Das Model und der Walflüsterer. Ava Lennart
Die Fahrt zurück verläuft friedlich. Das Boot passiert noch einige Walgruppen, hauptsächlich Orcas. Meines Handys beraubt, bleibt mir nichts anderes übrig, als mit Valérie und Mister Chang an der Reling zu stehen. Endlich habe ich Augen für die wunderschöne Landschaft und die Tiere in ihrem angestammten Lebensraum. Schnell erreiche ich den gleichen Level an Begeisterung wie Valérie und Mister Chang. Der grässlich unförmige Schutzanzug, in den ich mich doch noch gezwängt habe, hält den kalten Fahrtwind ab. Auch wenn Neils übertriebene Fürsorge langsam nervt, beginne ich, mich zu entspannen. Ich muss zugeben, die Zwangspause ist nötig gewesen. Seit Wochen lebe ich auf einer Adrenalinwelle für die Show meines Modelabels und kann die Tage, die den langen Nächten folgen, nur mit stetigem Koffeinnachschub überstehen. Aber ich habe mir fest vorgenommen, nach der Show wieder mehr Zeit mit meiner Tochter zu verbringen. Dabei verdränge ich den Gedanken, dass „nach der Kollektion“ gleichzeitig „vor der Kollektion“ ist.
Der Walboottyp scheint seine schlechte Laune abgelegt zu haben, seit ich den Overall übergestreift habe. Ich muss zugeben, dass er seinen Job gut macht. Er versorgt die Passagiere mit interessanten Fakten zum Verhalten der Meeressäuger und weist mehrfach auf ein Walforschungsprogramm der University of British Columbia, der UBC, hin. Und er hat eine angenehme Stimme, die selbst der kratzige Lautsprecher nicht verschandeln kann.
„Wussten Sie, dass Schwertwalkühe über 100 Jahre werden können, während die Bullen im Durchschnitt nur 30 durchhalten?“
Mir war nicht bewusst, dass es sich bei der Tour um keine Touristenattraktion handelt, sondern eher um eine Studienfahrt. Jill hat die Fahrt gebucht. Telefonierend bin ich hinter Valérie und Mister Chang aufs Boot gestolpert und habe, wie so oft, nichts anderes wahrgenommen. Außer, dass Mister Chang nicht der ältliche Chinese ist, den ich erwartet habe. Er hat mich mit der intensiven Musterung meines Äußeren aus dem Konzept gebracht. Man sieht dem Mann Wohlstand und Macht an. Unweigerlich habe ich einen Harem an Geishas vor Augen gehabt, in dessen Mitte sich Mister Chang halbnackt räkelt. Das Blut ist mir in die Wangen geschossen und fast habe ich über meine wirren Gedankenspiele hysterisch gekichert. Dann siegte meine Vernunft, schließlich gibt es in China keine Geishas. So kann das nicht weitergehen! Ich benötige dringend Urlaub ... oder einen Mann? Nein, Urlaub. Definitiv.
Tief Luft holend genieße ich die zarten Spritzer der Gischt in meinem Gesicht. Die Sonne schickt warme Frühsommerstrahlen durch die grauen Wolken und die Küstenlinie von Vancouver Island erstrahlt in sattem Grün. Wie schön das aussieht.
„Die Bullen erkennt man übrigens an der größeren, dreieckigen Finne. Ausgewachsene Bullen vertilgen etwa 150 Robben im Jahr. Kein Wunder, dass sie bei der Völlerei früh sterben.“ Die humorvolle Lehrstunde scheint bei Valérie gut anzukommen, denn sie quittiert jede Information mit einem aufmerksamen Nicken. Hochinteressant. Vielleicht wird es mir gelingen, die Französisch-Vokabeln künftig beim Abfragen auch irgendwie in Witze zu verpacken, überlege ich gerade, als mir bewusst wird, dass wir uns wieder Steveston Harbour, dem Anfang und Ende der Tour, nähern. Der Walboottyp lenkt das Boot geschickt in den Hafen. Valérie ist begeistert, als er sie bittet, die Schiffstaue einer Frau, die am Dock offenbar auf das Boot gewartet hat, zuzuwerfen. Die Frau ist nicht besonders groß und hat eindeutig südamerikanische Wurzeln. Zumindest erinnert sie mich an diese Schauspielerin mit der Wahnsinnsfigur und den rehbraunen Augen. Wie heißt die noch gleich? Ah ja: Salma Hayek. Das muss die Geliebte, die Frau oder was auch immer dieses Walboottypen sein. Dem Leuchten auf ihrem Gesicht nach zu urteilen, wenn sie den Mann ansieht. Eine solch rassige Frau habe ich diesem Hafenarbeiter gar nicht zugetraut. Dieser ist jedoch ganz auf den Einparkvorgang konzentriert und reagiert nicht auf ihr Lächeln. Typisch Mann. Als der Motor mit einem letzten Dröhnen erstirbt, schälen sich die Passagiere aus ihren Overalls und verlassen nach und nach das Boot, nicht ohne sich vorher überschwänglich bei dem Bootstypen für die lehrreiche Tour zu bedanken. Auch Valérie, Neil und Mister Chang gehen von Bord und schütteln ihm die Hände.
„Hast du noch Zeit vor deiner Schicht, Alexander?“, fragt die rassige Südländerin den Bootstypen. Endlich habe ich einen Namen für ihn. Alexander also. Passt irgendwie.
„Nicht viel. Ich komme sofort, bring nur schnell das Boot ins Bett.“ Er zwinkert der Schönheit kurz zu und ihr Gesicht überzieht sich mit zarter Röte. Unwillkürlich schmunzle ich. So schön kann Liebe sein. Alexander wendet sich um und runzelt die Stirn, als er mich entdeckt.
„Kann ich noch etwas für Sie tun?“ Ich traue meinen Ohren kaum. Hat der sie noch alle?
„Könnte es sein, dass Sie etwas vergessen haben?“ Es gelingt mir gerade noch, die Schärfe aus meiner Stimme zu nehmen. Er kneift nachdenklich die Augen zusammen, bis ihm anscheinend wieder einfällt, dass er noch mein Handy aus seinem Boot pulen muss. Ich überlege, ob ich Beifall klatschen soll.
Mit einem undefinierbaren Grunzen dreht er sich zu der Frau im Hafen.
„Geh vor, Bobby. Ich hab hier noch etwas zu erledigen.“
Mit langen Schritten kehrt er zur Fahrerkabine zurück. Dabei murmelt er verhalten vor sich hin. Ich ignoriere seine Flüche und folge ihm. Ohne das Motorengeräusch klackern meine High Heels über das Deck. Alexander kniet sich neben die Ritze, in der das Handy liegt. Von hinten beuge ich mich über seine Schulter.
„Sie brauchen ein Werkzeug. Mit den Fingern geht es nicht, das habe ich ja bereits versucht.“ Er holt Luft und ich könnte schwören, er verdreht die Augen. Er schafft es aber, sich mit ausdruckslosem Gesicht zu mir umzudrehen. Hut ab! Mein Blick heftet sich auf seinen fein geschwungenen Mund. Wie fürs Küssen gemacht. Schnell verdränge ich diesen unpassenden Gedanken.
„Wissen Sie was, Lady, Sie gehen am besten von Bord, trinken einen Kaffee und lassen mich das in Ruhe machen.“ Unwillig verziehe ich das Gesicht. Es fällt mir schwer, die Kontrolle zum zweiten Mal an diesem Tag abzugeben. Aber er hat wohl recht. Ich neige zum Klugscheißertum, was Jill oft genug in Rage bringt.
„Okay.“ Er wirkt verblüfft, dass ich mich so widerstandslos seinem Vorschlag füge. Sein Gesicht erhellt sich und er zeigt auf ein Lokal in unmittelbarer Nähe, dessen umlaufende Holzveranda Richtung Hafen zeigt. Seinem Blick folgend, stelle ich fest, dass seine ölverschmierten Finger kräftig, aber schmalgliedrig sind.
„Sehen Sie das Restaurant dort? „The Heidelberg“ gehört meinen Eltern. Gehen Sie doch mit Ihrer Tochter und Ihrem ... Mann dorthin und trinken Sie etwas auf meine Kosten. Sobald ich Ihr Handy geborgen habe, bringe ich es Ihnen.“ Wenn er nicht wütend ist, kann er sogar recht einnehmend sein. Meine Mundwinkel zucken unwillkürlich, als er Mister Chang für meinen Mann hält. Aber ich korrigiere ihn nicht. Wozu auch?
„Also gut. Aber bitte beeilen Sie sich. Ich brauche es schnellstmöglich zurück.“ Ich lächle ihn an und sehe an seiner Miene, dass er über mein Entgegenkommen erstaunt ist. Meine Güte, er muss mich wirklich als Superzicke wahrgenommen haben, wenn er bei diesem dünnen Lächeln erfreut ist. Nachdenklich kaue ich an meiner Unterlippe und betrachte ein letztes Mal das eingeklemmte Telefon. Als ich den Blick hebe, schaut er ertappt weg und fährt sich durchs Haar. Er hat dickes, windzerzaustes, nussbraunes Haar, in das die Sonne einzelne helle Reflexe geblichen hat. Hat er mich etwa beobachtet, wie ich an der Lippe nage? Dieser Typ ist mit dem notorischen Schwerenöter Neil O`Ryan befreundet. Das färbt sicher ab. Er soll gar nicht erst auf dumme Gedanken kommen. Außerdem hat er eine Freundin. Oder Frau? Ich kann mir nicht verkneifen, rasch nach einem Ring an seinen Händen zu suchen. So weit ist es mit mir gekommen, dass mich ein Hinterwäldler reizt. Reiß dich zusammen!
„Sollte es kaputt sein, erwarte ich umgehend Ersatz.“ Ein letztes Mal schaue ich ihn streng an und stöckle dann vom Boot. Mein Abgang ist wegen der hohen Absätze auf der schwankenden Bootsbrücke nicht so souverän, wie von mir beabsichtigt. Aber an seinem fast vertrauten Schnauben, das mich verfolgt, erahne ich, dass mein Plan aufgegangen ist, ihn in die Schranken zu weisen.
THE HEIDELBERG