Kullmann und das Lehrersterben. Elke Schwab

Kullmann und das Lehrersterben - Elke Schwab


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      Schnur eilte an dem Zimmer vorbei.

      Andrea und Esther schauten ihm nach.

      Er bremste ab und kehrte zurück, als habe er etwas vergessen.

      »Wo ist Erik?«, fragte er. »Hat er sich allein auf den Weg zu dieser Mirna gemacht?«

      »Nein! Keine Sorge«, beruhigte Andrea sofort. »Er wartet …«

      »Keine Spielchen hinter meinem Rücken«, fiel Schnur der Neuen ins Wort. »Ich habe genug Ärger, weil jemand meinte, schlauer zu sein, als die Polizei erlaubt.«

      »Ich weiß, was mit Bernhard Diez passiert ist«, sagte Andrea. »Und Erik weiß es mit Sicherheit auch. Glaubst du ernsthaft, dass er ohne Umwege den gleichen Fehler wie sein Kollege machen will?«

      Schnur stutze.

      Esther ebenso.

      Andrea war gerade mal seit ein paar Stunden im Dienst, schon gelang es ihr, den Vorgesetzten zu überraschen.

      »Ich will nicht noch einen guten Mann verlieren«, lenkte Schnur ein. »Und ich erwarte, dass ihr meine Anweisungen befolgt und keinen Wettstreit daraus macht, wer effektiver arbeitet.«

      Ohne eine Antwort abzuwarten ging Schnur davon.

      »Ich glaube, der Fehltritt von Bernhard Diez hat Jürgen ganz schön zugesetzt«, erkannte Andrea und schaute Esther dabei an.

      »Ja.« Esther nickte. »Jürgen konnte ihm nicht helfen, weil Forseti mehr Macht hat und die in solchen Fällen auch einsetzt. Vermutlich deshalb.«

      Kapitel 15

      Das Treppenhaus gähnte ihm leer und trostlos entgegen. Der Fahrstuhl war ihm gerade vor der Nase weggeschnappt worden. Also musste Erik zu Fuß in den fünften Stock gelangen. Wieder war ein Tag vergangen, ohne dass er es gewagt hätte, sich bei Anke Deister zu melden. Es war die Unsicherheit, die ihn davon abhielt. Erwartete sie überhaupt einen Anruf von ihm? Dachte sie noch an ihn? Im Grunde genommen könnte auch sie sich bei ihm melden. Das bestätigte seine Zweifel, ob Anke jemals etwas für ihn empfunden hatte. Andererseits jedoch spürte er in aller Deutlichkeit, dass er sie mit jedem Tag, den er tatenlos verstreichen ließ, ein bisschen mehr verlor.

      Anke und ihr wunderbares Kind Lisa.

      Warum wollte es ihm einfach nicht gelingen, diesen Schritt zu machen? Er wusste, wo er sie fand. Doch kaum war der Gedanke ausgedacht, kam der böse Gegenspieler in seinem Kopf, der ihm sagte, dass Anke genauso gut wusste, wo sie ihn fand. Das Handy war eine Erfindung, die große Entfernungen – seien es Kilometer oder Grenzen – überwinden konnte. Und doch stand er vor dem kleinen Mobiltelefon und war unfähig, es zu bedienen.

      Erik spürte die innere Zerrissenheit schon wieder in vollem Ausmaß. Für Jürgen war es klar, dass Anke auf ihn wartete. Aber für Erik sahen die Dinge ganz anders aus. Ihre letzten Gespräche waren mehr als unfreundlich verlaufen – bis sie zu dem Punkt gekommen waren, an dem sie sich gar nichts mehr zu sagen hatten.

      Jede Stufe fiel ihm schwerer. Dabei trieb er Sport – tat alles, um fit zu bleiben. Leider gab es noch kein geeignetes Training für die Seele. Und genau da lag sein Schwachpunkt. Er grübelte viel zu viel und machte sich damit das Leben nur noch schwerer.

      Endlich! Noch ein Treppenabschnitt und er war oben. Vorsorglich nahm er schon mal den Schlüsselbund heraus. Überrascht registrierte er, dass nur noch ein einziger Wohnungsschlüssel daran hing. Hatte er nicht mal zwei davon?

      Plötzlich fühlte er sich heftig aus seinen Gedanken gerissen.

      Auf dem obersten Treppenabsatz – nur zwei Meter von seiner Wohnungstür entfernt – saß Mirna. Die Frau, die er den ganzen Tag ergebnislos gesucht hatte.

      Sie setzte ein Lächeln auf, das in Erik sämtliche Alarmglocken klingeln ließ. Aufreizend erhob sie sich von dem kalten Boden, rieb sich über ihr Hinterteil und streckte dabei Erik ihren gepiercten Bauchnabel entgegen.

      Eriks Blick wanderte über ihren spärlich bekleideten Körper. Ihre prallen Brüste schimmerten durch das helle Oberteil, ihre Jeans war so tief herabgezogen, dass sie den Blick auf das Höschen darunter freigab. Schwarz und provozierend lugte es hervor.

      Erik atmete tief durch, richtete seinen Blick schnell auf ihr Gesicht, räusperte sich und sagte: »Gut, dass du da bist. Dich habe ich nämlich gesucht.«

      »Süß! Und schon hast du mich gefunden«, flötete Mirna. »Was willst du jetzt mit deiner Beute anstellen?«

      »Ich brauche deinen Vor- und Nachnamen und deine Anschrift. Und außerdem bitte ich dich, morgen zur Kriminalpolizeiinspektion zu kommen. Du kannst dir bestimmt denken, warum.«

      »Nein.« Mirna nahm einen Finger in den Mund und begann daran zu lecken. »Willst du mich verhaften?«

      »Nein. Nur Fragen stellen.«

      »Das kannst du haben.« Mirnas Augen strahlten Erik an. »Wir gehen in deine Wohnung und dort kannst du alles über mich erfahren, was du willst. Nichts wird dir verborgen bleiben.«

      »Wir gehen nicht in meine Wohnung.« Erik bemühte sich um Beherrschung. Zu genau hafteten seine Fehlleistungen in Köln in seinem Gedächtnis. Seine Versetzung nach Saarbrücken war nicht nur freiwillig erfolgt, um Abstand zu seiner Familientragödie zu gewinnen. Nein, er hatte es sich selbst verscherzt, war kopflos in jedes Fettnäpfchen hineingestolpert. Sein Arbeitgeber hatte ihm eine zweite Chance gegeben, indem er Erik die Versetzung an einen anderen Ort anbot. Diese Chance wollte er sich nicht verscherzen. Das war eine aufregende Nacht mit einer verführerischen Frau nicht wert. Auch wenn es ihm schwerfiel, sich selbst von diesem vernünftigen Gedanken zu überzeugen.

      »Dann gehen wir in Yanniks Wohnung. Yannik ist nicht zu Hause.«

      »Hast du einen Schlüssel zu seiner Wohnung?«, fragte Erik erstaunt.

      »Klar! Yannik ist ganz verrückt nach mir. Bei ihm muss ich nicht lange betteln, dass er mich rein lässt.«

      »Der Glückliche«, entfuhr es Erik.

      Mirna schaute tief in Eriks bernsteinbraune Augen, so tief, dass Erik sich durchleuchtet fühlte. Er wand sich unter ihrem Blick. Zum Glück sprach sie weiter, womit sie diesen Zauber unbewusst beendete: »Weißt du, Yannik ist für mich nur ein Mittel zum Zweck. Durch ihn kann ich auf der Uni Vorlesungen besuchen, ohne immatrikuliert zu sein.«

      »Wenn das alles ist.« Erik stieß die angehaltene Luft aus.

      »Mein Interesse an Germanistik hat seine Gründe«, tat sie geheimnisvoll.

      Erik hoffte, ihr Interesse galt dem Germanistikprofessor und nicht ihm. Nervös fuhr er sich durch seine blonden Haare. Diese Bewegung ließ Mirna laut auflachen. Blitzschnell ging sie auf ihn zu und strich mit beiden Händen über seinen Kopf. »Du hast dich ganz struppig gemacht«, erklärte sie immer noch kichernd. »Lass mich das machen. Dann siehst du erst richtig wild aus.«

      Erik hielt ihre beiden Handgelenke umklammert. Ihre Haut fühlte sich warm und weich an, ihre filigranen Gelenke verschwanden unter seinen großen Händen. So schnell, wie er zugepackt hatte, so schnell ließ er sie auch wieder los.

      »Dann gib mir wenigstens deinen Personalausweis«, bat er inzwischen weniger entschlossen. »Ich brauche deine Angaben für den Polizeibericht.«

      »Wirst du alles aufschreiben, was du mit mir anstellst?«

      Eriks Gesicht glühte. Er musste zusehen, dass er so schnell wie möglich in seiner kleinen Wohnung verschwand.

      »Deinen Ausweis bitte!«

      »Nimm ihn dir!« Mirna hielt ihm ihre rechte Po-Backe hin.

      Erst jetzt sah Erik, dass das Höschen darunter ein String war.

      »Er ist in meiner linken Po-Tasche«, fügte Mirna überflüssigerweise noch an.

      Erik wandte seinen Blick von ihr ab und sagte in einem besonders


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