Mein Blutsbruder: Der Orden der Schwarzen Löwen – Die Jagd auf eine Mörderbande. Tomos Forrest
aber, was er in der Zwischenzeit macht. Ich würde sehr gern dort einmal vorbeigehen und mir die Gegend ein wenig näher ansehen.«
»Gut, ich bin dabei!«, antwortete er rasch entschlossen, griff seine Jacke, die über einer Stuhllehne hing, und folgte mir in die Hotellobby.
»Da wollen Sie doch nicht wirklich hin!«, antwortete der junge Mann, der hier Dienst tat. »Das ist eine ganz üble Wirtschaft, und sicher nicht geeignet, um dort etwas zu sich zu nehmen. Wenn ich Ihnen da etwas empfehlen dürfte …«
»Leider nicht, es muss die Wilde Sau sein.«
Der junge Mann zog die Augenbrauen hoch, dann nahm er einen Bleistift und fertigte geschickt auf einem Blatt Papier eine Skizze an.
»Überlegen Sie es sich lieber noch einmal. Und falls Sie Hilfe benötigen – hier, an dieser Kreuzung, steht immer ein Schutzmann.«
Ich bedankte mich, und wir zogen durch die Straßen, orientierten uns an der kleinen Zeichnung und waren gerade vor der schmalen Gasse, in der sich das berüchtigte Lokal befinden sollte, als ich unvermittelt stehen blieb und Anton gegen mich stieß.
»Was ist?«, knurrte er unfreundlich.
»Drüben vor dem Lokal steht der Baron!«, sagte ich halblaut.
»Ach was, das ist doch nicht möglich!«, antwortete Anton und schob sich um die Hausecke, nur, um im nächsten Augenblick zurückzuzucken. »Sakra! Das ist er leibhaftig!«
»Er unterhält sich dort mit jemand und scheint gar nicht daran zu denken, dass man ihn hier aufspüren könnte. Anton, tue mir den Gefallen, lauf zu der Straßenkreuzung und alarmiere über den Polizisten dort den Kommissar. Dann komm, so schnell es geht, zu dem Lokal!«
»Und was machst du derweil?«
»Ich passe auf. Sollte der Kerl verschwinden, werde ich ihm verfolgen. Dann bin ich zwar allein auf mich gestellt, aber das bin ich gewöhnt. Wir treffen uns dann auf jeden Fall am Abend in unserem Hotel wieder.«
Einen Moment zögerte Anton, dann nickte er zustimmend und eilte davon.
Falkenstein setzte noch immer sein Gespräch mit einem kleineren, älteren Mann fort, dessen Gesicht ich allerdings nicht erkennen konnte. Gerade überlegte ich, ob ich die Gasse umgehen und mich von der anderen Seite nähern sollte, weil mir dort ein Vorgarten bessere Deckung ermöglichte, als sich die beiden per Handschlag verabschiedeten und der Baron in das Lokal zurückging.
Jetzt war guter Rat teuer.
Ein Blick umher – weder von Anton noch von einem Polizisten konnte ich etwas erkennen. Also gab es für mich nur einen Gedanken. Ich musste diesem Mann folgen, wollte ich ihn nicht vielleicht im letzten Moment aus den Augen verlieren. Als ich noch im Schatten der Häuser ging, entdeckte ich die Brandgasse neben dem Lokal. Mich durchzuckte der Gedanke, dass es dort möglicherweise einen Nebenausgang gab. Rasch bog ich in die dunkle Gasse ein und sah tatsächlich neben ein paar Holzkisten mit leeren Flaschen eine Tür, klein und unauffällig. Ich probierte die Türklinke und – stand gleich darauf in einem nach allerlei Unrat riechenden Abstellraum. Hier hatte man offenbar Küchenabfälle in offene Holzkisten geworfen, daneben standen und lagen Flaschen aller Art, und auch in einem Regal befanden sich mit Abfällen gefüllte Kisten. Das alles erfasste ich innerhalb eines Augenblickes, denn mattes Dämmerlicht fiel durch ein Fenster, das nach vorn zur Straße ging. Obwohl die Scheiben vom Dreck und Staub fast vollkommen verklebt und trüb waren, reichte das eindringende Licht für mich zur Orientierung aus.
Von irgendwoher hörte ich laute Stimmen und Gelächter. Vorsichtig öffnete ich die gegenüberliegende Tür und lauschte. Die Stimmen deuteten auf die Gaststube, die über einen schmalen Flur vom Abstellraum zu erreichen war. Jetzt war ich auch an dieser Tür und öffnete sie zentimeterweise, bevor ich eintrat.
Ich hatte mich verrechnet, denn das war nicht der Gastraum.
Es handelte sich wohl um den Raum mit den Bierfässern, denn der unangenehme Abfallgeruch des Vorraumes mischte sich hier deutlich mit dem Dunst der auf dem Steinfußboden austrocknenden Bierlachen. Auf der anderen Seite standen zwei Personen und sprachen halblaut miteinander. Ich duckte mich sofort hinter eines der Fässer und konzentrierte mich darauf, das Gespräch zu verstehen.
»Dann eben der Zug … zehn Uhr. Es ist wichtig, dass ich … und Trier … dort treffe …«
Obwohl ich mich anstrengte, war beim besten Willen nicht zu verstehen, was der andere antwortete. Wieder sprach der größere der beiden, und machte dabei wohl ein paar Schritte in meine Richtung. Jetzt konnte ich an der Stimme den Baron zweifelsfrei erkennen.
»Wahnsinn von Euch, das Haus zu sprengen! Jetzt werden sie alle Schlupfwinkel durchsuchen, und ich muss sehen, dass ich die anderen rechtzeitig warne!«
»Wir mussten so handeln, um das Material rechtzeitig zu vernichten. Übrigens, die Bahnhöfe werden streng überwacht, wie willst du es anstellen?«
Der Baron ließ sein arrogantes Gelächter hören, das ich während des Aufenthaltes in der Hütte schon mehrfach von ihm vernommen hatte.
»Keine Sorge, mein Freund. Ich bin ein Meister der Maske und kann dir versichern, dass mich niemand … warum kommst du von der Seite?«, unterbrach er seine Rede.
Das hätte mich warnen sollen, aber es war schon zu spät, als ich ein leises Scharren hinter mir vernahm. Instinktiv wich ich dem Schlag aus, konnte aber nicht verhindern, dass er mich noch am Kopf erwischte und dann meine rechte Schulter traf. Jemand war mir über den gleichen Weg gefolgt!, war mein letzter Gedanke, als mich der zweite Schlag traf und betäubte.
Ich schlug die Augen auf und hatte das Gefühl, nicht sehr lange ohnmächtig gewesen zu sein. Mit Erleichterung stellte ich fest, dass man darauf verzichtet hatte, mich zu fesseln. Und wenn meine Nase mir das Gefühl übermittelte, auf einer Müllhalde zu liegen, so konnte das eigentlich nur der erste Raum sein, den ich betreten hatte. Allerdings war der Raum jetzt in ein sehr diffuses Licht getaucht, und ich musste also doch über längere Zeit betäubt gewesen sein. In meinem Kopf hämmerte und klopfte es, als ich mich mühsam an einer Wand wieder aufrichtete und dann zur Tür wankte. Sie war verschlossen, was mir jedoch keine Sorge bereitete. Hatten mich meine Gegner nur niedergeschlagen und hier unten eingeschlossen, so bestand noch die Hoffnung, sie zu erwischen – vor der Abfahrt des Zuges, von dem sie gesprochen hatten.
So gut es ging, orientierte ich mich in dem Raum, tastete über den Kisten entlang und entdeckte schließlich in einer Ecke ein massives Eisenrohr, das meinen Zwecken dienlich schien. Wenig später war es mir gelungen, es als Hebel am Türschloss einzusetzen und mit etwas Anstrengung konnte ich es herausreißen. Polternd fiel es auf den Steinboden. Ich hielt inne und lauschte.
Im Haus blieb es ruhig, ich zog die Tür auf, stand einen Augenblick später in der dunklen Brandgasse und fluchte leise vor mich hin. Meine Hoffnung, dass ich nur für kurze Zeit ausgeschaltet war, erfüllte sich nicht. Die Dämmerung war hereingebrochen, und es wurde höchste Zeit für mich, zu handeln. Auf der Kreuzung traf ich allerdings keinen Polizisten an und beeilte mich nun, zu Kommissar Waller zu gelangen, um ihn ins Bild zu setzen.
»Der Kommissar ist im Einsatz, ich kann ihn nicht erreichen!«, lautete die Antwort eines bull-beißig aussehenden Hünen in Polizeiuniform, der sich mir im Eingangsbereich entgegenstellte und vorsichtshalber schon einmal einen Knüppel in die Hand nahm. Die Blicke, mit denen er mich musterte, verrieten mir einiges über mein Äußeres, das mir erst jetzt richtig bewusst wurde. Ich sah an mir hinunter und nahm meine beschmutzte und zudem übel riechende Kleidung wahr.
»Hören Sie, wir waren heute zusammen mit dem Kommissar im Einsatz beim Haus der Anarchisten, das in die Luft gesprengt wurde. Ich weiß jetzt, wo sich ein weiteres Mitglied der Bande aufgehalten hat, wir müssen sofort mit einem Polizeiaufgebot dorthin und das Nest ausnehmen!«
Der Mann verzog keine Miene, als er mit lauter Stimme antwortete:
»Ich bedaure, aber ich kann und darf Ihnen dazu nichts weiter sagen!«
Doch so schnell gab ich nicht auf.
»Dann schicken