was Leiden schafft. Hermann Brünjes

was Leiden schafft - Hermann Brünjes


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herunterklappen und diese hier ist offen. Drinnen gibt es ein Halterungssystem aus Aluminium. Darin eingepasst stehen drei Holzkisten. An der anderen Seite befindet sich noch eine graue Metallkiste mit dicken kurzen Rohren. Der Rest des großen Frachtraumes ist leer.

      „In diesen Kisten sind jeweils eine Granate oder andere Munition. Wir haben Spezialbehälter“, Denker zeigt auf die Rohre in der Metallkiste. „Darin werden die gefundenen Granaten verstaut und kommen dann in die Kiste.“

      „Viel haben Ihre Kollegen dann dort unten ja noch nicht gefunden. Oder ist der andere Laster schon voll?“

      Er lacht. „Nein, da sind nur leere Kisten drin. Wir sind aber sechs Leute und nehmen lieber zwei sichere Fahrzeuge. Man weiß ja nie.“

      „Dann haben Sie also erst drei Granaten gefunden?“

      „Heute ja. Gestern jedoch waren es fünf. Ich finde, das ist ganz schön viel!“

      Da hat er sicher recht. Bereits eine davon kann viele Menschen töten.

      „Und Ihre Kollegen packen sie ein, wie sie gefunden werden? Oder wird die Munition noch entschärft?“

      „Wo immer möglich werden die Zünder abgeschraubt oder heruntergesägt. Ein Transport wäre wegen der Erschütterungen sonst zu gefährlich. Wenn eine Entschärfung nicht möglich ist, was nur selten vorkommt, dann wird die Bombe vor Ort gesprengt. Vorher allerdings müssen wir wissen, was sie enthält.“

      „Sie meinen, wieviel Sprengstoff?“

      „Vor allem welche Art von Sprengstoff. Sollte es eine chemische Waffe sein, wäre die Sprengung eine Katastrophe.“

      „Sie finden also auch chemische Waffen?“

      „Weniger. Aber ja, die gibt es auch immer wieder mal, vor allem Granaten mit Senfgas, aber auch mit anderen gefährlichen Substanzen wie Sarin oder anderes Teufelszeug.“

      „Und wie können Sie wissen, was jeweils drin ist?“

      „Wir haben fest installierte, aber auch mobile Röntgengeräte. Jede Granate wird damit untersucht, bevor sie vernichtet wird.“

      Das finde ich beeindruckend. Es hört sich professionell an.

      „Und dann laden Sie Ihre gefährliche Fracht hier ein und tuckern nach Munster?“

      Er lacht wieder. „Allerdings. Jede Fahrt muss angemeldet sein, und je nach Inhalt begleitet uns ein Fahrzeug unserer Feuerwehr. Kommen Sie …“

      Er führt mich um den Transporter herum und weist auf die Gefahrenzeichen, die ich schon bemerkt hatte.

      „Jedes unserer Fahrzeuge hat bestimmte Zulassungen. Hiermit können wir Gefahrgut der Klasse 1, 6 und 8 transportieren, also explosive Stoffe, giftige Stoffe und ätzende Substanzen. Gase, flüssige, entzündliche oder gar radioaktive Stoffe dagegen gehören in andere Fahrzeuge und sind anders gekennzeichnet.“ Ich mache noch ein Foto.

      „Darf ich mal hinunterschauen?“ Ich gehe Richtung Rand des Kraters. Unten sehe ich fünf Männer bei der Arbeit.

      „Kein Problem. Bleiben Sie aber bitte vom Rand weg. Wenn eine Granate explodiert, könnte es sonst kritisch werden.“

      „Das habe ich am Dienstag gemerkt. Da ist dort unten eine Handgranate explodiert.“

      „Oh, Sie waren hier?“

      Ich merke, wie ich in der Achtung des jungen Mannes steige. Selbst einmal mitzuerleben, wenn Granaten explodieren, ist vielleicht der Traum eines jeden Brandschützers – oder der Albtraum. Ich erzähle ihm kurz, was passiert ist. Im Gegenzug erklärt er mir, was seine Kollegen dort unten machen.

      Zwei von ihnen tragen graue Schutzanzüge, Helme und dicke Gasmasken. Sie sind diejenigen, die die Bomben entschärfen und unmittelbar mit der Munition in Berührung kommen. Sie tragen Atemschutzgeräte und ihre Anzüge sind luftdicht und sichern auch gegen Gase und ätzende Flüssigkeiten. Drei der Männer dort unten tragen weiße Anzüge und etwas feinere Gasmasken. Zwei von ihnen arbeiten mit Schaufeln oder Hacke, einer bedient eine Art Metalldetektor.

      „Es ist eine langwierige, schwere und gefährliche Arbeit“, erklärt der junge Denker an meiner Seite. „Sie graben, suchen Metall, graben die Teile dann aus und bergen sie.“

      „Und alles per Hand? Das kann ja Monate dauern.“

      „Genau. Es kann Monate dauern. Hier jedoch sind wir noch in der Prüfphase. Wir haben drei Messstellen errichtet und senkrechte Rohre in die Tiefe verbracht. Dort nehmen wir Proben vom Grundwasser. Bei sehr viel Munitionsrückständen im Erdreich ist der Asbestgehalt extrem hoch. Dann muss das Erdreich ausgetauscht werden. Im Moment ist dies hier jedoch noch nicht der Fall. Auch die Menge der Granaten scheint begrenzt. Entweder ist es nur eine kleinere Deponie oder man hat viele der Granaten bereits wieder entfernt.“

      Ich muss tief durchatmen. Vielleicht haben die Jungen und ihr Freund Malle zwar dieser Bergungsmannschaft Arbeit abgenommen, die brisanten Fundstücke jedoch schön gleichmäßig übers Land verteilt – oder in falsche Hände vertickt.

      „Es ist also nicht so, wie bei den Dethlinger Teichen?“

      Denker lacht. „Nein, nein! Längst nicht. Trotzdem muss man sowas ernst nehmen, zumal hier ja Kinder gespielt haben.“

      „Das kommt womöglich öfter vor als den Eltern lieb ist, oder?“

      „Leider ja. Kinder und Jugendliche reizt die Gefahr manchmal mehr als sie sich fürchten. Sie betrachten das Herumstrolchen auf Truppenübungsplätzen und in alten Bunkern als Mutprobe und wenn sie wie hier im Krater Munition finden, versuchen sie manchmal sogar, diese zu sprengen. Zwar sind wir hier ja nicht in Syrien oder im Libanon, wo bis heute viele Kinder durch Landminen und Blindgänger getötet werden, aber auch hier bei uns gibt es mit Munitionsresten aus den Weltkriegen immer wieder Unfälle.“

      Der Mann ahnt nicht, wie froh ich über die Begegnung mit ihm bin. Ich frage ihn, ob er mit einem Foto einverstanden ist. Wegen seines Chefs will er nicht erkannt werden. Also posiere ich ihn neben dem Fahrzeug, er zieht das Visier seines Helms herunter und ich fotografiere ihn von der Seite.

      Seine Kollegen im Krater erkennt man auf die Entfernung ohnehin nicht.

      Ich frage Denker, ob sie allesamt ausgebildete Profis sind und bei der GEKA nur Experten arbeiten.

      „Die dort unten schon“, erklärt er. „Wir sind 140 feste Mitarbeiter. Viele wurden bei der Bundeswehr ausgebildet, manche bei uns. Manchmal werden wir noch von der Bundeswehr unterstützt, vor allem bei Fahrdiensten und sowas. Aber die fest angestellten sind auf ihrem Gebiet allesamt Experten. Verwaltungskräfte gehören natürlich auch dazu. Na ja, und ich bin noch in der Ausbildung.“

      „Aber ich bin sicher, Sie gehen Ihren Weg! Sie kennen sich schon jetzt prima aus und ich spüre Ihnen eine gewisse Leidenschaft ab.“ Wieder eine Leidenschaft, denke ich. Brände löschen, Gefahren beseitigen, Menschen schützen.

      „Danke. Ich bin tatsächlich zur GEKA gegangen, um ein bisschen die Wunden des Krieges heilen zu helfen. Mein Großvater war Hauptmann und durch und durch Nazi. Ich will ein bisschen wieder gutmachen, was er mit angerichtet hat.“

      Beachtlich, dieser junge Mann. Er trägt seinen Namen zu Recht. Ein Denker.

      Ich danke ihm und an der Straße unten unserem Freund und Helfer Bokelmann. Der Ausflug hat sich wirklich gelohnt.

      Freitag, 4. März

      Den Vormittag verbringe ich auf einer ätzenden Sitzung im Südkreis. Eine Gemeinde will ein neues Baugebiet erschließen und bewerben: „Wohnen zwischen Wald und See, naturnah und mitten in der Lüneburger Heide.“

      Es stimmt gewiss, womit sie hier werben. Ein Haus am Hardausee hat schon was – aber man wohnt hier auch ziemlich abgeschieden. Unter „Lüneburger Heide“ verstehen zudem die meisten Leute eher die großen Heidegebiete um Undeloh, Bispingen und vielleicht noch bei Hermannsburg.


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