Geist & Leben 2/2022. Verlag Echter
Notiz
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Ralph Kunz | Zürich
geb. 1964, Dr. theol., Prof. für Praktische
Theologie an der Universität Zürich,
Beiratsmitglied von GEIST & LEBEN
Mehr Gott in die Kirche bringen
Nach einem Vortrag in einer Kirchengemeinde wurde ich letzthin gefragt, wie man mehr Menschen in die Kirche bringen könne. Ich spürte die Sorge in der Frage. Sie ist verständlich. Es liegt auf der Hand und die Spatzen pfeifen es von den Dächern: Der Kirche laufen die Menschen davon. Auch die Treuen fragen sich, ob ihre Kirche ein Auslaufmodell sei. Die Zahl der Mitglieder ist jedenfalls rückläufig. In meiner Bibliothek füllen die Bücher dazu ganze Regale. Es handelt sich überwiegend um Analysen. Wir wissen tatsächlich sehr gut Bescheid über die Gründe, warum weniger Menschen in die Kirche kommen. Vielleicht mehr, als uns guttut? Denn dieses Wissen kann auch lähmen und ein trostloses Kirchenbild in unseren Köpfen verfestigen, das uns nachläuft, wie eine Melodie – was mich an den Refrain eines Schlagers erinnert, den ich in Jugendtagen gesungen habe. Er handelt vom alten Haus in Rocky Docky. Von ihm heißt es, es habe vieles schon erlebt, sei wüst und leer. Kein Wunder, dass es zittert, kein Wunder, dass es bebt. Strophe für Strophe wird’s gruseliger. Wehe, wer eintritt! „Dieses Haus hat viele Türen, doch nicht eine führt hinaus, denn wer drin ist, der bleibt drin in diesem Haus.“ Ich befürchte, es gibt immer mehr Leute, die ein Rocky Docky-Bild der Kirche haben. Das eigentlich Merkwürdige daran ist, dass sie die Kirche so sehen, auch wenn sie nie im Inneren des Hauses waren! Schön wäre es, sie würden, wenn schon, wenigstens die letzte Strophe des Schlagers mitsingen: „Dieses Haus will ich bewohnen, komm vom Wandern ich zurück, denn das Haus ist voller Wunder und voll heimlicher Musik. Alle Sterne hör ich singen, und die Schatten am Kamin gleiten zu den Träumen meiner Jugend hin.“
Wer die Wunder nicht spürt und die Musik nicht mehr hört, sieht nur noch das Geisterhaus oder die Bruchbude und verpasst den Eingang zum Haus der Träume. Ist es unser Ziel, Menschen in die Kirche zu holen? Vielleicht ist die Frage falsch gestellt! Wäre es nicht verheißungsvoller, das Haus der Träume zu den Menschen zu bringen? Natürlich meint das nicht, den Ausgetretenen hinterherzurennen. Aber wir müssen uns ehrlich eingestehen, dass eine Ära zu Ende geht. Wir konnten uns einmal darauf verlassen, dass sich die Gemeinden biologisch erneuern und Gemeindeaufbau in erster Linie darin besteht, getaufte Kinder und ihre Familien zu sozialisieren und Seniorenferien anzubieten. Das funktioniert nicht mehr. Wenn es weitergehen soll mit der Gemeinde, können wir uns nicht mehr länger auf die Sammlung beschränken und müssen die Sendung zu den Menschen als Aufgabe der ganzen Gemeinde wiederentdecken. Früher nannte man es Mission. Manche wollen das Wort lieber gar nicht in den Mund nehmen. Reden wir ihnen zuliebe von der Begeisterung, die unseren Glauben belebt und vom Wunsch eines jeden Christenmenschen, seine Hoffnung mit anderen zu teilen. Reden wir auch vom Verlangen, für Versöhnung zu werben und von der Freude, die sich einstellt, „wenn Geschwister einträchtig beisammen sind“ (Ps 133,1). Reden wir von den Träumen unseres Hausherrn, seinem Durst nach Gerechtigkeit und dem Feuer, das er entzündet hat. Die Leidenschaft seiner Mission ist der Grund, warum wir Kirche sind.
Unsere Kirchen schrumpfen in Zahlen und an Bedeutung. Wir müssen lernen, den Verlust zu verschmerzen. Das ist eine Seite. Die andere: Weil die Institution Kirche kleiner wird, wird es höchste Zeit, größer von der Kirche zu denken und vom Herrn, der denen, die zittern und beben, Erquickung zuspricht, mehr zu vertrauen. Es ist ein wenig paradox, die Krise der Kirche zum Anlass für ihren Aufbruch zu erklären. Aber es ist auch orthodox. Denn so hat alles angefangen. Am Ende seiner kurzen Laufbahn sind Jesus die Anhänger davongelaufen. Das neue Haus, das er bauen wollte, lag in Trümmern. Der Anfang der Kirche war ein messianischer Scherbenhaufen! Wir wissen, warum die Kirche gegenwärtig schrumpft. Wäre es nicht viel wichtiger, zu wissen, warum die Jesusbewegung nach dem Tod ihres Herrn nicht in sich zusammengefallen ist? Warum es dem mächtigen Rom nicht gelang, die kleine Sekte aus Palästina zu zerstören? Warum das alte Haus, das wir Kirche nennen, immer noch voller Wunder und heimlicher Musik ist?
Christ(inn)en sollen über die Hoffnung Rechenschaft ablegen, die in ihnen ist. (1 Petr 3,15) Wenn sie ihre Kirche für einen hoffnungslosen Fall halten, haben sie nicht mehr viel zu melden. Christus ohne Kirche ist ein Geist ohne Körper. Christus widerspricht unserer Hoffnungslosigkeit, indem er uns verspricht, mit uns zu sein bis ans Ende der Welt. Die Kirche mag alt sein, aber ihre Vision ist immer noch neu. Wir brauchen sie, um die Sehnsucht zu nähren, wir brechen von ihr auf, um dem Visionär nachzugehen, der uns Bilder des offenen Himmels zeigt. Wir kehren zu ihr zurück, um auf seine Stimme zu hören und ihm unser Ohr zu leihen, wir vereinen unsere Stimmen und liegen ihm in den Ohren. Nachfolger(innen) werden und andere „in die Kirche bringen“ heißt, Weggemeinschaften bilden, die Jesus nachfolgen. Wenn uns daran nichts liegt, wird die Kirche ein Geisterhaus. Wenn ER uns vorangeht und wir IHM nachfolgen, wird die Kirche wieder zum Haus der Träume. Dann bringen wir mehr Gott in die Kirche.
Nachfolge
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Daniel Seper | Klosterneuburg
geb. 1986, Dr. theol., MA, wiss. Mitarbeiter des Pius-Parsch-Instituts für Liturgiewissenschaft und Sakramententheologie Klosterneuburg
„Mit sanfter Zähigkeit“
Das Leitwort des österreichischen Liturgiepioniers Pius Parsch
„Behutsam, zart, ruhig“, so beschreibt der Duden das Adjektiv sanft. Und zäh ist dem Wörterbuch nach etwas, das „nur sehr mühsam, langsam vorankommt“, das ausdauernd und beharrlich ist. Sanft und zäh, behutsam und beharrlich gleichzeitig. Auf den ersten Blick vielleicht ein ungleiches Paar, bei näherem Hinschauen aber harmonieren die beiden Eigenschaften gar nicht so schlecht und ergänzen einander gut. Für den Augustiner Chorherren Pius Parsch (1884–1954), der sich die Verbindung dieser beiden Begriffe selbst zum Motto seiner Arbeit gewählt hat, hat es sich bewährt, mit sanfter Zähigkeit vorzugehen. Der Wahlspruch hat damals Mut und Hoffnung geweckt, wie ein Vierteljahrhundert nach dessen Tod festgestellt wurde. Er könne auch heute noch als Aufruf und Ermunterung verstanden werden.1
Zu Leben und Wirken von Pius Parsch
Um Pius Parsch besser verstehen und einordnen zu können, erscheint es sinnvoll und hilfreich, zunächst ihn selbst kurz vorzustellen.2 Parsch wurde als Johannes Ev. Bruno am 18. Mai 1884 im heute zur nordmährischen Stadt Olmütz gehörenden Neustift/Nové Sady geboren. Auch wenn in seiner Jugend vieles darauf hindeutete, dass Parsch einen ganz anderen Weg einschlagen sollte, er nämlich Schauspieler werden wollte, trat er in das nieder-österreichische Augustiner Chorherrenstift Klosterneuburg ein und erhielt bei seiner Einkleidung im Alter von 20 Jahren den Ordensnamen Pius. Der Name kann bereits als Vorzeichen gesehen werden, gingen doch wichtige Impulse für Parsch – wie die Förderung einer aktiven Teilnahme am Gottesdienst – auf den damaligen Papst Pius X. zurück. Nach dem Theologiestudium an der Universität Wien und der Hochschule des Stiftes empfing Parsch am 18. Juli 1909 die Priesterweihe. Er wirkte zunächst einige Jahre als Aushilfspriester in der Piaristenpfarre Maria Treu in Wien-Josefstadt, während er an seiner Dissertation zur „Bedeutung des Kreuzestodes Christi nach dem heiligen Paulus“ schrieb. Das Doktorat an der Universität Wien