SAII-RON. Casy Paix
schon passieren?
Langsam zog ich die kleinen Lederschnüre, die den Beutel verschlossen hielten, auseinander. Mir stockte der Atem.
Noch nie hatte ich etwas vergleichbar Schönes gesehen.
Ein Tränenförmiger Stein in der Größe einer Kirsche kam zum Vorschein. Das Sonnenlicht, das seinen Weg durch die Äste fand, ließ ihn in allen erdenklichen Farben schillern.
Wie konnte man verlangen sich etwas so Wunderschönes nicht anzusehen?
Der Stein zog mich unaufhaltsam in seinen Bann und ein Gefühl tief in meinem Inneren erwachte zum Leben. Ich konnte es nicht beschreiben, aber es ließ einen leichten Schauer über meine Haut streichen. Ich drehte Saii-ron vorsichtig zwischen meinen Fingern, doch zum Glück konnte ich nirgends einen Riss oder eine Beschädigung erkennen. Nach einem letzten staunenden Blick legte ich Saii-ron wieder zurück in den Lederbeutel und band ihn mithilfe der Lederschnüre an meinem Kleid fest.
Mit leichtem Unbehagen stellte ich fest, das die Sonne ihren höchsten Stand schon überwunden hatte. Es würde nicht mehr lange dauern und die Nacht würde hereinbrechen.
Bis dahin musste ich aus dem Wald sein und ein anderes Versteck gefunden haben. Wenn die Jäger der Nacht ihre Streifzüge nach Beutetieren durch das Unterholz begannen, hielt sich hier keiner freiwillig und ohne Waffen auf.
Nicht nur die Nacht, sondern auch Hunger und Durst stellten mich vor eine Herausforderung. Ich hatte bis auf ein schnelles, kurzes Frühstück noch nichts zu mir genommen. Egal wie groß meine Angst war, ich musste versuchen im Dorf einen Unterschlupf für die Nacht zu finden. Ich hoffte nur das die Fremden verschwunden waren. Denn sonst wüsste ich nicht wohin. Das nächste Dorf lag gut einen Tagesmarsch von hier entfernt. Unerreichbar für ein Mädchen in meinem Alter. Vorsichtig begann ich den Rückweg, immer darauf bedacht so schnell wie möglich in Deckung zu gehen sollte ich ein verräterisches Geräusch hören. Je näher ich meinem Dorf kam, desto mehr nahm ich den Rauchgeruch wahr. Er breitete sich in Schwaden zwischen den Bäumen aus und schwebte Unheil verkündend um mich herum. Es war nicht mehr weit. So leise wie es ging, bog ich die letzten Zweige, die mir die Sicht versperrten, zur Seite.
Dorf konnte man, das was ich vor mir sah, wohl nicht mehr nennen.
Es glich eher einem gespenstischen Ort aus Schutt und Asche. Das Feuer hatte alles vernichtet. Nur vereinzelte Wände der ehemaligen Hütten waren noch zu erkennen. Mit unsagbaren Entsetzen lief ich den kleinen Hang zu den ersten Ruinen hinab. Noch immer glaubte ich die Macht des fremden Reiters, der mich verfolgt hatte, zu spüren. Kein Hinweis zeugte jedoch auf die Anwesenheit der Fremden. Mit bedachten Schritten suchte ich mir einen Weg durch mein ehemaliges Dorf. In vielen der Holzruinen glühten noch Funken. Ich musste aufpassen, wohin ich meine Füße setzte, denn das verkohlte Holz war trügerisch.
Der Anblick unserer völlig zerstörten Hütte ließ meine Tränen erneut fließen. Hinzu kam noch der beißende Rauch, der das Dorf in seiner Gewalt hielt. Von meinem kleinen Zuhause war nichts mehr geblieben. Schränke, Stühle, der Esstisch egal was es war, alles war dem Feuer zum Opfer gefallen. Selbst die Toten in den Gassen waren nicht verschont geblieben. Nur mit Mühe konnte ich den Blick von den entstellten Menschen abwenden.
Eines wusste ich jedenfalls mit absoluter Gewissheit. Hier konnte ich die Nacht nicht bleiben. Der Rauch würde mir die Luft zum Atmen nehmen und ich würde morgen früh wahrscheinlich nicht mehr aufwachen.
Zögerlich wandte ich mich nach Osten in Richtung der Berggruppe. Dort zwischen den zerklüfteten Gesteinsmassen wand sich ein Pfad auf die andere Seite. In der Dunkelheit war der Weg zu tückisch, aber vielleicht fand ich zwischen den größeren Steinen Schutz. Etwas anderes fiel mir in diesem Moment nicht ein.
Wieder wünschte ich mir meine Waffe dabei zu haben, denn damit würde ich mich sicherer fühlen. Die zerstörten Hütten jedoch nach zurückgebliebenen Waffen zu durchsuchen, dazu fehlte mir jegliche Kraft. Mein Magen fühlte sich an, als hätte ich schon Tage nichts mehr gegessen und der Durst war eine reine Qual. Ich hoffte, das ich zwischen dem Geröll und dornigen Büschen auch ein paar essbare Wurzeln fand. Diese würden beides Lindern. Den Hunger und den Durst. Mit müden Beinen begann ich auf die Berggruppe im Osten zuzuhalten. Das Gras strich leicht über meine Beine und die nachlassende Hitze fühlte sich auf meiner Haut wie eine kleine Wohltat an. Je weiter ich von dem zerstörten Dorf wegkam, desto leichter konnte ich wieder Atmen.
Es dauerte fast eine Stunde bis ich die Ausläufer des Gebirges erreichte. Die ersten riesigen Felsbrocken lagen wie hingeworfen in dem grünen Gras und zeigten die Grenze der Kargheit an.
Ich schaffte noch ein paar Schritte, bevor ich mich erschöpft an einen der Gesteinsriesen sinken ließ.
Nur eine kurze Pause!
Ich schloss meine Augen. Meine Lider brannten und ich war so müde.
Mit einem Mal spürte ich einen Sog in mir, ein Gefühl als würde sich mein Innerstes nach außen kehren. Dieser Eindruck verstärkte sich noch und als ich ein undefinierbares Geräusch hörte, riss ich meine Augen wieder auf. Ich drückte mich instinktiv noch enger in den Schatten des großen Felsbrockens.
Aus welcher Richtung auch immer dieses Geräusch kam, ich konnte es nicht bestimmen.
Was soll ich tun, wenn es die fremden Reiter sind?
Wenn ER es ist?
Ich konnte nicht mehr weglaufen, denn dazu war ich viel zu erschöpft! Mit zusammen gekniffen Augen suchte ich die Ebene vor mir ab. In der Ferne konnte ich das zerstörte Dorf gleich einem dunklen Schemen erkennen. Ein Sirren in der Luft ließ mich schließlich meinen Blick heben und ich erstarrte zum wiederholten Male an diesem Tag. Zunächst schien es so, als ob die Luft selbst sich immer schneller drehen würde. Gemischt mit herangezogen Rauschschwaden bildeten sich kleine Luftwirbel aus grauen Schlieren, durchsetzt mit dem letzten, golden Sonnenlicht des Tages. Inmitten des Wirbels bildete sich eine noch dunklere Silhouette ab.
Langsam sickerte das Erkennen in meine verwirrten Gedanken.
Ein Drache! Das mächtige Tier nahm mehr und mehr Gestalt an und seine Ausmaße waren beachtlich.
Ich hatte schon viele Erzählungen gehört und vor allem Lehrstunden über Drachen gehabt. Somit fiel mir es auch erstaunlich leicht festzustellen, das es sich bei diesem hier um einen Feuerdrachen handelte. Ein unverwechselbares Merkmal waren die smaragdfarbenen Schuppen und die blutroten Krallen des Tieres.
Der Drache schlug zweimal mit seinen Schwingen und der aufkommende Wind nahm trockenes Gras und die letzten verbliebenen Rauchschwaden mit sich. Als die Beine des Tieres den Boden berührten und sein gewaltiger Kopf in meine Richtung schwenkte, wusste ich das mich der Drache mit Sicherheit bemerkt hatte. Seine Augen verengten sich zu bedrohlichen Schlitzen und ein tiefes Grollen erklang. Witternd sog er die Luft durch seine Nüstern und verharrte lauernd. Unfähig mich zu Bewegen wartete ich darauf, was der Drache als Nächstes tun würde.
Bestimmt wird er mir mit einem einzigen Bissen meine Knochen brechen.
Alles was ich über Drachen gelernt hatte war, das sie gefährliche, eigennützige Wesen sind. Aber was tat er hier?
Sie durften sich doch in dieser Region gar nicht aufhalten. Soviel ich wusste, lebten die Feuerdrachen in den Eiswüsten des Nordens. Aber was erwartet man von solchen, die sich nicht einmal an ihre eigenen Regeln hielten, geschweige denn an die der Menschen.
Was hat er nur vor? Auf was wartet er?
Meine einzige Chance war es, so schnell es ging eine Felsspalte zu finden, in der ich mich verstecken konnte.
Meine Anspannung stieg, als der Drache sich plötzlich in Bewegung setzte. Um ihn nicht noch zusätzlich zu reizen, versuchte ich mich so langsam wie möglich aufzurichten. Der Feuerdrache vor mir schien jedoch jede Bewegung genau mitzuverfolgen.
Mein Überlebenswille meldete sich Lautstark zu Wort.
Mit einem Ruck fuhr ich in die Höhe und wurde fast augenblicklich mit einem gewaltigen Stoß wieder zu Boden gedrückt. Ich schrie erschrocken auf, wobei zeitgleich ein