was Leiden schafft. Hermann Brünjes

was Leiden schafft - Hermann Brünjes


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Elske an und dann mich.

      „Okay. In der K-Woche vor Ostern machen wir eine dreiteilige Serie. Aber ich bin nicht senil, Kollegen. Ihr macht zusammen was über die Fasten- und die Passionszeit. Aber ihr sucht unbedingt den weltlichen Bezug. Wir sind keine Kirchenzeitung und machen keine Propaganda für die christliche Ideologie! Ist das klar?“

      Ich nicke. „Chef, dass ich das hinkriege, habe ich doch wohl in der Vergangenheit bewiesen – oder?“

      Die Kuh ist vom Eis.

      Auch die drei Lokalredakteure am Tisch, unser Rechtsberater Dr. Mayer und der Chef der Druckerei nicken. Selbst Steini schluckt eine Bemerkung runter, die ihm wohl schon auf der Zunge lag.

      Die Redaktionssitzung ist noch vor elf Uhr zu Ende. Florian lockert seine Krawatte und verschwindet hinter der Tür seines Chefbüros, wir anderen setzen uns an unsere Arbeitsplätze im Großraumbüro. Wäre heute nicht die wöchentliche Besprechung gewesen, zu der Florian uns alle verpflichtet hat, ständen unsere Schreibtische unbesetzt im Raum. Außer dem Chef, der täglich kommt und mit der Zeitung gewissermaßen verheiratet ist, arbeiten wir anderen in diesen Corona-Zeiten entweder „an der Front“, wie sich Florian ausdrückt, oder im Homeoffice.

      „Danke!“ Ich nicke Elske zu. Unsere Schreibtische stehen einander gegenüber. Sie schenkt mir ihr strahlendes Lachen und tippt mit einem Bleistift auf den Block vor sich.

      „Gern geschehen. Ich weiß doch, worüber unser Starreporter gerne berichtet! Und ich weiß auch, dass er mit seinem Chef nicht besonders diplomatisch umgeht.“

      „Vermutlich hast du recht. Aber es ist schon ein bisschen unheimlich, wie du meine Gedanken liest.“

      Sie wickelt sich den Bleistift um eine ihrer blonden Locken und mimt die Geheimnisvolle.

      „Jens Jahnke, merke dir: Du bist für mich ein offenes Buch.“

      „Dann weißt du ja auch, was ich vorhabe.“

      Elske überlegt einen Moment und starrt mir mit ihren hellblauen Augen direkt in meine.

      Dann antwortet sie: „Du willst die Bomben und das damit verbundene Leid mit dem Thema Passion verbinden. Du willst aufzeigen, wie das Leid der Welt und die Leiden Christi sich zueinander verhalten. Du willst unseren Leserinnen und Lesern einen Blick in menschliche Abgründe zumuten, sie dann aber auch trösten und ihnen Perspektiven aufzeigen.“

      Nun grinst sie, weist mit dem Bleistift in meine Richtung und erwartet eine Reaktion. Ich bin baff. Sie kennt mich wirklich gut, manchmal denke ich, besser als meine Liebste Maren. Nicht zum ersten Mal schießt mir durch den Kopf, dass Elske und ich ein tolles Paar sein könnten, wenn da nicht die über zwanzig Jahre Altersunterschied wären. Wir passen einfach gut zusammen.

      „Wie immer, schöne Blonde aus dem Norden, du triffst ins Schwarze. Und ich vermute, du hast es darauf angelegt, deinen alten Reporterkollegen zu unterstützen.“

      Sie zeigt mir ihren Schmollmund.

      „Herr Jahnke, Sie haben mich durchschaut. Wann fangen wir an? Am besten, du fasst nochmal zusammen, was in deinem Artikel stand – und vor allem, was du nicht erwähnt hast.“

      „Okay. Lass uns aber den Ort wechseln. Hier im Büro haben die Wände Ohren und ich das Gefühl, ich arbeite.“

      *

      Eine halbe Stunde später sitzen wir gemütlich in unserem Lieblings-Café. Elske hat einen indischen Gewürztee bestellt, ich einen Cappuccino. Ich mag dieses Café, duftet es dort doch zugleich nach Kaffee und indischem Essen. Das indische Restaurant ist direkt nebenan. Außer Kuchen und Kaffee bekommt man auch Eis und kleine indische Leckereien. Und man hat einen guten Blick auf einen der schöneren Plätze unserer Kreisstadt.

      Hier redet und denkt es sich ganz anders als im nüchternen Redaktionsbüro – und man muss auch nicht fürchten, dass der Chef plötzlich auftaucht oder Steini einen seiner geistreichen Sprüche raushaut.

      „Da gibt es diesen Krater“, beginne ich meinen Bericht. „Woher genau er stammt, habe ich noch nicht herausbekommen. Vielleicht ein Überbleibsel der letzten Eiszeit, vielleicht ein alter See oder Teich. Als der Acker angelegt wurde, hat man alles in das Loch geschmissen, was man loswerden wollte: Feldsteine, Gestrüpp, Baumstümpfe und später wohl auch Munition aus beiden Weltkriegen.“

      „Das wird ein Teil unserer Recherche sein müssen: Woher kommt die Munition? Wie überhaupt ist der Umgang mit Munitionsresten und Blindgängern aus den Weltkriegen? Das kann ich übernehmen!“ Elske hat Feuer gefangen.

      „Danke. Ja, das müssen wir recherchieren. Ich selbst will lieber mit den Beteiligten reden. Die wohnen alle in und um Himmelstal herum.“

      „Dieser Dennis ist ja offenbar sogar dein Nachbar.“

      „Ja. Seit ich in Himmelstal wohne, kenne ich ihn. Von ihm habe ich auch die Details über die Katastrophe von gestern.“

      „Der Krater war Spielplatz der Clique um Dennis?“

      „Ja. Rädelsführer war allerdings seit letztem Sommer eher Linus, jener ältere Jugendliche, den sie auf der Trage abtransportiert haben. Er liegt noch mit Verbrennungen und einer Fleischwunde am Oberschenkel im Kreiskrankenhaus. Der andere verletzte Junge hatte nur leichte Verbrennungen und ist schon gestern wieder entlassen worden. Insgesamt waren sie zu fünft im Krater, als die Granate hochging.“

      „Was sagen die Sprengstoffexperten? Was ist da explodiert?“

      „Das wollte mir die Polizei nicht sagen. Sie haben Experten aus Munster eingeschaltet. Allerdings hat Dennis es mir verraten. Es war eine alte Handgranate. Auch später, als ich schon oben am Rand des Kraters stand, ist eine solche Granate explodiert. Dennis meint, sie hätten drei davon in ihrem Depot gehabt.“

      „Das hört sich ja gefährlich an.“ Elske schüttelt den Kopf. „Und wie kam es zu Explosion? Doch nicht einfach so.“

      „Richtig. Die Jungs haben die Granate gezündet.“

      „Was? Sie haben sie absichtlich hochgehen lassen?“

      „Mehr oder weniger. Sie haben nicht gedacht, dass das alte Ding noch explodiert – und schon gar nicht mit solcher Sprengkraft gerechnet. Linus hat eine der drei Handgranaten zwischen zwei Steinen festgeklemmt, eine Schnur am Sicherungshebel befestigt, sie haben sich in Sicherheit gebracht und er hat an der Schnur gezogen. Da ist die Granate hochgegangen und alles hat gebrannt. Später sind durch die Hitze auch die beiden anderen noch explodiert.“

      Elske schaut mich ungläubig an. Sollte sie jemals Kinder haben, wird sie diese von Munition jeglicher Art jedenfalls fernhalten.

      „Und die Jungs haben dort wirklich scharfe Munition gefunden und deponiert?“

      „Ja. Sie haben sich im Krater eine Hütte gebaut und dazu Steine und Material zusammengesucht. Das Loch wurde von der Kirchengemeinde über viele Jahre als Friedhofsdeponie benutzt. Man hat Friedhofsabfälle dorthin gebracht, sogar alte Grabsteine und zerbrochene Skulpturen. Außerdem haben die Bauern ihre Feldsteine vom Acker dort reingekippt. Die Jungen haben das alles als Baumaterial für ihre Höhlenhütte genutzt. Beim Buddeln fanden sie dann auch alte Munition, meist verrostet und nur noch in Einzelteilen. Aber es waren eben auch diese Handgranaten dabei und auch mehrere, noch gut erhaltene Granaten.“

      „Aber waren die Jungs nicht alt genug, die Gefahr zu erkennen? Mit vierzehn weiß man doch genug über sowas.“

      „Natürlich. Aber in dem Alter reizt die Gefahr möglicherweise mehr als dass sie Angst macht. Die Jungs haben die Granaten ja auch gar nicht behalten.“

      Elske staunt. „Davon stand nichts in deinem Artikel.“

      „Es wäre auch zu früh. Dem will ich jetzt weiter nachgehen. Dennis hat erzählt, dass sie ihre Funde verkauft haben.“

      „An wen?“

      „An einen ehemaligen Bundeswehrsoldaten. Er hat vor etwa zwei Jahren die Fischteiche in der Nähe dieses Ackers mit


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