Maggie. Bettina Reiter

Maggie - Bettina Reiter


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sich Dublin vor ihr aus. Die Dämmerung zog bereits durch die Straßen, wanderte über die zahlreichen Brücken und verdunkelte die Liffey. Der Fluss zog eine natürliche Grenze zwischen dem Nord- und dem Südteil der Stadt, wobei letzterer als die vornehmere Gegend galt.

      Dort wollte Maggie hin. Eines Tages. Aber noch war das Zukunftsmusik. Zumal sie sich nicht gänzlich vom Kulturschock erholt hatte, trotz ihres Aufenthaltes in London. Sie schien schlichtweg vergessen zu haben, wie eng eine Stadt sein konnte. Unübersichtlich, laut und hektisch. Nichts als Häuser, unzählige Autos und Menschen. Ob sie auf längere Sicht damit zurechtkommen würde?

      „Na toll! Kaum ein paar Tage hier und schon plagen dich Zweifel“, sprach sie zu sich selbst, zog die gelben Vorhänge zu und kroch müde unter den Quilt, den sie mit der kratzigen Bettdecke ausgetauscht hatte. Auf dem Nachttisch stand ein Foto ihrer Eltern im antiken Bilderrahmen des alten McGarret. „Ihr seht so glücklich aus“, flüsterte Maggie und ihr war, als würden ihre Mom und ihr Dad sie anlächeln. Liebevoll und aufmunternd. Ganz so, als wäre ihnen bereits damals klargewesen, dass sie irgendwann genau diese Liebe und Aufmunterung bitter nötig haben würde. Vor allem, da das Ultraschallbild ihres Sohnes an der Nachttischlampe lehnte. Auch Alecs Foto schnitt Maggie ins Herz, das sie in der Oper gemacht hatte.

      Der Rest ihrer persönlichen Sachen passte locker in die erbsengrüne Kommode neben dem Fenster. An zwei Schubladen fehlte der Knauf und die Farbe blätterte ab. Dasselbe galt für den Schrank, das Bett und den Nachttisch. Die Möbel waren uralt, aber für das wenige Geld konnte man keine großen Ansprüche stellen. Immerhin hatte sie ein Dach über dem Kopf.

      Seufzend wanderte Maggies Blick erneut zur Kommode. Wie wenig Platz so viele gelebte Jahre benötigten! Lediglich mit einem Koffer war Sie nach Dublin aufgebrochen, was sie nahe daran brachte, bitter aufzulachen, stattdessen presste sie die Lippen zusammen und knipste die Lampe aus. Kaum, dass sie die Augen schloss, sah sie Alec vor sich. Im Cottage, vor dem prasselnden Kamin. Voller Begehren musterte er ihr Gesicht, zog sie im nächsten Moment an sich und streifte die Träger des Nachthemdes über ihre Schultern. Unendlich sanft glitt sein Mund über ihre Haut, hinterließ ein Prickeln darauf … doch als sie zu ihm hochblickte, schaute sie geradewegs in Finleys Gesicht.

      Erfüllt von Sehnsucht hob Maggie die nassen Lider. Sogar bis Dublin verfolgte sie dieser Mann und wie so oft in den letzten Nächten plagten sie erhebliche Zweifel, ob sie richtig entschieden hatte. Finley klang so ehrlich, als er von Liebe gesprochen hatte, und noch jetzt glaubte sie seine fordernden Lippen auf ihren zu spüren. Aber sie selbst hatte dem ein Ende bereitet. Aus guten Gründen, und je länger sie ihn nicht sehen würde, desto schneller konnte sie ihn vergessen, bis er irgendwann nur noch zu einer vagen Erinnerung gehörte.

      Mit diesem Gedanken fiel Maggie in einen unruhigen Schlaf und wachte am nächsten Morgen wie gerädert auf. Es dauerte eine Weile, bis ihr bewusstwurde, wo sie war und neuerlich zerpflückte sie das Für und Wider ihrer Entscheidung. Um dem keine weitere Nahrung zu geben, verließ sie kurz darauf in ihrem braunen Sommerkleid die Pension. Dank ihrer Mom, die sie finanziell unterstützte, konnte sie sich das Zimmer eine Weile leisten. Trotzdem stand die Wohnungssuche ganz oben auf Maggies Prioritätenliste. Die dafür erforderlichen Papiere sowie jene für die Jobsuche trug sie in der braunen City-Bag stets griffbereit bei sich, um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein.

      Bald befand sich Maggie in der belebten Innenstadt. Menschen eilten an ihr vorbei und beachteten sie nicht weiter. Zu beschäftigt mit sich selbst, drängten sie in Bürokomplexe, riefen nach einem Taxi, erledigten morgendliche Einkäufe, schimpften mit ihren Kindern oder mit dem Obdachlosen vorne an der Ecke, für den auch Maggie nur einen schnellen Blick übrighatte. Zu fasziniert war sie von den Möglichkeiten, die sich hier boten. An manchen Schaufenstern drückte sie sich schier die Nase platt. Überwältigt von den feinen Kleidern, den exquisiten Uhren oder Antiquitäten, die sie sich in hundert Jahren nicht würde leisten können. Dennoch, hieß es nicht: Sag niemals nie?

      Schnurstracks, und mit jeder Menge Hoffnung im Bauch, ging sie zum Kiosk. Dort kaufte sie die Tageszeitung und studierte im gemütlichen Bistro neben der gotischen Kirche die Stellenanzeigen, wie sie es schon in den vergangenen Tagen getan hatte. Sofern sie einen Job als Schulsekretärin, Putzfrau oder Verkäuferin gesucht hätte, wäre sie bereits fündig geworden. Doch wozu hatte sie ihre Ausbildung gemacht und sich all die Jahre am Laufenden gehalten? Sie wollte unbedingt ins Finanzwesen und Dublin war das Mekka schlechthin.

      Seufzend blätterte Maggie um, als ihr Blick auf eine Anzeige der Citizen-Privatbank fiel. Sofort machte ihr Herz einen Sprung. Fügung? Schicksal? Jedenfalls suchte man eine Direktions-Assistentin und nach zwei Tassen Kaffee sowie einem Croissant hatte Maggie sogar drei Wohnungen herausgepickt, die sie besichtigen wollte. Zuerst brauchte sie allerdings einen Job. Auch, um ihrer Mom das Geld zurückzuzahlen, die zwar nichts davon wissen wollte, doch Maggie war es wichtig. Ihre Mutter hatte zu hart für die Ersparnisse gearbeitet.

      Nachdem sie bezahlt hatte, fuhr Maggie mit dem Taxi zur Citizen-Bank nahe der O’Connell Street. Ihr rutschte beinahe das Herz in die Hose, als der Fahrer vor dem kolossalen Gebäude hielt. Natürlich hatte sie es auf vielen Bildern gesehen, doch die waren mit der Wirklichkeit nicht zu vergleichen. Das Bankinstitut strahlte Erhabenheit aus, als hätte es jedes Recht, genau hier zu stehen. Gradlinig, ohne jeden Prunk, verströmte es den Duft der oberen Zehntausend. Dagegen fühlte sich Maggie wie ein winziges Staubkorn. Dementsprechend nervös beglich sie die Fahrtkosten, stieg aus und schaute dem Taxi nach, das sich in den Verkehr einfädelte. Dann starrte sie zu den goldenen Lettern über dem Eingang und atmete tief durch, ehe sie mit weichen Knien auf die Glastüren zusteuerte.

      Im Bankhaus wurde jeder Schritt vom edlen Teppich mit den Goldfäden geschluckt. Viele Menschen bevölkerten die Halle unter dem Glaskuppeldach, das den wolkenlosen Himmel ins Innere holte. Ergriffen blieb Maggie nahe einer Säule stehen. Wie schick die Leute angezogen waren, die sich vornehm leise unterhielten, als hätten sie Angst vor dem Widerhall der eigenen Stimme.

      „Kann ich Ihnen helfen, Miss?“ Eine ältere Frau in einem geschmackvollen grünen Kostüm im typischen Chanel-Stil trat lächelnd auf Maggie zu. Ihr silbernes Haar glänzte im hereinfallenden Licht wie das viele Chrom und der Stahl, womit man die Eingangshalle reichlich ausgestattet hatte.

      „Ich komme wegen der Stellenanzeige als Assistentin der Geschäftsführung.“ Hoffentlich merkte die Frau ihre Nervosität nicht.

      Ein konsternierter Blick scannte Maggie in Sekundenschnelle von oben nach unten. „Haben Sie einen Termin?“, erkundigte sich die Frau spitz, deren festgefrorenes Lächeln bröckelte.

      „Nein. Ich dachte, ich komme direkt vorbei und stelle mich vor.“

      „Hören Sie, Miss, es mag auf dem Land en vogue sein, mit der Tür ins Haus zu fallen, wir sind jedoch in Dublin. Hier laufen die Uhren anders. Vor allem in einem renommierten Bankhaus wie dem unseren. Ohne Termin kommen Sie nicht einmal bis zum Lift.“

      „Okay“, zog sich Maggie in ihr Schneckenhaus zurück. Woher wusste die Frau, dass sie vom Land kam? Lag es an ihrer Kleidung? Prüfend schaute Maggie an sich herunter. Sicher, die schwarzen Ballerinas sahen mitgenommen aus, aber sonst … „Könnten Sie einen Termin für mich vereinbaren?“ Hinter der Frau ging ein Mann im schwarzen Nadelstreifenanzug vorbei, der Maggie einen abschätzigen Blick zuwarf.

      „Die Stelle ist bereits vergeben, soweit ich weiß.“ Die Frau log und wollte sie abwimmeln! Das war offensichtlich. „Versuchen Sie woanders Ihr Glück, Miss.“

      Im Nu stand Maggie alleine da und blickte der Frau nach, die vor dem Nadelstreifen-Mann stoppte und sich mit ihm unterhielt. In seiner Gegenwart schien sie ihr Lächeln wiederzufinden, obwohl es eher hämisch als freundlich wirkte. Von den verstohlenen Blicken ganz zu schweigen, die beide in Maggies Richtung warfen. Nichts wie raus hier!

      ♥♥♥

      Eine halbe Stunde später saß Maggie weinend auf einer Parkbank im St. Stephen’s Green. Was hatte sie sich bloß dabei gedacht, für eine Stadt gewappnet zu sein. Ferner für eine Stelle, deren Ansprüche mit der Schreinerei nicht zu vergleichen waren. Entweder war man dafür gemacht oder nicht. Gegen Redruth war Dublin das reinste Haifischbecken.


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