Maggie. Bettina Reiter

Maggie - Bettina Reiter


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In dieser unscheinbaren Kiste, über die sie den Deckel geschoben hatte wie über ihre Vergangenheit.

      Als Minnie Maggie vorwarf, ihrer Mom gegenüber undankbar zu sein, brach sie jeglichen Kontakt mit ihr ab. Danach ging sie längere Zeit nicht ans Handy, wenn ihre Mutter anrief. Bis sie es irgendwann doch tat. Ein Wort ergab das andere, denn Maggie machte ihr bittere Vorwürfe und fühlte sich missverstanden. Es war schließlich ihre Sache, ob sie nach Cornwall reisen wollte oder nicht. Zumal die Arbeit vorging. Das sah ihre Mom letztlich ein. Allerdings wurden die Abstände bis zum nächsten Telefonat immer größer. Wie die Besuche ihrer Mutter.

      Bald gehörte Cornwall zu einer schemenhaften Erinnerung, als hätte Maggie vor langer Zeit ein Buch gelesen, an dessen Inhalt sie sich nur noch bruchstückhaft erinnern konnte. Umso mehr konzentrierte sie sich auf ihr Ziel, irgendwann in Graces Vorzimmer zu sitzen, und konkurrierte weiterhin mit Humphrey um deren Gunst. Allerdings fragte sie sich oft, warum er in dem Unternehmen tätig war, oder weshalb Grace ihn beschäftigte. Sie waren wie Hund und Katze.

      Mit der Zeit wurde er sogar fettleibig, als würde er jeglichen Frust in sich hineinfressen. Iris blickte ihn oft sorgenvoll an, die nach wie vor ständig mit ihm zusammenklebte. Maggie hingegen erklomm davon unberührt die Karriereleiter. Mit jedem Schritt fiel es ihr leichter, harte Entscheidungen zu fällen, Personal auf die Straße zu setzen und immun gegen Tränen zu sein. Wer keine Leistung brachte, wurde gefeuert. So einfach war das.

      Freundlichkeiten kosteten ebenfalls Zeit, und Zeit wiederum Geld. Das sagte sie irgendwann auch ihrem Fahrer Alfonso, nachdem er anfangs stets ein paar freundliche Worte an sie gerichtet hatte. Er durfte sie grüßen, ihr die Tür der Limousine öffnen und das war’s.

      Die einzige Person, die Platz in ihrem Leben hatte, war Grace. Manchmal begleitete Maggie sie in die Oper, zu Geschäftsessen oder langweiligen Partys, bei denen oft Aktionäre anwesend waren. Unter ihnen Konrad Dough, der Maggie ziemliche Avancen machte. Sicher, der Mann war nicht unattraktiv, aber noch fühlte sie sich nicht einsam genug, um sich auf ihn oder einen anderen Verehrer einzulassen. Dem ungeachtet lernte Maggie weiterhin unablässig von Grace, und als Humphrey an einem kalten Oktobermorgen zweitausendsechzehn einem Herzinfarkt erlag, war sie ebenfalls an der Seite ihrer Mentorin. Ohne jegliches Gefühl schaute sie auf das Grab und dachte ähnlich emotionslos an St. Agnes. Eine Stunde nach dem Begräbnis flog sie mit Grace nach Athen. Die Geschäfte kannten keinen Tod und Maggie war endgültig in der Citizen-Bank angekommen, die ihr vertrauter war, als die Welt da draußen.

      „Sie wollen mich kündigen?“ Entsetzt sank Iris auf den Stuhl vor Maggies Schreibtisch. Regen peitschte gegen die Fenster und wusch den Staub vom Glas.

      „Habe ich gesagt, dass Sie sich setzen dürfen?“

      Wie von der Tarantel gestochen schoss Iris hoch. „Ich habe nur noch wenige Jahre bis zur Pensionierung. In meinem Alter werde ich keinen Job mehr finden und wie soll ich die Hypothek für mein Haus abbezahlen? Noch dazu habe ich ein Kind, das ich unterstützen muss.“ Nie zuvor hatte Maggie sie so aufgelöst gesehen. Die Frau, deren Fürsprecher tot war. Ohne ihn war es ein Leichtes, Iris einige Fehler anzudichten, die eine Kündigung rechtfertigten. Zu lange hatte Maggie auf die Gelegenheit gewartet, eine weitere Feindin loszuwerden.

      „Das interessiert mich einen feuchten Kehricht.“

      Iris betrachtete sie mit einem beinahe mitleidigen Blick. „Was ist bloß aus dem jungen Mädchen geworden, das einst so unschuldig vor mir stand?“

      „Tun Sie nicht so, als hätte Sie das beeindruckt. Ich war Ihnen nur einen Rauswurf wert.“

      „Was Sie mir jetzt heimzahlen möchten?“ Iris warf einen Blick zu Graces leerem Büro.

      „Mrs. Lynch wird Ihnen nicht helfen, falls Sie das hoffen. Ich habe bereits mit ihr gesprochen. Fehler am laufenden Band sind für unser Unternehmen untragbar. Von den Beschwerden über Ihre Unfreundlichkeit ganz zu schweigen, wovon ich selbst ein Lied singen könnte.“

      „Ich handle exakt nach Anweisung. Darum wissen Sie genau, dass ich mir nichts vorzuwerfen habe. In keinerlei Hinsicht.“

      „So, so. Weiß ich das?“ Maggie lehnte sich im Stuhl zurück und genoss den Moment. Das Gefühl, alles erreicht zu haben und alles erreichen zu können, denn ihr Traum hatte sich erfüllt. Sie saß in Graces Vorzimmer, und jetzt wollte sie an die Spitze der Bank. Wie ein Bergsteiger, der das Gipfelkreuz vor Augen hatte. „Ihre Verschwiegenheitspflicht endet übrigens nicht mit der Kündigung. Sollten Sie zum Plaudern neigen, mache ich Sie fertig, haben Sie mich verstanden?“

      „Tun Sie das nicht bereits jetzt?“ Iris lachte verächtlich. „Wussten Sie eigentlich, dass Humphrey Ihretwegen gelitten hat? Nein, wohl eher nicht. Sie sind zu sehr damit beschäftigt, seiner Mutter in den Hintern zu kriechen, als dass Sie noch irgendetwas um sich herum registrieren.“ Sie machte eine angewiderte Miene. „Der arme Bursche musste in absoluter Kälte aufwachsen, da Mrs. Lynch ihn als ihren größten Fehler betrachtete. Er mag kalt gewirkt haben, in Wahrheit sehnte er sich nach Liebe und hatte ein gutes Herz.“

      „Ein bisschen makaber, finden Sie nicht? Letztendlich starb er daran.“

      „Ja, weil ihm das Herz gebrochen wurde. Wieder und wieder. Aber was rede ich mit einer völlig Unbeteiligten. Humphreys Mutter scheint in Ihnen gefunden zu haben, wonach sie bei ihm vergeblich suchte. Einen Menschen, den sie völlig von sich abhängig machen kann. Und Sie tun ihr auch noch den Gefallen.“

      „Grace nannte Humphrey eine Wanze. Ich denke, das sagt alles“, blieb Maggie äußerlich gelassen, obwohl dieses Gespräch eine unangenehme Wendung genommen hatte. Sie war bestimmt keine Marionette! „Und im Übrigen wäre es für Grace sicherlich interessant, wie Sie über sie reden. Allein das ist Grund genug, Sie zu feuern und jetzt holen Sie sich gefälligst Ihre Papiere aus dem Personalbüro. Danach will ich Sie nie mehr sehen. Sollten Sie dennoch einen Fuß in unsere Bank setzen, wird Sie der Sicherheitsdienst hinauswerfen.“ Maggie lächelte spöttisch. „Sie wissen ja, hier laufen die Uhren anders. Vor allem in einem renommierten Haus wie dem unseren, in dem man ohne Termin nicht einmal bis zum Lift kommt.“

      „Eines Tages werden Sie in den Spiegel schauen und das alles bitter bereuen“, stieß Iris aus. „Womit ich nicht meine Kündigung meine, sondern den eiskalten Menschen, der vor mir sitzt.“ Sie machte kehrt und eilte aus dem Büro. Verfolgt von Maggies Lachen, die selbst hörte, dass es unecht klang. Doch dann widmete sie sich ihrer Arbeit und fünf Minuten später hatte sie Iris vergessen, da ihre Mom anrief und ihr unter anderem erzählte, dass sich Theresa von Jerry scheiden lassen wollte, weil sie hinter seinen One-Night-Stand mit Lydia gekommen war.

      Was für ein wunderbarer Abschluss dieses Tages!

      ♥♥♥

      Finley verließ das Büro von Rechtsanwalt Dr. Fuchs, welcher der Fakultät beratend zur Seite stand. Einer der Labor-Mitarbeiter hatte Mist gebaut und nun drohte ihnen eine Anzeige. Laut dem Anwalt mussten sie allerdings wenig befürchten, was ihn beruhigte.

      „Alles erledigt?“, erkundigte sich die aparte Sekretärin lächelnd, die er heute zum ersten Mal gesehen hatte. Eine hübsche Frau mit schulterlangem blondem Haar. Tolle Figur, gepflegtes Äußeres, kein Ehering.

      „Soweit ja.“ Finley blieb vor ihrem Schreibtisch stehen. Aufgrund der guten Nachricht war er zwar in Flirtlaune, doch als er sich die letzten Pleiten mit diversen Frauen vor Augen führte, verging ihm die Lust. Sicher, es sprach nichts gegen einen One-Night-Stand, aber diese Frau war keine von der billigen Sorte. Das sagte ihm sein Instinkt. „Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag“, verabschiedete er sich und eilte aus dem Büro.

      Überraschenderweise rief die Sekretärin abends an und fragte ihn nach einem Date. Seine Handynummer hatte sie vermutlich dem Akt entnommen. Aber wie auch immer, ihr Mut imponierte Finley, dennoch schob er Arbeit vor. Dem ungeachtet sprachen sie eine Weile miteinander und so erfuhr er, dass sie Katrin Harrison hieß, geschieden und kinderlos war.

      Am nächsten Tag erhielt Finley ein altmodisches Telegramm. Darin bat sie ihn, um achtzehn Uhr ins Hotel Crystell zu kommen, wo sie gerne mit ihm essen wollte. Warum eigentlich


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