SAII-RON. Casy Paix
des fremden Reiters vornüber. Das Kind begrub sie dabei halb unter sich. Meine Instinkte übernahmen die Kontrolle und ich duckte mich, so weit es möglich war in das Gras. Vor Entsetzen erkannte ich, wie der Reiter ein zweites Mal mit dem Schwert ausholte und dieses tief in den Rücken der leblosen Frau bohrte. Ich hielt mir eine Hand vor den Mund, um nicht laut aufzuschreien. Auch von meiner Position aus erkannte ich, wie der Tod nach dem Kind griff und es seiner Mutter in ein weiteres Leben folgte.
Bevor der Reiter mich entdecken konnte, änderte ich die Richtung und hielt auf den nördlichsten Teil des Dorfes zu. Ich versuchte so tief wie möglich am Boden entlang zu kriechen und hoffte, dass der fremde Reiter nicht in meine Richtung schauen würde. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis ich mich endlich meinem Ziel näherte. Das Feuer war noch nicht bis hier vorgedrungen und eine kleine Hoffnung keimte in mir auf.
Als ich den Schutz der ersten Hütten erreichte wurde mir jedoch klar, dass ich zu spät kam.
Tote, verstümmelte Menschen lagen vor ihren Türen oder mitten auf dem Weg. Nachbarn, Freunde, egal welchen Alters, alle waren tot. Entsetzliche Wunden entstellten die Körper der Menschen und man sah das Entsetzen, das für immer in ihre Gesichter geschrieben stand. Blut sammelte sich auf den Wegen und bildete kleine Seen.
Bitte, bitte lass keinen dieser Reiter mehr hier sein.
Ich schickte weitere Gebete an die Götter, als ich versuchte nicht in die Blutlachen zu steigen. Vorsichtig bahnte ich mir einen Weg zu der Hütte am Ende der Gasse. Das Atmen wurde immer schwieriger, denn das Feuer kam unaufhaltsam näher.
Ich weiß selbst nicht mehr wie ich es schaffte aber als ich den Türgriff erreichte und herunterdrückte, sammelten sich Tränen der Erleichterung in meinen Augen. Mit Schwung riss ich die Tür auf und verharrte für einen Augenblick auf der Schwelle.
Voller Entsetzten starrte ich auf meine rechte Schulter, auf der noch ein Stück des abgerissenen Sternblumenkranzes hing.
„Mama!“
Ich schlug die Tür hinter mir zu und lief in die kleine Küche. Erneute Angst überkam mich, denn auf mein Rufen antwortete niemand.
„Mama“, schrie ich nun verzweifelter.
„Layra Ich bin hier. “
Ich folgte der Stimme meiner Mutter durch den kleinen, düsteren Gang in das Schlafzimmer, das wir uns teilten. Meine Mutter stand vor dem großen Wandschrank und durchsuchte das oberste Fach. Als sie sich zu mir umdrehte, erschrak ich über ihren Anblick.
Ihr Gesicht wirkte grau und eingefallen. Meine Mutter wurde immer von allen wegen ihres jungen Aussehens bewundert. Doch jetzt zeichnete sich Angst darin wieder und sie schien um Jahre gealtert zu sein. Nur ihre Augen hatten immer noch dieses goldene Funkeln in den bernsteinfarbenen Tiefen, das so sehr meinen Eigenen glich.
„Mama das Dorf wird angegriffen, wir müssen hier weg! Diese Fremden töten alle die ihnen begegnen. Sie sind alle tot! Wieso nur greifen sie das Dorf an?“
Sie gab mir keine Antwort, sondern ergriff einfach meine Hand und führte mich zurück in die Küche. In dem kleinen Raum war gerade Platz für den Herd und einen Tisch mit zwei Stühlen.
Ein paar Schränke an der gegenüberliegenden Wand boten etwas Stauraum.
„Hör zu Layra, du musst von hier verschwinden. Du musst so schnell es geht in den Wald flüchten. Versteck dich dort bis die Fremden weg sind.“
„Aber ich verstehe das nicht. Warum wird unser Dorf angegriffen?“, fragte ich ohne auf ihre Worte einzugehen.
„Du kannst es noch nicht verstehen. Du musst hier raus Layra! Hast du mich verstanden?“
Ihre Worte jagten mir noch mehr Angst ein. Wieso bekam ich keine Antwort auf meine Fragen? Wer waren die Fremden auf ihren Pferden? Warum töteten sie alle diese Menschen, die niemanden etwas Böses konnten?
Eine unnatürliche Starre hatte mich gepackt und ich starrte meine Mutter mit klopfenden Herzen an. Diese atmete tief durch und schüttelte traurig den Kopf.
„All die Jahre habe ich ihn versteckt gehalten. Warum nur haben sie ihn jetzt gefunden? Hier nimm das“, sagte sie und drückte mir einen kleinen, unscheinbaren Lederbeutel in die Hand.
„Was ist das?“
Als ich den Beutel öffnen wollte, hielt sie mich schnell davon ab, indem sie ihre Hände fest um meine schloss.
„Layra Liebes du musst mir jetzt sehr genau zuhören. Du darfst unter keinen Umständen diesen Beutel öffnen, geschweige denn ihn in die Hände der Fremden fallen lassen. Ich habe leider keine Zeit mehr dir all das zu erklären mein Kind und ich wünschte, ich hätte es dir schon früher erzählt. Es ist ein Kristall, ein Pakt zwischen den Völkern unseres Landes! Dieser Stein, Saii-ron, steht für den zerbrechlichen Frieden den wir untereinander geschlossen haben.“
Meine Mutter schloss einen Moment die Augen und als sie mich wieder ansah, rannen die ersten Tränen über ihre Wangen.
„Es tut mir so leid. Ich dachte, ich kann dich vor deinem Schicksal bewahren, aber am Ende habe ich doch versagt!“
Meine Hände verkrampften sich um den kleinen Lederbeutel, als sie mich in ihre Arme zog.
„Sie suchen mich Layra. Ich bin Teil eines Paktes mit Saii-ron! Ich bin die Priesterin, die dazu bestimmt wurde, Saii-ron zu schützen, und ….“
„Mama du bist keine Priesterin! Du …, wir … sind nur ganz normale Dorfbewohner, die Gemüse und Getreide anbauen, um zu überleben!“
Die Worte bahnten sich immer verzweifelter einen Weg aus mir heraus und ich krallte mich verzweifelt an der Bluse meiner Mutter fest. Mit sanfter Gewalt löste sie sich von mir und hielt mich auf Armeslänge von sich weg.
Ein lauter Knall ließ uns beide zusammenzucken. Lautes Rufen und Pferdegewieher drangen gedämpft durch die Türe. Die Fremden schienen näher zu kommen, um die noch nicht brennenden Hütten zu durchsuchen. Es würde nicht mehr lange dauern bis sie hier waren.
„Geh zum Turm der Drachen, dort wirst du in Sicherheit sein! Die Leute dort werden dir helfen das alles zu verstehen. Du musst dich beeilen, Layra. Geh jetzt! Ich versuchen sie aufzuhalten, denn wenn ihr Herr dabei ist, werde ich die Einzige sein, die ihn hinhalten kann.“
Das Splittern der Tür erstickte jeden Protest von mir im Keim.
„Melissa wir wissen, das du hier bist!“
Meine Mutter fuhr panisch herum und zog mich unbarmherzig mit sich mit. Bevor ich reagieren konnte, öffnete sie die kleine Hintertür und schob mich einfach hinaus.
„Erinnere dich, an das was ich dir gesagt habe Layra! Ich liebe dich Kleines.“
Mit diesen Worten zog meine Mutter die Türe hinter sich zu. Der Laut, mit dem der Riegel ins Schloss fiel, würde mir für immer im Gedächtnis bleiben.
Das kann alles nicht wahr sein. Ich muss träumen! Wie kann das alles nur gesehen? Vielleicht ist alles nur ein Traum und ich wache gleich daraus auf.
Doch dem war nicht so. Ich starrte noch immer wie betäubt die verriegelte Türe vor mir an. Meine Hände schlossen sich fester um den kleinen Lederbeutel. Ich versuchte angestrengt ein Geräusch aus dem Inneren der Hütte zuhören, doch der donnernde Herzschlag in meiner Brust übertönte alles.
Als das Knistern der Flammen und die langsam weniger werdenden Schreie der Menschen zu mir durchdrangen, wusste ich, dass meine Zeit um war. Ich musste hier weg! Es konnte nicht mehr lange dauern und die fremden Reiter würden auch hier nach den letzten Überlebenden suchen.
Ein letztes Mal drückte ich mein Ohr gegen das raue Holz der Tür und rüttelte nochmals an dem Schloss.
Nichts, ich hörte rein gar nichts!
Vielleicht ist Mama doch entkommen. Vielleicht haben die Reiter sie doch nicht gefunden.
Diese zwei Gedanken kreisten unaufhörlich