Verlorenend - Fantasy-Epos (Gesamtausgabe). S. G. Felix

Verlorenend - Fantasy-Epos (Gesamtausgabe) - S. G. Felix


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sie aufhören!« Noch mehr Energieblitze ließen ihn zusammenfahren.

      »Bitte, Antilius! Hilf mir! Ich halte das nicht mehr aus!«

      Antilius war kein Sadist. Er war gezwungen, so lange zu warten und untätig zuzusehen. Er durfte jetzt keine Fehler machen. Doch nun war es genug mit der Quälerei. Zunächst wunderte sich Antilius, dass die Späher den Transzendenten so lange quälten, doch dann verstand er.

      Der geschwächte Koros war damit beschäftigt, sich erfolglos gegen die Späher zu wehren. Und die Späher waren voll auf den Transzendenten konzentriert und nahmen Antilius nicht einmal wahr. Dieses kurze Zeitfenster musste er für sich ausnutzen.

      Er gab Gilbert ein Zeichen und rief: »Jetzt!«

      Gilbert holte einen Gegenstand aus einem zerfledderten Beutel.

      Es war der Spiegel. Sein ehemaliges Gefängnis. Er riskierte noch einen kurzen Blick in das unbewohnte Innere und warf den Spiegel Richtung Portal. Ein paar Meter vor dem Kristall landete er mit der Spiegelseite nach oben. Anscheinend landete das Ding immer mit der Spiegelseite nach oben, dachte Antilius.

      Gilbert glaubte nicht, dass es funktionieren würde. Und für wenige Sekunden wurde seine Skepsis erhärtet, weil nichts geschah. Doch dann fuhr ein Strahl aus dem dunkel glühenden Kristall auf den Spiegel herab. Flammen loderten aus dem Glas auf. Und der dunkle Lichtstrahl bohrte mit einem schrillen Geräusch eine Öffnung in den Spiegel. Flächenartige Blitze stießen aus dem Gefängnis hervor. Dann bildete sich ein trichterförmiger Wirbel, der aus dem Spiegel blies.

      Gilbert atmete auf. Es schien entgegen seiner Erwartung zu funktionieren. Antilius' Vermutung war richtig gewesen: Das Portal wirkte wie ein Vergrößerungsglas und hatte die Wirkung des Avioniums aus den Bergen gebündelt und auf den Spiegel übertragen, sodass dieser sich öffnen konnte.

      Die Lichtpunkte der Späher ließen plötzlich von dem Transzendenten ab und flüchteten zurück ins Portal. Sie schienen große Angst vor dem Spiegelgefängnis zu haben. Sie fürchteten, selbst in die Verbannung zu geraten. Die Späher entzogen Koros die Macht der Transzendenz und nahmen sie wieder mit sich. Wie Antilius es vorhergesagt hatte, war Koros für die Macht ungeeignet. Der Plan der Späher und des Flüsternden Buches war gescheitert, so schien es. Die Macht selbst aber war befreit.

      Koros hockte auf allen vieren und rang nach Luft. Er hob seinen Kopf. Er wollte Antilius ins Gesicht sehen. Und Antilius erwiderte seinen Blick und hielt ihm stand. Koros spürte etwas Beunruhigendes in Antilius' Miene.

      »Ich habe dich unterschätzt«, krächzte er.

      Antilius veränderte seinen Gesichtsausdruck nicht. »Falsch. Du unterschätzt mich immer noch«, sagte er und konzentrierte seinen Blick auf den noch offenen Spiegel.

      Koros blinzelte gehetzt auf das flammende Gefängnis.

      Antilius fixierte es weiter.

      Der Spiegel begann zu zittern. Erst ein bisschen und dann heftiger.

      »Verdammt seist du!«, rief der Herrscher, als er begriff, was Antilius vorhatte. »Verdammt seist du!«

      Kurz danach bewegte Antilius den Spiegel allein mit seinen Gedanken. Der Spiegel kroch langsam auf den Herrscher zu, so als würde eine unsichtbare Hand ihn über den Boden schieben.

      Koros war zu geschwächt, um sich zu bewegen, geschweige denn per Telepathie Antilius bekämpfen zu können.

      Schwankend stemmte er sich hoch. Er machte einen lächerlich kurzen Schritt. Und dann umklammerte ihn eine kalte, unsichtbare Hand aus dem Spiegel, die ihn von den Füßen riss und über den Boden in den Spiegel zerrte.

      Antilius verweilte in abwartender Haltung. Er musste damit rechnen, dass Koros sich noch befreien würde und hielt Abstand.

      Zuerst verschwanden die Beine des Nicht-Mehr-Transzendenten hinter der durchlässigen Glasschicht des kleinen Spiegels. Koros krallte seine Finger in die Erde und hinterließ tiefe blutige Furchen.

      Der Kraft, die ihn in das Gefängnis zerrte, war aber gegen jedweden Widerstand immun. Koros schrie vor Schmerzen und Wut. Der Energiewirbel sog ihn unerbittlich in den schmalen Eingang des Spiegels. Weil ein Mensch von Koros’ Statur nie durch den wenige Zentimeter großen Spiegel passen würde, sorgte der Energiewirbel dafür, dass sich beim Übergang von der realen Welt in die des Spiegelgefängnisses die Dimensionen anpassten.

      Jedermann, der sich im Halbkreis um das Portal und den Transzendenten befand, starrte wie gelähmt auf das Geschehen.

      Bis zur Hüfte war Koros bereits in den Spiegel eingetaucht, als er anfing zu weinen.

      Antilius stand starr da und sah zu. Er sah, wie bei Koros die grausame Erkenntnis der Niederlage die Oberhand gewann. Antilius empfand Mitleid. Aber er blieb stumm stehen und sah zu, wie Koros immer weiter im Spiegel verschwand. Denn es musste sein.

      »Du elender Bastard!«, schrie Koros, bevor er gänzlich im Spiegel verschwand.

      Der tosende Energiewirbel, der aus dem Spiegel gespien worden war, erstickte, als auch die letzte Hand von Koros hinter dem Spiegelglas verschwunden war.

      »Du elender Bastard!«, hallte es in der Schlucht wider.

      Gilbert lief vorsichtig zu seinem ehemaligen Gefängnis. Er wollte es mit eigenen Augen sehen.

      Koros lag offenbar bewusstlos auf dem staubigen Holzparkett des kleinen Raumes, in dem Gilbert viele Jahre verbracht hatte.

      Er nickte seinem Meister zu. »Es ist vorbei.«

      »Noch nicht. Sieh doch! Das Portal! Als sich die Späher zurückgezogen haben, ließen sie es offen stehen. Wir müssen es versiegeln«, sagte Antilius energisch.

      »Glaubst du, dass die Späher zurückkommen werden?«

      »Sie haben festgestellt, dass Koros der Falsche war.«

      »Der Falsche?«

      »Koros war nicht geeignet für die Aufgabe, die er als Transzendenter übernehmen sollte. Deshalb entzogen sie ihm wieder seine Macht. Die Späher sind jetzt wieder im Besitz der Macht der Transzendenz. Als der Spiegel sich öffnete, mussten sie in ihre Welt zurück, da sie genauso gut mit hineingezogen hätten werden können. Sie ließen aber das Portal offen, um dem Dunkelträumer noch eine Chance zu geben, in diese Welt überzutreten. Sie hoffen, dass er erwacht ist, als er den Transzendenten gespürt hat und aus eigener Kraft den Übergang schafft, indem er dafür das Portal benutzt. Wir müssen uns beeilen!

      Wo bleibt sie bloß?«

      »Wo bleibt wer?«, fragte Gilbert verdutzt.

      »Er meint mich«, antwortete Tahera. Sie war, so wie die anderen durch einen Spalt gekommen, während Koros in den Spiegel eingesperrt wurde.

      »Na endlich. Ich hatte schon befürchtet, du würdest nicht mehr kommen«, sagte Antilius erleichtert.

      »Das Orakel hat fast keine Kraft mehr gehabt, mich hinüberzuschicken. Es hat sich mit den Largonen völlig verausgabt.«

      »Los jetzt!«, rief Antilius und rannte zum Portal. Tahera folgte ihm.

      »Geht nur. Lasst euch nicht stören«, sagte Gilbert gönnerhaft. Er konnte ab diesem Zeitpunkt nichts mehr tun. Er war total euphorisch ob des sicher geglaubten Sieges. Den letzten Akt, das Portal zu verschließen, hielt er nur noch für eine Formalität.

      Tahera und Antilius positionierten sich an gegenüberliegenden Seiten des rotierenden Kristalls.

      »Denk daran, was ich dir gesagt habe, Antilius: Zunächst müssen wir unsere Gedanken aufeinander abstimmen. Dann werden wir die Drehung des Kristalls unterbinden. Und wenn wir das geschafft haben, schließen wir das Portal und löschen für immer das schwarze Licht. Wenn wir einen Fehler machen und uns nicht richtig auf das Portal konzentrieren, könnte der Kristall explodieren. Wenn das geschehen sollte, wird ein Loch in diese Welt gerissen und wird alles zerstören.«


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