Adlerholz. Irene Dorfner
und ihn dadurch zu beruhigen.
„Ich repariere den Zaun da vorn an der Straße. Es gibt ja immer etwas zu tun, die Arbeit hört nicht auf.“
Was sollte das Geplänkel? Wen interessiert, was der Alte hier arbeitete? Welche Strategie verfolgt dieser Schwartz? Hoffte er so, an vertrauliche Informationen ranzukommen? Leo Schwartz und dieser alte Mann unterhielten sich noch einige Minuten, aber Waltraud Westenhuber ging das Geplauder fürchterlich auf die Nerven und kam auf den Kern der Sache zurück.
„Was können Sie uns über Herrn Rau sagen?“
„Ein sehr höflicher, freundlicher, ordentlicher und auch hilfsbereiter Mann, obwohl er mit seinen vielen Tätowierungen ziemlich wild aussah und sich die Nachbarn anfangs ganz schön erschreckt haben. Aber sie haben sich alle gut mit ihm verstanden. Er hat seine Miete immer pünktlich bezahlt und es gab nie Ärger mit ihm. Da habe ich schon ganz andere Dinge erlebt, ich könnte Ihnen Geschichten erzählen…“
„Die interessieren uns nicht, wir sind nur wegen Herrn Rau hier,“ sagte Frau Westenhuber genervt. Was war los mit ihr? Leo ärgerte sich über die Frau, von der er eigentlich viel mehr Feingefühl erwartet hätte. Was war denn dabei, sich menschlich auf netter, ungezwungener Ebene mit dem Mann zu unterhalten?
„Der Simon hat mir günstig Brennholz besorgt, denn die Preise sind in den letzten Jahren dermaßen gestiegen, dass man sich das beinahe nicht mehr leisten kann. Außerdem ging er mir oft zur Hand, schließlich kann ich in meinem Alter nicht mehr alles alleine machen. Und wie gesagt, geht bei so einem Haus die Arbeit nie aus. Schon allein die Pflege des Gartens, des Grundstücks und dann auch noch die Hausmeisterarbeiten.“ Er sah den genervten Blick von Frau Westenhuber. „Der Simon war ein feiner Kerl und ich lasse nichts auf ihn kommen. Was ist ihm denn nun zugestoßen?“
„Wir können Ihnen leider lediglich mitteilen, dass er ermordet wurde. Details müssen wir aus ermittlungstechnischen Gründen noch zurückhalten.“
„Er wurde ermordet?“, rief er erschrocken und trat einen Schritt zurück. „Hier bei uns? Wer tut denn so was?“
„Um das herauszufinden, sind wir hier. Wo hatte Herr Rau gearbeitet?“
Leo mochte diesen alten Mann sofort, er erinnerte ihn an seinen Opa, der auch immer in diesen Latzhosen rumlief und immer irgendwo zu arbeiten hatte.
„Im Sägewerk Krug in Unterneukirchen. Er war ganz neu hier in der Gegend und hatte dort seine Arbeit gerade angefangen, als ich ihm vor einem halben Jahr die Wohnung hier vermietet habe. Das tut mir so leid mit dem Simon, ich kann das noch gar nicht glauben, so ein junger Mensch. Ich muss sofort meiner Ilse davon erzählen, die fällt aus allen Wolken.“
Leo machte sich eifrig Notizen, Frau Westenhuber tat nichts dergleichen.
„Haben Sie Zugang zu der Wohnung von Herrn Rau?“
„Selbstverständlich habe ich von allen 6 Wohnungen einen Schlüssel. Schon allein deshalb, falls sich mal jemand aussperrt, und das kommt öfters vor, als Sie denken. Sie können sich nicht vorstellen, was ein Schlüsseldienst in einer Notlage verlangt, das ist der reinste Wucher. Aber ich habe diese Schlüssel niemals gesetzwidrig eingesetzt und bin einfach in die Wohnungen reingegangen, das habe ich niemals gemacht, Ehrenwort.“
„Das glaube ich Ihnen sofort,“ sagte Frau Westenhuber sarkastisch, was der Zeuge Schickl zum Glück nicht zu bemerken schien, denn er ging ihnen voraus, wobei er immer noch den Akkuschrauber in einer Hand hielt. Sie folgten ihm.
„Das ganze Haus gehört Ihnen Herr Schickl?“
„Ja. Eine Geldanlage und auch Altersvorsorge. Meiner Frau und mir gehörte der Grund, als er Bauland wurde. Früher waren das hier alles Äcker und Wiesen. Können Sie sich das vorstellen? Davon ist jetzt nichts mehr zu sehen. Wegen dem Werk in Gendorf wurde Bauland gebraucht, die Arbeiter wollen ja schließlich auch irgendwo leben. Die Kastler Gemeindevertreter haben schnell reagiert und entsprechendes Bauland ausgewiesen, das günstig angeboten wurde. Aus unserem Kastl ist in den letzten 30 Jahren ein hübscher Ort geworden, früher standen hier nur wenige Häuser und es war hier nicht viel los. Aber jetzt haben wir schon weit über 2.000 Einwohner, dazu viele Vereine und Aktivitäten übers ganze Jahr verteilt.“ Max Schickl war sehr stolz auf Kastl und dessen Entwicklung. „Wir als Landwirte müssen später auch von etwas leben; mit dem bisschen Rente kommt man kaum über die Runden. Deshalb haben wir vor 12 Jahren das Haus hier auf unserem Grund gebaut und die Wohnungen vermietet. Unser Neffe hat uns dazu geraten, er arbeitet in Altötting bei der Bank. Wissen Sie, meine Frau und ich haben keine Kinder und er bekommt das später natürlich von uns, wenn wir nicht mehr sind. Nicht, dass Sie glauben, dass unser Neffe einer dieser Erbschleicher ist. Nein, er ist immer nur auf unser Wohl bedacht und besucht uns schon von klein auf regelmäßig, er ist ein guter Junge. Und er hatte absolut Recht mit dieser Geldanlage, von der wir nun in unserem Alter sehr gut leben können.“
Max Schickl sagte das nicht ohne einen gewissen Stolz und er konnte auch stolz darauf sein, denn solch ein Vorhaben war für ihn in seinem Alter bestimmt nicht leicht gewesen. Leo war schwer beeindruckt, denn die Verwaltung, Pflege und auch die Verantwortung waren nicht leicht für einen Mann Mitte 70. Waltraud Westenhuber sagte nichts dazu, ihr war das, was Herr Schickl von sich gab völlig egal, soweit es nicht ihren Fall betraf. Herr Schickl sperrte die Tür einer Wohnung im Erdgeschoss auf.
„Ich lasse Sie nun allein. Wenn Sie mich noch brauchen, finden Sie mich draußen am Zaun. Ich muss heute noch fertig werden, sonst schimpft meine Frau,“ sagte er mit einem Augenzwinkern.
Sie sahen sich in der kleinen 2-Zimmer-Wohnung um und waren überrascht von der modernen Einrichtung und der Sauberkeit. Leo reichte seiner Kollegin ein paar Handschuhe, aber diese hatte ihre bereits übergezogen und machte sich an die erste Schublade im Wohnzimmerschrank.
„Ich habe nichts Besonderes gefunden, überlassen wir den Rest der Spurensicherung. Fuchs wird sich freuen,“ sagte Waltraud Westenhuber und Leo, der ebenfalls nichts gefunden hatte, stimmte ihr zu.
„Wissen Sie, was mich stutzig macht? Dieser Rau hatte alle möglichen technischen Geräte. Alles vom Feinsten, aber keinen Laptop oder Computer.“
„Vielleicht hatte er ihn dabei? Haben Sie Hinweise auf einen Wagen gefunden?“
„In einer Jackentasche habe ich einen Brief der Kfz-Versicherung gefunden. Ich habe eben mit Hans telefoniert, das Fahrzeug ist bereits in der Fahndung.“
„Ansonsten sind hier keine weiteren Unterlagen, ich habe keinen Aktenordner und nicht ein Schriftstück gefunden. Sie etwa?“
Frau Westenhuber schüttelte den Kopf. Auch ihr kam das alles hier viel zu sauber und ordentlich vor – die Sache stank und gefiel ihr überhaupt nicht. Sie versiegelten die Tür und suchten nach Herrn Schickl, der wahrscheinlich immer noch am Zaun arbeitete.
„Warten Sie Herr Schickl, ich helfe Ihnen,“ rief Leo, als er sah, dass der alte Mann ein schweres Brett alleine von einem Lieferwagen zog.
„Das ist aber wirklich nett von Ihnen,“ freute er sich. „Vielen Dank! Das Brett legen wir am besten einfach hier an die Seite.“
„Haben Sie den Wagen von Herrn Rau gesehen?“
„Normalerweise parkt er ihn direkt hier an der Straße, obwohl er eine Garage hat.“
„Eine Garage? Wo ist die?“, fragte Frau Westenhuber sofort, der das Gequatsche des alten Mannes allmählich zu viel wurde. Das war einer der Punkte, die sie am Landleben nicht mochte. Hier unterhielt man sich miteinander und interessierte sich für alles und jeden. Sie hingegen liebte die Anonymität der Großstadt und die Tatsache, dass sie niemanden kannte und sich auch niemand für sie interessierte.
„Gleich hier drüben, ich zeige sie Ihnen. Zu jeder Wohnung gehört eine Garage, darauf hat meine Frau sehr viel Wert gelegt, obwohl wir uns die Kosten auch hätten sparen können, denn gesetzlich wären wir dazu nicht verpflichtet gewesen. Aber meine Frau meint, Garagen gehören dazu. Und was soll ich sagen? Sie hatte natürlich wie immer Recht, denn meine Mieter sind sehr froh darüber. Hier sind wir