Hotel Amerika. Maria Leitner

Hotel Amerika - Maria Leitner


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Kopf von den Heiligen ihr zu.

      Celestina aber ist erst ganz starr, sie begreift nicht, worauf Shirley abzielt. Hat ihre Tochter etwas vor, was sie ihr nicht verraten will, verheimlicht sie etwas vor ihr? Die Mutter beugt sich über Shirley, sie dringt in sie. „Was willst du denn tun, Shirley? Glaubst du, ich weiß nicht, du hast es schwer hier, dass ich dir nicht etwas Besseres gönne? Du kannst mir doch sagen, was du vorhast!" Shirley bedauert schon, dass sie gesprochen hat. Sie hatte sich fest vorgenommen zu schweigen; nun, mehr wird man aus ihr nicht herausbekommen. „Ich habe das nur so ohne Sinn hergesagt." Celestinas Misstrauen ist damit nicht beseitigt, doch sie will nicht weiter fragen. Patrizia aber winkt Celestina mit den Augen, während sie weiter ihr Gebet murmelt. Ihre Augen schielen unter Shirleys Bett. Sie scheint mehr zu wissen als die Mutter.

      Celestina folgt ihrem Blick und entdeckt nun auch einen Pappkarton.

      Sie zieht ihn schnell hervor, bevor noch Shirley sie hindern kann, öffnet ihn und sieht ein mit Flitter dicht besätes Abendkleid, goldfarbene Abendschuhe und eine Fotografie, auf der Shirley lachend, am Arm eines jungen Mannes, in diesem verheimlichten Kostüm abgebildet ist.

      Shirley springt blitzschnell aus dem Bett und reißt die Fotografie und das Kleid aus Celestinas Händen. Dieses Kleid übrigens, das am Abend sie noch entzückt hatte, erscheint ihr hier im hellen Licht recht armselig, ja lächerlich; aber sie wird bald andere haben, die kein Tageslicht zu scheuen brauchen. Oh, man soll nur ruhig über sie lachen. Celestina denkt angestrengt nach. Der junge Mann auf dem Bild scheint ihr bekannt, sicher ist es ein Gast aus dem Hotel. Was will der von Shirley?

      „Kannst du hier nicht genug Männer finden, die deinesgleichen sind?" Celestina versucht, Shirleys Blicke einzufangen.

      Aber Shirley schaut in die Luft, während sie in das Zimmer hineinschreit:

      „Soll ich vielleicht mit einem Tellerwäscher oder einem Hausmann dasselbe Leben weiterführen, das ich hier genieße? Danke, ich bin nicht ganz auf den Kopf gefallen." Patrizia hat jetzt ihre Gebete beendet; in einem Ton, als murmele sie sie weiter, wendet sie sich an Celestina: „Du hättest deine Tochter heute früh sehen sollen, wie sie nach Hause kam. War die guter Laune! Ich wette, ihr Galan hat nicht mit Alkohol gespart. Ja, die Mädchen, die nur an ihr leibliches Wohl denken, können sich ein gutes Leben leisten. Aber was geschieht später mit ihrer Seele?" Shirley hat ihr rosa Arbeitskleid mit dem großen weißen Kragen angezogen, die Uniform der Wäschermädchen. Ihre dunklen Haare fallen weich auf den Kragen, ihre Haut ist straff und jung, ihre Gestalt schlank. So steht sie vor Patri-

      zia die ein Gesicht wie eine alte gedörrte Pflaume hat, und sieht sie erst wütend aus dunklen Augen an, dann aber muss sie lachen.

      „Du hast sicher Augen in deinem Dutt, denn nichts entgeht dir, obgleich du immer nur deine Heiligen anstarrst. Ich wette, ich werde nie soviel Sünden haben, dass ich die ganze Nacht beten muss, um sie abzubitten. Ihr seid ja nur neidisch, weil euch keiner mehr will."

      Celestina versucht, Shirley an sich zu ziehen: „Shirley, du weißt, was ich von dem Geschwätz der Patrizia halte, aber wozu brauchst du mit Gästen auszugehen? Du lernst nichts Gutes von ihnen, sie lachen dich nur aus, ohne dass du was davon merkst. Du hast dir sicher was Dummes in den Kopf gesetzt."

      Shirley verstopft sich mit den Fingern die Ohren. „Alle Mädchen gehen aus, wenn man sie einladet, — wir wollen doch auch etwas vom Leben haben. Wie konnte ich es nur solange zwischen euch vier alten Frauen aushalten? Überlass nur mir, was ich tue! Ich will heraus aus diesem Dreck, ich will, und es wird auch gelingen." Celestina ist hartnäckig. „Ich will nur wissen, was du vorhast."

      Aber Shirley bearbeitet schon ihr Gesicht mit Creme, pudert sich und zeichnet ihre Lippen nach, während sie einen halberblindeten Spiegel vor das Gesicht hält. Sie ist froh, als Ingrid, das kleine schwedische Stubenmädchen, das mit Celestina auf der gleichen Etage arbeitet, ins Zimmer tritt.

      „Heute arbeitest du in meiner Sektion, Celestina." Ingrid ist noch nicht lange in Amerika. Sie sucht Wärme wie ein kleines verlassenes Tier. „Komm her, Ingrid, ich zeige dir, wie man sich schminken muss", ruft Shirley. „Hast du dich noch nie geschminkt? Willst du, dass alle Leute gleich sehen, dass du eine Eingewanderte bist? Ich werde dich hübsch machen. Gleich siehst du besser aus. Wirst du oft eingeladen von den Gästen? Die alten Damen hier ärgern sich, wenn wir Mädchen mal tanzen gehen. Was sagen dir die Herren?" „Ich verstehe sie oft nicht, sie sprechen so schnell, dann komme ich mir immer sehr dumm vor. Aber jetzt gehe ich in die Abendschule und lerne Englisch."

      Die Glocke in dem Trakt des weiblichen Personals schrillt laut auf. Es ist das Zeichen, dass es an der Zeit sei, jeden Gedanken an das Privatleben auszulöschen. Shirley zieht Ingrid schnell aus dem Zimmer. Sie will den fragenden Blicken ihrer Mutter entfliehen. Alle Türen im Trakt des weiblichen Personals sind geöffnet. Man versucht, auf diese Weise Luft in die überfüllten Räume zu bekommen. Die Türen können offen stehen; niemand hat Geheimnisse zu hüten, und es ist auch vollkommen gleichgültig, ob ein halbes Dutzend oder einige tausend Fremde zusehen, wie man sich an- und auskleidet. In allen Zimmern ist ein abenteuerliches Durcheinander. Alle sind zwar mit den gleichen Betten voll gestopft, in allen stehen die gleichen Blechschränke, doch auf den Kommoden und auf den Betten häuft sich der weggeworfene Tand aus den glänzenden Räumen des Wolkenkratzerhotels. Man sieht großartige, aber schon völlig verwelkte Blumenarrangements, Pfauenfedern, die irgendeiner Modedame als Schreibfeder dienten, zerbrochene Kristallvasen, zerrissene Abendkleider in großartiger Aufmachung, ebenso zerrissene Brokatschuhe mit Strassabsätzen, fantastische Sofakissen mit großen Brandflecken, zerdrückte, zerbrochene Bonbonnieren. Dieses farbige Gerümpel sticht komisch ab von den ärmlichen Habseligkeiten des Personals, den billigen Kleidern, den Heiligenbildern und den alten Postkarten. Die Korridore sind erfüllt von beängstigendem Lärm, von emsiger Geschäftigkeit, von Schreien und Lachen. Tausende schwirren herum. Bunte Farben flimmern durcheinander. Die Wäscherinnen tragen blaue, die Laufmädchen aus der Wäscherei rosa, die Scheuerfrauen gestreifte, die Stubenmädchen weiße, die Kellnerinnen in der Sodaquelle ockergelbe, die in dem Teeraum fliederfarbene Arbeitskleider.

      Die Frauen und Mädchen kommen aus allen Teilen der Stadt, aus ihren dunklen, trostlosen Quartieren, aus der Negerstadt Harlem, aus Chinatown, aus den italienischen und spanischen, aus den deutschen und irischen Vierteln. Alle Nationen der Welt sind vertreten. Man hört die gutturalen Laute der Negerinnen, den singenden Tonfall der Italienerinnen, die weichen Zischlaute der Spanierinnen. Ein Sprachforscher könnte hier alle Dialekte der Slawen entdecken, aber auch hindostanische und armenische, griechische und japanische Sprachen vernehmen.

      Zwischendurch unterhalten sie sich auch in gebrochenem Englisch und werfen sich gähnend, mit noch schlaftrunkener Stimme, immer die gleichen Sätze zu. „Ein schöner Morgen heute." „Ja, wenn man Spazierengehen könnte... " „Huch, die verfluchte Arbeit!" „Ach, ich möchte noch schlafen." „Keine Nacht hat man seine richtige Ruhe." „Ich wünschte, ich könnte diesem dreckigen Lausenest adieu sagen."

      „Habt ihr euch gut amüsiert gestern nacht?" „Oh, ich habe getanzt."

      „Ihr habt es gut, junges Blut, ich bin nach der Arbeit zu müde."

      Shirley zieht Ingrid mit sich. „Kann man das aushalten, ein ganzes Leben lang?"

      Celestina hat die beiden eingeholt. „Du musst mir jetzt sagen, was du damit gemeint hast: ,heute der letzte Tag'." Shirley reißt Ingrid mit sich, sie nimmt einfach Reißaus, sie will nicht antworten.

      Aber weil sie sich doch aussprechen möchte, flüstert sie geheimnisvoll Ingrid zu: „Ich will heute fort aus dem Hotel, nur als Gast komme ich wieder; pass auf, ich werde reich werden. Du wirst von mir ein extra schönes Geschenk bekommen. In Ordnung?" Ingrid löst ihre Hand aus Shirleys Arm. „Ich glaub' das nicht, du machst nur Spaß, willst mich nur uzen."

      Du wirst schon sehen, ich werde wirklich gehen, noch heute, alles dalassen, dies ganze hässliche, schwere Leben. Möchtest du das nicht auch?"

      „Ja, ich möchte auch anders leben, aber nicht so wie du sagst, als Gast hier im Hotel."

      Auf dem Wege an dem Barbierladen für das männliche Personal des Hotels vorbei begegnen die beiden Mädchen Salvatore


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