Maggie. Bettina Reiter

Maggie - Bettina Reiter


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      Mechanisch griff Maggie nach dem Taschentuch und blickte zur Frau, die sich wie selbstverständlich neben sie setzte und die langen Beine übereinanderschlug. Ihre braunen Lederstiefel glänzten wie schimmernde Kastanien, waren bestimmt teuer und keine zwei Tage alt. Zum beigen Tweed-Rock trug sie eine cremefarbene Seidenbluse und auch das streng wirkende Gesicht schien sie sich einiges kosten zu lassen, denn es war unnatürlich straff. Im Gegensatz zu den Händen und dem Hals.

      „Danke.“ Maggie wischte sich mit dem Taschentuch über die Augen und schnäuzte sich dann ausgiebig die Nase. Ein aufdringlicher Moschusduft entströmte dem Stoffstück, in das hellblaue Initialen eingestickt waren. GR.

      „Bevor Sie auf dumme Gedanken kommen: Behalten Sie den Fetzen.“

      Maggie brachte nur ein Nicken zustande und verstaute das Tuch in den Tiefen ihrer Handtasche. Als ihr Blick auf die Papiere fiel, sammelten sich erneut Tränen in ihren Augen.

      „Was bringt Sie derart aus der Fassung?“ Erwartungsvoll schaute die Unbekannte sie an. Maggie fühlte sich überrumpelt. Sie konnte doch keiner Wildfremden ihr Leid klagen. Andererseits würden sie sich nie wiedersehen und im Augenblick war niemand anders da. „Ich sehe schon“, fuhr die Frau fort und deutete ein Lächeln an. Mehr war bei der Spannkraft ihrer Haut vermutlich nicht drin. „Sie vertrauen mir nicht.“

      „Wundert Sie das? Immerhin sind wir uns erst vor einer Minute begegnet.“

      „Trotzdem heulen Sie mir die Ohren voll, als wären wir miteinander aufgewachsen. Glauben Sie mir, ich hätte weitaus Besseres zu tun, statt mich mit Ihnen zu unterhalten.“ Sie schaute sich auf die rotlackierten Fingernägel, als müsse sie ihre herablassende Aussage unterstreichen, was überflüssig war. Mochte Maggie vom Land sein, dämlich war sie deswegen längst nicht!

      „Haben Sie sich deshalb zu mir gesetzt?“, erkundigte sich Maggie pampig.

      „Eigentlich saß ich ein paar Bänke weiter“, gab die Frau bereitwillig Auskunft. Der Dutt unterstrich ihr unterkühltes Äußeres. „Unter uns gesagt ging mir Ihr Heulen extrem auf die Nerven. Irgendwie musste ich Sie stoppen. Doch seien Sie froh, dass ich nur Taschentücher dabeihabe und kein Messer.“

      „Wenigstens haben Sie Humor.“ Das mit dem Messer war sicher als Witz gemeint.

      Eine Kinderschar, gefolgt von zwei Collies, sauste lachend zum Brunnen, den drei Frauen-Skulpturen schmückten. Sehnsüchtig blickte Maggie den Kindern hinterher.

      „Die Nächsten, die einem jeglichen Nerv töten“, regte sich die Unbekannte auf. „Mit kleinen Menschen kann ich am wenigsten anfangen. Sie sind unreif und frech. Ich könnte Psychothriller über mein Mutterdasein schreiben.“

      „Sie sollten dankbar sein, dass Sie überhaupt Kinder haben“, sagte Maggie bitter. Sie selbst trauerte um ihren Sohn und neben ihr saß eine Frau, die scheinbar ihre Kinder verwünschte. Diese Welt strotzte wirklich vor Ungerechtigkeit.

      „Ich habe nur einen Sohn und der reicht für drei Leben.“ Sie machte das Kreuzzeichen. Die unterschiedlich großen Steine auf ihren zahlreichen Ringen blitzten auf. Wenn der Schmuck echt war, musste die Frau nicht reich, sondern schwerreich sein. „Humphreys Zeugung erfolgte in einer schwachen Minute, die sogar eine Frau wie ich ab und zu hat. Gegen die paar Sekunden Freude war Humpies Geburt jedoch wie stundenlange Folter.“ Humpie? War das ein Kosename oder eine Beleidigung? „Ihn aufzuziehen war ebenfalls kein Vergnügen. Tja, mittlerweile hat er eine eigene Wohnung und ich bin die Wanze los.“

      „Sind Sie immer so offen?“

      Ein konsternierter Blick streifte Maggie. „Sie haben sich ja auch bei mir ausgeheult.“

      „Eigentlich habe ich kaum etwas gesagt.“

      Die Frau stöhnte unwillig. „Okay, dann schießen Sie los.“

      „Lassen Sie es gut sein. Offensichtlich haben Sie Ihre eigenen Sorgen.“

      „In der Tat, aber mein Chauffeur holt mich erst in einer Stunde ab. Bis dahin kann ich mir genauso gut Ihr Gefasel anhören.“

      „Ein eigener Chauffeur …“ Maggie hörte selbst, wie sarkastisch sie klang. „Scheint so, als wären hier alle dem äußeren Schein verfallen.“

      „Nur die, die es sich leisten können. So, wie ich.“

      Schweigen entstand. Kein peinliches und keines, bei dem man fieberhaft überlegte, was man als Nächstes sagen könnte. Vielmehr atmete Maggie durch. Spürte die kalte Luft auf ihrer Haut. Den Wind, der durch ihre Kleiderschichten drang, und plötzlich sprudelte alles aus ihr heraus. Die ganze verdammte Flugzeugladung an Kummer, Problemen, Sorgen und Nöten, die sie aus Cornwall mitgenommen hatte. Nichts sparte sie aus. Weder das Aufwachsen mit Alec, dessen Tod, den schmerzvollen Verlust ihres Sohnes, noch die Sache mit Finley und sogar die Pleite mit der Bank schilderte sie in allen Einzelheiten.

      „Nun“, meinte die Unbekannte, nachdem Maggie geendet hatte, „über die Liebe, kleine Monster und den ganzen Kram kann ich nichts sagen, das haben Sie ja mitgekriegt. Darum sollten Sie in dieser Hinsicht kein Mitleid von mir erwarten. Bei der Sache mit der Bank ebenfalls nicht. Statt zu desertieren, müssen Sie Hartnäckigkeit beweisen. Wenn ich beim geringsten Widerstand aufgegeben hätte, wäre ich nicht eine der reichsten Frauen Dublins. Etwas, das ich alleine geschafft habe. Ohne, dass ich ein paar millionenschwere Ehemänner erfolgreich in die Kiste verfrachtet habe. Die Zauberworte heißen Disziplin und Härte. Nehmen Sie Ihren Mut zusammen und gehen Sie noch einmal in die Bank.“

      „Haben Sie mir nicht zugehört? Die Frau lässt mich hochkant hinauswerfen.“

      „Dasselbe würde ich ebenfalls tun. Sie machen nicht gerade den Eindruck, als wäre Ihr Platz in der obersten Etage. Darum rate ich Ihnen, sich einige schicke Kostüme zu kaufen und zum Friseur zu gehen. Das wird Ihnen das nötige Selbstbewusstsein geben. Wer etwas erreichen will, muss zuerst investieren. Vor allem in sich selbst. So lautet ein eisernes Gesetz. Und oberflächlich oder nicht, in dieser Welt besteht nur der, der sie in seine Richtung zu drehen weiß.“ Ein wohlwollender Blick ruhte auf Maggie. „Eine Schönheit wie Sie sollte ihr Äußeres unterstreichen, allerdings ist das Erscheinungsbild nicht alles. Man muss sich seiner Fähigkeiten bewusst sein. Eine Schreinerei ist nicht die Citizen-Bank, die im Übrigen Dublins heimliches Wahrzeichen ist. Demzufolge haben Sie sich ganz schön was vorgenommen. Erschwerend kommt hinzu, dass Sie keine Universität besucht geschweige denn ein Examen in der Tasche haben. Alles, was Sie vorweisen können, ist das Lesen von Wirtschaftsblättern. Fühlen Sie sich den Anforderungen wirklich gewachsen?“

      „Jeder fängt klein an. Ich brauche nur eine Chance.“

      „Dann tun Sie, was ich Ihnen geraten habe. Sehen Sie es als Mutprobe an, und jedes Scheitern als den Motor, der Sie antreibt.“ Auf einmal schmunzelte die Frau, was die harten Züge milderte. „Sie erinnern mich sehr an mich selbst. Meine Karriere begann ähnlich. Ich ging auch zweimal in die Höhle des Löwen und war zäh wie Harz. Heute nennt man mich die Eiserne Lady. Übrigens, mein Name ist Grace. Ich weiß, klingt ziemlich sanftmütig, aber davon bin ich weit entfernt. Vielmehr habe ich einen immensen Appetit auf Macht und besitze keine Empathie, sondern schlicht und ergreifend ein Organ namens Herz, dessen einzige Aufgabe darin besteht, jeden Tag die Lache Blut durch meinen verwelkenden Körper zu pumpen. Nur die Harten kommen in den Garten. Die bösen Mädchen kommen überall hin, und ich bin eins davon. Auch mir hat das Leben übel mitgespielt, doch irgendwann schlug ich zurück und nehme mir seitdem, was ich will und wann ich es will.“

      „Wo bleiben die Gefühle, Grace?“

      „Gefühle!“, stieß sie aus und rümpfte die Nase. „Die haben mir nichts gebracht, außer Tränen. Darum wurde ich zur Eisernen Lady, an der alles abprallt.“

      „Klingt nach einem ziemlich leeren Leben.“

      „Ist das Ihre denn erfüllt, meine Liebe?“, monierte Grace.

      „Nein“, musste Maggie eingestehen. „Es ist ebenso leer.“ Unwillkürlich dachte sie an die beiden Männer, die einen großen Einfluss


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