Hotel Amerika. Maria Leitner

Hotel Amerika - Maria Leitner


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bei einer erstklassigen Hochzeit, der muss über ein tadelloses Äußeres verfügen, mein Herr. Ein Tenor kann einen Bauch haben, ein Liebhaber auf der Bühne krumme Beine, aber ein Kellner im Hotel Amerika muss aussehen, dass die Leute Appetit bekommen, wenn sie ihn erblicken. Wenn Sie nur eine Pustel haben, schickt Sie der Ober nach Hause."

      Der Kerl ist unverschämt, denkt Herr Fish. Aber er lässt sich auf keine weitere Diskussion mehr ein. „Also hören Sie, Sie leihen mir heute abend Ihren Frack, Ihre Nummer und Ihre Arbeitskarte. Ich wette, keiner wird merken, dass ein anderer Kellner zur Arbeit angetreten ist, trotz Ihres vollkommenen Profils. Machen Sie sich also keine Sorgen."

      „Mein Herr, Sie denken, Sie können nur so ohne weiteres über mich verfügen, das Ganze muss noch genau überlegt werden. Wie soll es sich mit meinem entgangenen Verdienst verhalten?"

      „Wie viel pflegen Sie an solchem Abend einzunehmen?" „Na ja, 25 Dollar ist das wenigste", — der „schöne Alex" ist der Meinung, dass es nichts schaden kann, wenn er seine Verdienstmöglichkeiten vergrößert — „multiplizieren wir diesen Betrag mit sechs, und dann will ich noch über die Angelegenheit nachdenken." „Sie wollen mich ganz ausplündern?" „Wir brauchen über die Sache ja nicht weiter zu reden." „Also mit vier."

      „Mit fünf, oder ich spreche kein Wort mehr." Der „schöne Alex" sieht Zahlen vor seinen Augen. Eintausenddreihundertfünfundsiebzig Dollar hat er auf der Sparkasse, kämen heute abend noch die hundertfünfundzwanzig Dollar dazu, so hätte er rund eintausendfünfhundert. Die Hälfte der Summe, die er unbedingt haben will. Mit dreitausend Dollar könnte er in der 81. Straße schon etwas anfangen, aber wann wird er so weit sein? Auf der Sparkasse hat er erst eintausenddreihundertfünfundsiebzig, das sind sechs Jahre Bücklinge, das sind Geschirrwaschen in einem schmutzigen Lokal in Cherry Street, Nachtarbeit in einer Matrosenkneipe in Hoboken, vierzehn Stunden Arbeit bei vierzig Grad Wärme in einem Seebad. Das ist Schöntun bei der Witwe Lohengreen, das sind Entsagungen an freien Tagen, das sind schmutzige kleine Dienste, die schlecht bezahlt werden. Ein Sparkassenbuch über eintausenddreihundertfünfundsiebzig Dollar, das sind sechs Jahre Robot, Qual und Dreck, und er braucht dreitausend. Zum Teufel auch, es wäre Zeit, dass auch er einmal Glück hätte! „Mit vier", sagt Herr Fish, der schon viel auf eine Karte gesetzt hat. „Sie bekommen Ihr Geld, wenn Sie mir die Arbeitskarte und die Uniform übergeben. Was tragen Sie überhaupt für einen Frack?"

      „Mit fünf, dabei bleibt es. Der Frack hat eine dünne Silberborte unter dem Aufschlag. Aber für ihn und die Arbeitskarte müssen Sie extra ein Pfand hinterlassen." „Man muss es Ihnen lassen, Sie verstehen sich auf Geschäfte."

      „Es bleibt also dabei, mein Herr, wenn Sie meine Hilfe unbedingt in Anspruch nehmen wollen — und vergessen Sie nicht das Pfand. Kommen Sie heute abend zu mir. Hier ist meine Adresse. Sie können sich bei mir ankleiden, und ich werde Sie ein wenig abrichten, denn ein perfekter Kellner sind Sie nicht, ich habe gute Augen für so was. Ja, und was ich fast vergessen hätte: können Sie auch etwas Französisch parlieren? Wir Kellner, versteht sich, dürfen bei einer so feinen Gesellschaft nur französisch sprechen." „Auch darüber brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Ich war drüben mit der Armee, habe geholfen, Ordnung zu schaffen, hehe."

      „Na, dann ist ja alles in Ordnung."

      „Möglicherweise aber werde ich Ihre Dienste nicht einmal benötigen. Ich bereite mich nur auf alle Fälle vor, Sie werden natürlich auch dann entschädigt, beruhigen Sie sich. Nur müssten Sie in dem Fall allerdings doch heute abend arbeiten."

      Drittes Kapitel

      Heinrich Klüter aus Hamburg und Fritz Globig aus Berlin sitzen im Vorzimmer des „Timekeeper" („Zeithalter"), des Mächtigen, der darüber zu entscheiden hat, wer in das Hotel Amerika zur Arbeit aufgenommen werden kann. „Nur keine Bange", sagt Heinrich Klüter zu seinem Freund. Aber die hat ja Fritz gar nicht, obgleich er auf Arbeit wartet wie ein Hund auf ein Stückchen Knochen. Er ist mager und schlecht in Schale, und er hat schon die Erfahrung gemacht, dass solche Arbeitskräfte nicht gerade begehrt sind. „Sie sind zu schwach", diesen Satz bekam er immer wieder zu hören, als er nach seiner Krankheit, die ihn stark abgezehrt hatte, auf die Arbeitsuche ging. „Sie sind zu schwach." Das bedeutet: Du kannst ruhig verhungern, mein Lieber, aus dir kann man doch nicht viel Arbeit herauspressen! Ja, er hat eine scheußliche Zeit hinter sich. Im Anfang wollte er nicht daran glauben, dass sich keine Arbeit für ihn finden würde.

      Den ganzen Tag lief er die 6. Avenue auf und ab. Man hätte meinen können, dass hier die Arbeit einfach auf Stellungsuchende warte. Eine Agentur neben der anderen. Ganze Häuser vollgeklebt mit Zetteln, kleinen weißen Zetteln: Koch gesucht, Geschirrwäscher gesucht, Portier gesucht, Hausdiener gesucht. Am ersten Tag war Fritz mächtig begeistert von diesen vielen Zetteln, die alle Arbeit anboten. Aber oben in den Agenturen verlangten sie überall erst Geld. Leicht gesagt, — von wo hätte er Geld hernehmen sollen. Er versuchte, das Herz der Vermittler zu erweichen, versprach, später das Doppelte zu zahlen. Aber die hatten wohltrainierte Ohren.

      „Nicht zu machen, mein Junge." Andere, erfahrenere Arbeitsuchende beruhigten ihn. „Glaub nur ja nicht, dass du schon Arbeit hast, wenn die dir dein Geld abknöpfen. Wir haben gezahlt; aber glaubst du, deshalb hätten wir Arbeit? Jetzt können wir unserem Geld nachlaufen. Die vielen weißen Zettel sind nur Lockspeise." „Ja, besonders dann, wenn sie merken, du bist ein Grünhorn, kannst du allerlei erleben."

      Fritz ist schon ungeduldig, er möchte endlich wissen, ob er heute Glück haben wird. Glück! Wenn man durch schwere, harte Arbeit gerade so viel verdient, dass man nicht verhungert, so hat man schon „Glück". Eine verrückte Welt das!

      Es dauert aber lange, bis man zu dem „Zeithalter" vorgelassen wird.

      Eine komische Bezeichnung: „Zeithalter". Da sitzt einer und hält die Zeit fest, gebietet über die Zeit, über unsere Zeit. Wir müssen dankbar sein, wenn er uns ein Stück Zeit hinwirft, in der wir arbeiten dürfen. „Ich bring' dich schon herein", lässt sich wieder Heinrich vernehmen, „ich arbeite hier lange genug, die werden schon auf mich hören."

      „Man muss es erst am eigenen Leibe erfahren, dann begreift man, wie irrsinnig unsere Welt eingerichtet ist." Darin gibt Heinrich seinem Kameraden recht. Heinrich Klüter ist seit drei Jahren Nachtwächter im Hotel Amerika. Er hat eben seine Nachtarbeit beendet. Sein Gesicht ist grünfahl, und unter seinen geröteten Augen lagern schwere Tränensäcke. Heinrich hat seit drei Jahren keine Nacht geschlafen. Sein verantwortungsvoller Posten verleiht ihm eine gewisse Würde. Mit einer Laterne, einem Revolver und einer Alarmglocke am Gürtel durchwandelt er Nacht für Nacht die Korridore des Wolkenkratzers. Jedes Stockwerk des Hotels wird lautlos von den Nachtwächtern umkreist, nichts darf unbemerkt geschehen. In den ersten Nächten empfand Heinrich Klüter vor allem in den frühen Morgenstunden ohnmächtigen Neid, wenn er das gleichmäßige Atmen, das Schnarchen der Gäste hinter den geschlossenen Türen hörte.

      Langsam aber gewöhnte er sich an die Nacht. Sobald es still und ruhig um ihn wurde, schärfte sich sein Ohr. Der Tag konnte alles verbergen und war übertäubt von Lärm und Geschrei, zuviel Geräusche machten ihn stumm. Die Nacht aber machte alles wieder klar. Die Menschen, die tagsüber taten, als wären sie Maschinen, hörten auf, sinnlos zu rattern und verrieten ihr wirkliches Sein. Der Nachtwächter Heinrich Klüter, dessen Amt und Aufgabe es war, nachts vor geschlossenen Türen zu horchen, wurde ein Weiser. Er kannte die Auflösung, die Fäulnis unter der glänzenden Oberfläche des Tages. Er hätte vieles erzählen können, von Leid und Jammer, von geheimen Tragödien, aber er schwieg. Nur — er konnte nachts nicht mehr schlafen. Auch dann nicht, wenn es ihm erlaubt war; er musste, er wollte wachen. Heinrich Klüter hatte auch während einer freiwilligen Nachtwache Fritz, der jetzt neben ihm saß, kennen gelernt. Es war in einer seiner freien Nächte, auf die er zweimal im Monat Anspruch hatte.

      Die Wache hielt er in dem Hotel, in dem er selbst wohnte. „Onkel Sams Hütte" hat allerdings nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem Hotel Amerika. Die Bezeichnung ist keineswegs zu bescheiden, obgleich die meisten Gasthäuser ähnlichen Ranges bedeutend hochtrabendere Namen führen und sich „Palace" und „Grand" nennen, als dienten sie Luxusbedürfnissen.

      „Onkel


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