Adlerholz. Irene Dorfner

Adlerholz - Irene Dorfner


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sind wirklich die Cousine von unserem Chef?“, fragte Leo Schwartz während des gemeinsamen Mittagessens. Tatsächlich hatte sich die Information wie ein Lauffeuer herumgesprochen.

      „Ja,“ sagte sie knapp und biss in ihr Schnitzel, von dem sie ein großes Stück abgeschnitten hatte und es nun zurückgelehnt aus der Hand aß. „Irgendein Problem damit?“

      „Keineswegs. Mich wundert nur, dass weder Sie noch der Chef ein Wort darüber verloren haben. Ich weiß gerne, mit wem ich es zu tun habe, das ist alles. So wie Sie liebe ich auch die Wahrheit. Aber dieses Verwandtschaftsverhältnis taucht nirgends in den Berichten über Sie auf.“

      „Sie haben sich über mich erkundigt?“

      „Das ist doch selbstverständlich. Wie gesagt, weiß ich gerne, mit wem ich es zu tun habe. Warum ist das zwischen Ihnen und Krohmer so ein Geheimnis? Er hat sie noch nie erwähnt und wir haben Sie auch noch nie bei ihm gesehen, obwohl wir unseren Chef auch privat ab und zu treffen.“

      „Weil es nicht wichtig ist und niemanden etwas angeht,“ schnauzte sie Leo an. „Familie ist nun mal nicht mein Ding, das ist mir viel zu eng.“

      Minutenlang herrschte Stillschweigen, bis Hans die Stille unterbrach.

      „Und Sie wohnen wirklich in einem Wohnmobil hier auf dem Parkplatz?“

      „Ja, warum denn nicht? Ich liebe die Ruhe und meine Unabhängigkeit. Irgendwelche Probleme damit?“

      „Nein, aber ich wundere mich, denn ich kann mir vorstellen, dass das vor allem für eine Frau sehr unbequem und unkomfortabel ist. Wenn ich an die kleinen Nasszellen denke, da passen doch die Kosmetikartikel einer Frau niemals rein, das reicht nicht mal für meine.“

      „Mit welchen Püppchen haben Sie es denn sonst zu tun? Sagen Sie nichts, ich kann es mir schon vorstellen – hübsche, leblose Hüllen ohne Verstand. Ich kann mir schon vorstellen, dass Sie sogar mehr Kosmetikartikel besitzen als ich, als Gockel muss man sich nun mal aufplustern – ich habe das nicht nötig. Außerdem ist es meine Sache, wie ich lebe, das geht Sie überhaupt nichts an.“

      „Und es ist meine Sache, wie ich mich pflege und mit welchen Frauen ich zusammen bin. Und dass eins klar ist: Das sind liebe Frauen und keine dummen Püppchen, das verbitte ich mir! Sie trampeln mit ihrer plumpen, derben Art und ihrem losen Mundwerk über alles und jeden hinweg, aber reagieren empfindlich, wenn es um Sie selber geht. Es war nur eine persönliche Frage. Sie nehmen doch auch kein Blatt vor den Mund und brauchen sich jetzt nicht so künstlich aufzuregen. Schließlich haben Sie sich ja auch ausführlich über uns informiert und uns diese Informationen gleich bei unserem ersten Zusammentreffen um die Ohren gehauen. Persönliche Fragen unsererseits dürfen wohl erlaubt sein, ohne dass Sie sofort ausfallend werden.“

      Hans Hiebler war sauer auf die Frau, die nur zu gerne austeilte, aber scheinbar nicht einstecken konnte. Leo Schwartz und Werner Grössert hatten dem Streitgespräch der beiden interessiert und auch amüsiert zugehört, denn Hans Hiebler ließ sich nur selten dazu hinreißen, unfreundlich und laut zu werden, vor allem nicht Frauen gegenüber. Aber Frau Westenhuber hatte Hans‘ Frauen beleidigt, und in dem Punkt war er sehr empfindlich. Jetzt starrten sie gebannt auf Frau Westenhuber, die erstaunlicherweise sehr ruhig geworden war.

      „Respekt! Endlich sind Sie ehrlich und sagen, was Sie denken. Das mag ich sehr. Es tut mir leid, wenn ich Ihre Damen beleidigt haben sollte, das war nicht meine Absicht. Und ja, ich gebe zu, dass ich bei persönlichen Fragen vielleicht etwas empfindlich reagiere. Ich bin es nicht gewohnt, dass ich über mich spreche und mag es auch nicht. Ich weiß, dass ich nicht einfach bin und schieße ab und zu übers Ziel hinaus. Aber glauben Sie mir, ich meine das nicht so. - Ich bin die Traudl.“

      Sie reichte Hiebler die Hand und zu Leos und Werners Verwunderung nahm er sie an.

      „Hans,“ sagte er nur knapp und musste sich ein Lächeln verkneifen. Er war sich sicher, dass unter dieser rauen Schale ein weicher Kern war und vielleicht war es für ihn irgendwann interessant, herauszufinden, was der Grund für die Härte war, mit der sich die Frau umgab.

      „Alles wieder gut?“

      „Passt schon.“

      „Bier? Heute Abend 20.00 Uhr bei mir im Wohnmobil?“

      „In dieser Blechdose? Auf keinen Fall! Ich hole dich ab und wir gehen in eine urige Kneipe.“

      Frau Westenhuber nickte und widmete sich wieder ihrem Essen. Jetzt schwiegen sie und die Kollegen Schwartz und Grössert konnten kaum glauben, was sich eben vor ihren Augen abgespielt hatte. Mit wenigen gezielten Worten hatte er die Fassade der harten Frau Westenhuber für einen Moment angekratzt und sie aus der Reserve gelockt. Sie sprachen nun nur noch über belanglose Dinge, wobei sich die Atmosphäre zwischen ihnen etwas gelockert hatte. Dann machten sie sich wieder an die Arbeit.

      „Hört mal alle her: Ich habe eben mit einem Mann gesprochen, der offenbar unseren Toten kennt!“, rief Leo Schwartz, während er den Telefonhörer auflegte.

      „Dann nichts wie los,“ sagte Frau Westenhuber mit einem Schokoriegel in der Hand. „Sie und ich, Schwartz!“

      Die Fahrt nach Kastl bei Altötting verlief schweigend. Waltraud Westenhuber aß einen weiteren Schokoriegel und Leo wusste nicht, über was er mit der Frau reden sollte.

      „Mein Gott! Überall sind diese dämlichen Rechts-vor-Links-Regelungen in diesen kleinen Käffern,“ stöhnte Waltraud Westenhuber genervt, als Leo den Wagen durch Kastl lenkte. „Warum kann man hier nicht einfach Vorfahrtsstraßen machen, wie in den Großstädten auch?“

      „Kinder? Ältere Mitbürger? Daran schon mal gedacht? Außerdem gibt es in Dörfern nun mal keine Hauptstraßen. Ich liebe solche kleinen, idyllischen Orte, wo man aufeinander Rücksicht nimmt und sich noch kennt. Nur Geduld, Frau Kollegin,“ sagte Leo mit einem Lächeln, während er demonstrativ anhielt und die alte Dame mit der Gehhilfe über die Straße ließ, „vielleicht sind wir beide in wenigen Jahren schon genau so dran und sind für jede Rücksicht dankbar.“

      „Du lieber Himmel! Sie sind einer dieser Weltverbesserer, die immer nur das Gute in allem sehen? Jetzt sagen Sie nur noch, dass sie die Natur lieben und alle möglichen Tiere sofort streicheln müssen, die Ihnen über den Weg laufen?“

      Leo lachte nur, denn er fand sich und seine Einstellung völlig in Ordnung und würde niemals daran etwas ändern wollen, wobei er Frau Westenhuber bedauerte. Sie sah offenbar immer nur das Schlechte und ahnte überall Böses, während ihr die schönen Dinge des Lebens durch die Finger glitten, sie nichts damit zu tun haben wollte, von ihr sogar nicht einmal wahrgenommen wurden. Sie war ungeduldig, wirkte gehetzt und machte sich einen Spaß daraus, andere vor den Kopf zu stoßen und auflaufen zu lassen, während sie sich selbst die Chance nahm, sich mit wertvollen, interessanten Menschen auszutauschen. Das zumindest war Leos vorläufige Meinung von der neuen Kollegin und er hätte nicht übel Lust, sich mit ihr auseinanderzusetzen. In der momentanen Situation war dafür keine Zeit, aber er nahm sich vor, dies bei einem guten Glas Wein unbedingt irgendwann nachzuholen.

      Sie fuhren an schmucken Einfamilienhäusern mit wunderschönen Vorgärten vorbei, bis sie schließlich ihr Ziel im Grenzweg 7 erreicht hatten. Sie standen vor einem Mehrfamilienhaus, das passend zur Umgebung gebaut wurde. Ein aufgeregter Mann Mitte 70 in Latzhose und Hut kam ihnen entgegen.

      „Sind Sie von der Polizei? Max Schickl mein Name, ich habe Sie wegen dem Toten in der Zeitung angerufen,“ sagte er bemüht hochdeutsch mit einem tiefbayrischen Dialekt.

      „Westenhuber, das ist mein Kollege Schwartz. Sie kennen den Toten?“

      „Ja, ganz sicher. Das ist der Simon Rau, einer meiner Mieter. Ich habe ihn sofort erkannt. Mein Gott, was ist ihm denn zugestoßen?“

      Herr Schickl war sehr aufgebracht und hielt den Akkuschrauber mit beiden Händen fest umklammert.

      „An was arbeiten Sie denn?“ Leo warf einen Blick auf den Akkuschrauber, den er selbst gerne gehabt hätte und sich aber bislang nicht leistete – er kostete ein Vermögen. Er wollte die Situation entspannen, denn er


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