Kullmann und das Lehrersterben. Elke Schwab

Kullmann und das Lehrersterben - Elke Schwab


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verschwand plötzlich ohne ein weiteres Wort in der Nachbarwohnung.

      Kapitel 16

      »Wissen Sie, warum die Teufelsburg diesen Namen bekommen hat?« Mit dieser Frage kam Fred Recktenwald an diesem Morgen endlich an den Teil seines Vortrags, der auch den letzten müden Gast aufweckte.

      »Nein!« »Ach!« »Gibt es eine Erklärung für den Namen?«

      Das Interesse war geweckt.

      Zufrieden begann Fred zu zitieren:

      »Boten hatten auf schnaubenden Rossen,

      dem Herrn von Felsberg die Nachricht gebracht:

      Es hat der Herr von Siersburg beschlossen,

      noch eh zu End dieselbige Nacht,

      will er sich mit Euch, sollt’s Euch nicht bangen,

      messen im Zwiekampf vor Wallerfangen,

      und so entscheiden den hässlichen Streit,

      durch den eine Frau euch Brüder entzweit,

      wer im Ritterturnier den andren bezwingt,

      Alice von Forbach als Eheweib erringt.«

      Die Gruppe an diesem Morgen bestand nur aus älteren Damen. Sie waren leicht zu begeistern von Freds Vortrag, was ihn dazu anspornte, weiter vorzutragen:

      »Es riefen die Boten, spornten die Rosse

      Und jagten wieder hinaus aus dem Schlosse.

      Hinterher grollte des Ritters Fluch:

      Vermeldet Graf Siersburg des Felsbergers Kunde,

      ich sein Bruder ruf den Teufel zum Bunde.

      Webt eurem Herrn schon das Leichentuch.«

      Die alten Damen jubelten und klatschten in die Hände.

      Diese Führung wurde für Fred ein Leichtes. Das erleichterte ihn, denn seine Gedanken schweiften an diesem Tag ständig ab. Immer wieder dachte er an Bertram Andernach. In der Zeitung stand immer noch nichts darüber, wie weit die Ermittlungen der Polizei schon waren. Das ärgerte ihn. Diese unnötige Geheimhaltung. Sie schürte seine Nervosität.

      Wie konnte er an Informationen über den Stand der Polizeiermittlungen kommen?

      Die Frage lenkte ihn ständig ab. Seine Nervosität musste er unterdrücken, was ihm nicht leicht fiel. Niemand durfte merken, dass ihn etwas anderes mehr beschäftigte als seine Arbeit.

      Sie stiegen auf den Hauptteil der Burg, wo Fred sein nächstes Kapitel anschlug: »Sie werden sehen, welche traumhafte Lage die Teufelsburg hat. Damals strategisch wertvoll – heute ein romantischer Grund, diesen Ort aufzusuchen. Von hier aus sehen Sie die Kirchtürme von Felsberg und Berus. Sie werden lediglich von den Sendetürmen von Europa I überragt. Über die Hügellandschaft, die sich von Felsberg bis zum Warndt erstreckt, können Sie eine weite Aussicht über das Saartal genießen. Sie reicht bei guter Sicht bis zum Hoxberg in Lebach oder bis zum Weltkulturerbe in Völklingen, zum Schlackenberg in Ensdorf, zum Litermont bei Nalbach.« Fred Reckenwald machte eine Drehung und sprach weiter: »Und hier sehen Sie den Limberg in Wallerfangen, wo die ursprüngliche Burg, die Burg Altfelsberg ihren Standpunkt hatte.«

      Die Begeisterung der Damen wirkte ansteckend. Auch das Wetter spielte mit. Die Sonne stand am azurblauen Himmel. Der Sommer zeigte sich in diesem Jahr von seiner schönsten Seite.

      Das war die Jahreszeit, in der Fred seine Arbeit auf der Teufelsburg am meisten genoss – Tourismusführungen unter freiem Himmel. Im leichten Lüftchen, das auf dieser Anhöhe fast immer wehte, erzählte er den Menschen schauerliche Geschichten. Das klang nach Traumjob. Viele sprachen ihn auch darauf an, dass sie ihn beneideten. Das gab ihm ein gutes Gefühl – das Gefühl, etwas erreicht zu haben.

      Der Abschied war wie so oft voller Versprechungen wiederzukommen. Meistens taten es die Menschen nicht, denn es gab im Saarland noch mehr zu besichtigen, was Fred missfiel. Für ihn war es wichtig, dass das Interesse an der Teufelsburg weiter anstieg. Denn er wollte diesen Job noch lange behalten.

      Er stellte sich auf den Südostturm und schaute dem blauen Bus nach, der die Gruppe der alten Damen die Metzer Straße entlang in Richtung Saarlouis fuhr.

      Eine lustige Gruppe. Fred schmunzelte bei der Erinnerung.

      Nur eine unter ihnen war ihm von Anfang an ein Dorn im Auge gewesen. Und er hatte sich in dieser Frau nicht getäuscht. Eine hagere Frau mit strengem Gesichtsausdruck – fast hätte er sie mit seiner Geschichtslehrerin verwechselt – war am Ende seines Vortrags auf ihn zugekommen, hatte ihn an den Haare gezogen und gemeint, er könnte mal einen Besuch beim Frisör vertragen.

      Fred schüttelte seinen wuscheligen Kopf bei der Erinnerung an diese peinliche Begegnung. Er war stolz auf seine Haare. Obwohl sie schon seit seiner Kinderzeit grau waren, sie wuchsen schnell und ließen ihn wie einen Alt-Hippie aussehen.

      Seufzend kehrte er an das Kassenhäuschen zurück und schaltete das Radio ein. Wenn er Glück hatte, erfuhr er in den Nachrichten etwas Neues über den Mord an Bertram Andernach.

      Kapitel 17

      Leise Verkehrsgeräusche vermischt mit Vogelgezwitscher und warmer Luft drangen durch die geöffneten Fenster in den Sitzungssaal. Viele Polizeibeamte schauten hinaus in das sonnige Wetter. Es fiel ihnen bei diesen warmen Temperaturen schwer, sich auf die die Besprechung zu konzentrieren.

      »Ernst Plebe, der Hausmeister des Max-Planck-Gymnasiums hat uns heute Morgen versetzt.« Damit begann Schnur die Besprechung.

      »Das macht ihn verdächtig«, erkannte Erik sofort.

      »Stimmt.« Jürgen nickte und wandte sich an Esther mit der Frage: »Konntest du eine Phantomzeichnung von dem Mann anfertigen lassen, den die Fahrschüler in der Nacht von Sonntag auf Montag an der Schule gesehen haben?«

      »Nein. Sie haben sein Gesicht nicht gesehen. Er war zu weit weg und es war dunkel.«

      »Könnte es der Hausmeister gewesen sein?«

      »Nein. Tut mir leid. Der Mann, den sie gesehen haben, war groß und schlank.«

      »Mist«, murrte Schnur. »Es wäre auch zu schön gewesen.«

      »Als er durch den Lichtkegel einer Straßenlaterne ging, konnten sie deutlich erkennen, dass der Mann grauhaarig war«, fügte Esther an.

      »Na gut! Ab sofort müssen wir alle schlanken, grauhaarigen Männer verdächtigen.« Schnurs Miene verdüsterte sich. Wie so oft, wenn er nicht weiterwusste, fuhr er sich über sein rasiertes Kinn.

      Amüsiertes Gemurmel entstand. »Ich hätte da einen Hauptverdächtigen: Dieter Forseti.« »Stimmt!« »Der passt haargenau auf die Beschreibung.« »Brauchen wir nur noch das Motiv.«

      »Schön, dass ihr mitdenkt«, mischte sich Schnur lautstark ein. »Aber ich muss euch sagen, dass ihr auf der falschen Spur seid. Ich war gestern beim Gerichtsmediziner. Bertram Andernach starb in der Zeit zwischen Mitternacht und ein Uhr. Zu der Zeit war Forseti in Wiesbaden. Er ist erst am nächsten Morgen ins Saarland zurückgekehrt.«

      Damit brachte Schnur sämtliche Kollegen zum Lachen.

      »Es besteht aber die Möglichkeit, dass der Hausmeister an dem Verbrechen beteiligt war.« Damit übertönte er die Erheiterung der Kollegen. »Die Grausamkeit, mit der das Verbrechen durchgeführt wurde, könnte darauf schließen lassen, dass nicht nur ein Täter am Werk war.« »Und dann wartet der Hausmeister, bis alle Schüler den erhängten Lehrer sehen, bevor er eingreift?«, zweifelte Andrea.

      »Damit könnte er Spuren beseitigt haben, ohne etwas dafür zu tun«, spekulierte Schnur.

      »Für meinen Geschmack sah der Mann am Tag des Leichenfundes viel zu fertig aus«, hielt Erik dagegen.

      »Okay! Das war wohl nicht


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