz zu Füßen gelegt. Aufrichtigkeit hatte in seinen Augen gestanden. Sogar Verzweiflung. Mit derselben war er schließlich gegangen. Weil sie verlernt hatte, anderen zu vertrauen. Mitunter hilft uns nur die Betrachtung aus großer Distanz, um wieder klar sehen zu können und Ängste zu überwinden.

      „Danke, Randall“, sagte Maggie in die Stille hinein und atmete tief durch. Mit dem Gefühl, als wären die Ketten endlich gerissen, und erfüllt von der Erkenntnis, dass sie keine Chance in der Citizen-Bank wollte, sondern eine von Finley. Weil sie wusste, dass sie es irgendwann zutiefst bereuen würde.

      Aufgeregt holte Maggie das Handy aus der Innentasche ihrer Jeansjacke und schaltete es ein. Es dauerte, bis sich dank der mobilen Daten die Google-Maske geöffnet hatte. Ungeduldig tippte sie Finleys Namen sowie den Zusatz Berlin ein. Da! Ehe sie es sich anders überlegen konnte, aktivierte sie die Festnetznummer. Ein Handy war nicht eingetragen.

      Als es läutete, klopfte Maggies Herz wie verrückt. Bis sie eine dunkle Frauenstimme vernahm, wohingegen ihre eigene versagte. Wer war die Unbekannte?

      „Hallo? Wer ist denn da?“, wiederholte die Frau, diesmal auf Englisch.

      Maggie brachte weiterhin kein Wort heraus. Andererseits war nicht gesagt, dass es sich tatsächlich um Finleys Anschluss handelte, obwohl sie Zweifel hegte, dass es mehrere Finley McGarrets in Berlin gab. Dennoch nahm sie all ihren Mut zusammen. „Entschuldigung, ich bin auf der Suche nach Doktor Finley McGarret.“

      „Wie bitte?“ Auf einmal kicherte die Frau. „Jetzt lass das doch, Fin, dafür haben wir später genug Zeit.“ Kurz war es still. Dann hörte man ein Geräusch, das nach einem Kuss klang. Längst schlug Maggies Herz nicht mehr fiebrig, sondern dumpf gegen die Brust. „Hör auf, Liebling. Ich kann die Frau kaum verstehen. Also, Miss, was haben Sie gefragt?“

      Das Handy fühlte sich wie glühendes Eisen an. „Nichts, ich habe mich vermutlich verwählt.“

      Die Frau am Ende der Leitung machte einen tiefen Atemzug, als müsse sie sich zur Ruhe zwingen. Scheinbar ging es ihnen ähnlich. „Ich glaube, Sie wissen genau, dass Sie richtig sind“, wurde die Unbekannte plötzlich feindselig, „Fin und ich sind bereits vor seiner Reise nach Cornwall ein Paar gewesen. Aber ich weiß, dass etwas zwischen ihnen war. Für ihn ist das bedeutungslos, somit auch für mich. Also lassen Sie ihn gefälligst in Ruhe, Sie hatten Ihre Chance, Miss. Jetzt ist er mit mir verlobt und wir werden im Sommer heiraten. Darum wagen Sie es nie wieder, bei uns anzu…“

      Maggie unterbrach die Verbindung und starrte tränenblind auf das erleuchtete Display, bis es ausging. Er war verlobt und wollte sogar heiraten! Dabei lag ihre letzte Begegnung nicht einmal einen Monat zurück. Zumal er da bereits mit dieser Frau zusammen gewesen war.

      Sie hatten Ihre Chance. Welche denn? Im Grunde hatte es nie eine gegeben, weil sich seine Worte als schreckliche Lüge herausstellten. Von wegen, er hätte sich nie zuvor geöffnet oder einer Frau seine Liebe gestanden. Jedes Wort, jedes verdammte Wort war gelogen gewesen!

      Oh ja, Finley McGarret war scheinbar ein Meister darin, anderen etwas vorzugaukeln und beherrschte das Lügen bis in den letzten Wesenszug. Beinahe wäre sie darauf hereingefallen. Wie naiv konnte man eigentlich sein? Sie hatte doch von Anfang an gewusst, welche Sorte Mann dieser Mistkerl war. Dazu brauchte sie sich bloß sein Gespräch mit Dex vor Augen führen, das die beiden damals vor dem Dessous-Laden geführt hatten. Einer wie Finley wusste immer, wie er an sein Ziel kam. Gottlob handelte sie dennoch instinktiv richtig, indem sie ihn beim Cottage abblitzen lassen hatte.

      Entschlossen sprang Maggie von der Mauer und wischte sich die Zornestränen aus dem Gesicht. Morgen war ihr erster Arbeitstag. Ab jetzt würde sie nur noch für ihre Karriere leben. Grace hatte recht. Gefühle taten nur weh. Darum durfte sie nie wieder welche zulassen, und wenn jemand andere verletzte, würde sie das ab jetzt tun! Sie hatte keine Lust mehr, ein Opfer zu sein, das vom Leben oder von Menschen wie Finley gebrandmarkt wurde.

      2. Kapitel

Grafik 12

      „Wie war eigentlich die Gala in London?“, erkundigte sich Dex und nippte am Wein, den man in dieser düsteren Kaschemme ausschenkte. Im Tetra Pak! Finley begnügte sich daher mit einem simplen Mineralwasser, wobei man in der abgestandenen Brühe vergeblich nach Kohlensäure suchte. Darum hatte er bislang auf jeglichen Schluck verzichtet. Auch im Hinblick auf Herpes oder irgendwelche Keime, die sich hier bestimmt pudelwohl fühlten.

      „Wir haben eine Menge Geld für die Kinderkrebs-Stiftung gesammelt“, konzentrierte sich Finley auf Erfreulicheres und spürte gleichzeitig den allzu bekannten Stich im Herzen. „Allerdings überlässt mir Mister Hall mit jedem Jahr mehr Aufgaben. Wenigstens zeigt er sich in Sachen Spendenfreude von seiner großzügigen Seite. Nächstes Jahr möchte er übrigens ein zweitägiges Programm für


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