Flug in den Weltraum. Dominik Hans
Professor. Sie haben uns den Weg gewiesen und seine Gefahren gezeigt. Immer das große Ziel vor Augen, wollen wir ihn vorsichtig beschreiten.«
»Ich danke Ihnen, Herr Yatahira. Ich kenne Ihre Gewissenhaftigkeit und wünsche Ihnen den besten Erfolg für Ihre Arbeiten.« Lüdinghausen streckte dem Japaner die Rechte entgegen und fühlte den kräftigen Druck von dessen Hand in der seinen. »Es wird Zeit, an unsere Arbeit zu gehen«; er erhob sich und gab damit das Zeichen zum Aufbruch. Die Mittagsstunde im Kasino war beendet.
Chefingenieur Grabbe und Dr. Thiessen schritten im Schein der Frühlingssonne über einen weitläufigen Hof nach der Halle hin, in der sich ihre Arbeitsstelle befand.
»Was haben Sie, Kollege?« fragte Grabbe den Doktor, »Sie machen ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter.«
»Ich ärgere mich über Lüdinghausen«, brachte Thiessen brummig heraus, »er sagt den Herrschaften aus Tokio Elogen, als ob sie Gott weiß was wären und könnten; für uns findet er selten ein Wort der Anerkennung.«
»Er wird seine Gründe dafür haben, mein lieber Thiessen. Ich glaube sogar, daß er das heute bei Tisch nicht ohne eine bestimmte Absicht gesagt hat.«
»Wie meinen Sie das?« unterbrach ihn Thiessen.
Grabbe lachte: »Sie kennen sicher auch die Geschichte von dem japanischen Schneider, der den Auftrag bekam, für ein englisches Kriegsschiff zwanzig Paar Schifferhosen zu liefern, und weil . . .« »Olle Kamellen, Grabbe! Weil auf der Hose, die er als Muster bekam, ein Flicken war, setzte er auch auf die zwanzig neuen Hosen Flicken. Was hat das mit den Herren Yatahira und Saraku zu tun?«
»Japanische Gewissenhaftigkeit, Kollege. Manchmal etwas übertrieben, wie die Geschichte von den Flicken beweist, aber immerhin . . . Lüdinghausen kann sicher sein, daß Yatahira und Saraku sich genau an die Vorschriften halten, während . . .«
»Wollen Sie etwa behaupten, Herr Grabbe, daß das bei uns nicht der Fall ist?«
»Stopp, Doktor! Bitte halb so wild! Ich meine nur, daß unsere Leute nicht die Engelsgeduld der Söhne Nippons besitzen . . . daß sie in dem mir durchaus verständlichen Bestreben, möglichst schnell zum Ziel zu kommen, vielleicht nicht immer die notwendige Vorsicht bei den Versuchen walten lassen.«
»Sie dürfen überzeugt sein, daß Ihre Befürchtung grundlos ist«, verteidigte Dr. Thiessen seine Leute.
Als dieses Gespräch auf dem Werkhof stattfand, waren die beiden Assistenten Thiessens im Laboratorium bereits bei der Arbeit. Während Dr. Hegemüller vor einer Mikrowaage stand, hantierte Dr. Stiegel mit einem Bunsenbrenner, der nicht recht so wollte, wie er sollte.
»Das Ding funktioniert nicht; damit können wir die Röhre nicht zuschmelzen«, meinte er nach längerem vergeblichem Bemühen. »Ich will zum Kollegen Rieger gehen und sehen, daß ich da einen besseren Brenner bekomme.«
Dr. Hegemüller, der eben im Begriff war, den Zusatz für die Antikathode abzuwiegen, nickte und schaute seinem Kollegen einen Augenblick nach, als der den Raum verließ. Wirklich nur einen Augenblick, aber während dieses kurzen Momentes war ihm etwas mehr von dem Zusatzstoff in die Waagschale gefallen.
Dr. Hegemüller stutzte, als er es bemerkte. Sollte er die Wägung von neuem beginnen . . . oder sollte er diesen Zufall als einen Wink des Schicksals nehmen? Gedanken, die er in diesen letzten Wochen und Tagen schon öfter als einmal gedacht, gingen ihm durch den Kopf . . . wir kommen nicht vom Fleck, wenn wir in der alten langsamen Weise weitermachen . . . andere kommen uns vielleicht zuvor, wenn wir nichts riskieren. Als ob er unter einem Zwang handle, schüttete er den ganzen auf der Waage liegenden Zusatzstoff zu dem bereits vorher abgewogenen Metallstaub, vermischte das Ganze sorgfältig und gab es in eine Preßform. Als Dr. Stiegel mit einem anderen Brenner zurückkam, lag die neue Antikathode fix und fertig auf dem Tisch.
»Schon fertig, Kollege?« sagte der, »dann wollen wir nur kräftig weitermachen. Thiessen kann jede Sekunde vom Kasino zurückkommen.« Schnell und exakt gingen ihnen die hundertmal geübten Griffe von der Hand. Eine Quecksilberdampfpumpe arbeitete, um die Röhre luftleer zu machen, und in der Bunsenflamme war sie im Augenblick wieder zugeschmolzen.
»So, nun wären wir soweit«, meinte Dr. Stiegel, während er die Brennerflamme ausdrehte. »Wir können Hochspannung auf die Röhre geben.«
»Gut, Kollege!« Noch während er es sagte, ging Hegemüller zu einer Schalttafel und begann an Hebeln und Regulierwiderständen zu hantieren.
»Achtung, Stiegel, Strom kommt auf die Röhre«, rief er und legte den letzten Hebel gerade in dem Augenblick um, in dem sich die Tür öffnete und Chefingenieur Grabbe zusammen mit Dr. Thiessen in die Halle kam. Nur wenige Meter hatten die beiden zurückgelegt, als sie jäh den Schritt verhielten, wie gebannt von dem Schauspiel, das in knappen Sekunden vor ihren Augen abrollte.
Eben noch hatte die Röhre in mattgrünem Licht geleuchtet. Jetzt glühte die Antikathode auf, rötlich und gelblich zuerst noch, im nächsten Moment schon hellweiß.
»Abschalten!« wollte Thiessen eben noch schreien, doch es war schon zu spät. Mit einem Knall, kurz und scharf wie ein Büchsenschuß, platzte der Glaskolben auseinander; nach allen Seiten hin fegten ihre Splitter durch den Raum. Ein schweres Stück flog nach oben und durchbrach das Glasdach der Halle, daß es auch von dort her Scherben regnete. Geblendet und betäubt von dem, was auf ihre Augen und Ohren eindrang, standen Thiessen und Grabbe da, brauchten einige Zeit, um sich zu fassen und ihrer Sinne wieder Herr zu werden.
Wie das Unheil geschehen war, blieb ungeklärt, denn im ersten Schreck war Dr. Hegemüller gegen die Schalttafel getaumelt und hatte dabei Hebel verschoben, so daß sich die Spannung, die im Augenblick der Explosion auf der Röhre lag, nicht mehr feststellen ließ.
»Sie haben eine Fehlschaltung gemacht, Kollege! Sicher viel zu hohe Spannung auf die Röhre gegeben«, sagte Thiessen, aber Hegemüller wies den Vorwurf entschieden zurück, und Thiessen konnte ihm nichts beweisen. Inzwischen hatte der Chefingenieur sich den Schaden näher besehen. Ein paar Glassplitter, ringsumher auf dem Boden verstreut, das war alles, was von der Röhre noch zu finden war. Darunter eine etwas größere Scherbe, in deren Höhlung eine etwa walnußgroße Menge eines weiß schimmernden Metalles lag.
»Wo ist das übrige geblieben?« fragte Thiessen, dem er es zeigte. »Wenigstens das Zehnfache mußte als Kathode in der Röhre sein.«
Hegemüller wies nach oben. »In die Luft gegangen, Herr Grabbe. Durchs Dach 'raus. Irgendwo draußen müssen wir's finden.« »Suchen Sie, meine Herren«, ordnete der Chefingenieur an. »Es ist wichtig, daß wir auch das andere finden; es wäre unerwünscht, wenn es in unrechte Hände fiele.«
»Machen wir uns auf die Suche!« trieb Thiessen seinen Kollegen Hegemüller an. »Allzu weit können die Fetzen kaum geflogen sein; ich denke, daß wir sie draußen in der nächsten Umgebung der Halle finden werden.«
Die Halle, in der Dr. Thiessen sein Laboratorium hatte, stand frei auf einem gepflasterten Werkhof, so daß es nicht schwer war, ihre Umgebung nach allen Seiten hin abzuschreiten. Bald hier, bald dort sahen Dr. Stiegel und Hegemüller im hellen Schein der Frühlingssonne auch Scherben aufblitzen und machten sich daran, sie sorgsam einzusammeln. Aber die wenigsten dieser Splitter und Splitterchen stammten von der Röhre, das meiste rührte von dem beschädigten Glasdach der Halle her. Dasjenige aber, nach dem sie am eifrigsten ausspähten, das fehlende Kathodenmetall, konnten sie trotz eifrigsten Suchens nirgends entdecken. Es war und blieb verschwunden.
Nach dem Verlassen des Kasinos befanden sich Yatahira und Saraku auf dem Weg zu ihrer Arbeitsstätte, die etwa hundert Meter von dem Laboratorium Thiessens entfernt lag.
»Was halten Sie von den Worten Lüdinghausens?« fragte Yatahira im Gehen seinen Landsmann.
»Er hat uns über unser Verdienst gelobt, Yatahira. Ich merkte wohl, daß es Doktor Thiessen nicht angenehm war.«
Yatahira nickte. »Das ist begreiflich, Saraku. Thiessen konnte einen Vorwurf für sich aus den Worten herauslesen.«
»Sie