Flug in den Weltraum. Dominik Hans
möchte einen schnellen Erfolg erzwingen. Ich glaube, er sieht es nicht gern, daß wir an der gleichen Aufgabe arbeiten wie er.«
»Es wäre schön, wenn wir ihm zuvorkommen könnten. Es wäre ein großer Erfolg für unsere Wissenschaft und nicht zuletzt auch für uns, Yatahira. Man würde uns vielleicht in Nippon an eine Universität berufen, wenn uns die Lösung dieser Aufgabe gelänge.«
»Sie haben recht, Saraku, aber bei der Art, wie wir jetzt vorgehen, nach der Mahnung Lüdinghausens unbedingt vorgehen müssen, werden wir schwerlich die ersten sein.«
Saraku stand im Begriff, etwas zu erwidern, als ein Klirren und Splittern ihn aufhorchen ließ. Auch Yatahira blickte auf und sah, wie einige Scheiben des Glasdaches über der großen Halle in Scherben gingen. Er tauschte einen Blick mit Saraku.
»Die Warnung Lüdinghausens war berechtigt. Sie haben bei Thiessen das kritische Mischungsverhältnis überschritten. Ah, was ist das?«
Der Japaner bückte sich und hob eine kleine gewölbte Scherbe auf, die unmittelbar vor seinen Füßen niedergefallen war. »Sehen Sie, Yatahira! Das sieht wie ein Bruchstück von einer Röhre aus. Auch ein wenig Metall haftet noch an dem Glas. Zweifellos ist bei Thiessen eine Röhre explodiert.«
Yatahira nahm ihm die kleine Scherbe aus der Hand und ließ sie in seiner Tasche verschwinden.
»Was wollen Sie damit?« fragte ihn Saraku.
»Sofort untersuchen, Saraku. Kommen Sie!« Er drängte den anderen zur Eile. »Wir wollen im Laboratorium das Mischungsverhältnis feststellen. Das könnte uns von Nutzen sein.«
»Sie haben recht, Yatahira. Es wird uns danach schneller gelingen, den kritischen Punkt der Mischung feststellen.«
Mit beschleunigten Schritten erreichten die beiden ihren Arbeitsraum, einige Minuten früher, als Thiessen mit seinen beiden Assistenten auf die Splittersuche ging.
»So, meine Herren! Jetzt sind wir unter uns, jetzt bitte 'raus mit der Sprache! Was ist hier geschehen?«
Dr. Thiessen sagte es, sobald Chefingenieur Grabbe die Halle verlassen hatte, und blickte dabei abwechselnd seine beiden Assistenten an. Als er auf seine Frage keine Antwort erhielt, fuhr er in schärferer Tonart fort: »Es gibt nur zwei Möglichkeiten. Entweder falsche Mischung oder falsche Schaltung. Geschaltet haben Sie, Herr Hegemüller. Haben Sie die Mischung zusammen hergestellt?«
Jetzt endlich fand Dr. Stiegel Worte. »Ich war nicht dabei, Herr Thiessen«, verteidigte er sich. »Ich mußte einen Bunsenbrenner aus dem Labor von Rieger besorgen. Während ich abwesend war, hat Herr Hegemüller die Mischung fertiggemacht.«
»Aha, mein lieber Freund! Dann geht die ganze Geschichte also auf Ihr Konto«, wandte sich Thiessen an Dr. Hegemüller. »Nun beichten Sie mal, was Sie da versiebt haben«, fuhr er fort, als er sah, daß Hegemüller einen roten Kopf bekam. »Ich frage Sie jetzt nicht als Vorgesetzter, sondern als Ihr Kollege. Was Sie mir zu sagen haben, bleibt unter uns.«
»Nun . . . also, Herr Thiessen . . . ich hatte das langsame Vorwärtstasten satt. Ich habe bei diesem letzten Versuch die Menge des Zusatzstoffes verzehnfacht.«
Dr. Hegemüller atmete erleichtert auf, als er das Geständnis heraus hatte, und eine Minute wohl herrschte allgemeines Schweigen.
»Verzehnfacht?! . . . Mann! . . . Wissen Sie, was das bedeutet? . . . Gott versuchen heißt das! Haben Sie gar nicht an die Gefahr gedacht, der Sie sich und uns alle durch Ihren Leichtsinn aussetzten? Erst vor einer halben Stunde hat uns Lüdinghausen gewarnt . . . hat noch besonders darauf aufmerksam gemacht, daß wir die Zusatzmenge nur milligrammweise vergrößern dürfen, und Sie gehen einfach hin und verzehnfachen die Dosis! . . . Danken Sie ihrem Schutzengel, daß Sie noch am Leben sind. Das hätte auch anders und viel schlimmer ausgehen können.«
Während Thiessen sprach, hatte Hegemüller seine alte Unbekümmertheit zurückgewonnen. »Es ist ja nichts Besonderes passiert, Herr Thiessen«, meinte er beschwichtigend. »Ein paar Scherben hat's gegeben, und eine Röhre ist zum Teufel gegangen, aber dafür sind wir mit einem Schlag ein gutes Stück weitergekommen.«
»Sie sind unverbesserlich, Hegemüller«, sagte Thiessen kopfschüttelnd. »Ich kann es Ihnen heute schon prophezeien: Wenn Sie so weitermachen, werden Sie nächstens noch mal in die Luft fliegen. Ich habe Ihnen versprochen, daß die Sache unter uns bleibt, aber halten Sie sich in Zukunft genau an die Vorschriften.«
Damit war die Angelegenheit für Dr. Thiessen erledigt, und sein Interesse wandte sich dem kleinen Stück Kathodenmetall zu, das von der zertrümmerten Röhre übriggeblieben war.
»Nun wollen wir mal untersuchen, was Sie da zusammengeschmort haben«, fuhr er in umgänglicherem Ton fort. »Aber auch dabei wollen wir vorsichtig sein. Ich vermute, daß das Zeug stark radioaktiv ist.«
Die nächsten Stunden war Dr. Thiessen zusammen mit seinen beiden Assistenten beschäftigt, den neuen Stoff zu untersuchen. Schon die erste Prüfung ließ eine derartig intensive Strahlung erkennen, daß sie es für ratsam hielten, den stärksten Bleischutz, der im Laboratorium vorhanden war, anzulegen.
Öfter als einmal wiederholten sie ihre Messungen, weil die gefundenen Ergebnisse sie unglaublich dünkten, und immer wieder mußten sie dabei unerwartete, bisher noch niemals beobachtete Erscheinungen feststellen.
Erst als die Werksirene den Schluß der Dienststunden anzeigte, unterbrach Thiessen die Arbeit. Sein Gesicht war gerötet, und seine Augen glänzten wie im Fieber, während er zu Hegemüller zu sprechen begann.
»Sie haben Kopf und Kragen riskiert, Kollege, aber der Erfolg rechtfertigt Ihr Wagnis. Wir sind heute in der Tat ein gewaltiges Stück vorwärtsgekommen . . . ich sage vorwärtsgekommen, denn am Ziel sind wir noch nicht. Es wird noch mehrerer und, wie ich fürchte, nicht ungefährlicher Versuche bedürfen, um das zu erreichen. Vor allen Dingen aber bitte ich Sie und auch Sie, Herr Doktor Stiegel, über unsere heutigen Ergebnisse absolutes Stillschweigen zu bewahren. Ein einziges unvorsichtiges Wort könnte großen Schaden anrichten. Versprechen Sie mir in die Hand, daß Sie schweigen werden.«
Verwundert zuerst über den Eifer und betreten danach über den Ernst, mit dem Thiessen zu ihnen sprach, gaben seine beiden Mitarbeiter ihm das verlangte Ehrenwort.
»Ich freue mich auf die Arbeit der kommenden Wochen und Monate, meine Herren«, sagte Thiessen, während sie gemeinsam das Laboratorium verließen. »Mir schweben ganz neue Möglichkeiten vor. Ich will Ihnen nicht zu nahetreten, Kollege Hegemüller, aber ich muß lebhaft an die blinde Henne denken, die zuweilen auch ein Korn findet.«
Dr. Hegemüller unterdrückte die Antwort, die ihm auf den Lippen lag. Ich war nicht blind, mein Lieber, ging's ihm durch den Kopf. Ich habe genau gewußt, was ich wollte und was ich riskierte . . . und ich glaube, ich ahne auch einiges von den Möglichkeiten, von denen du jetzt sprichst.
* * *
»Warum tun Sie das?« fragte Saraku, als Yatahira nach dem Betreten ihres gemeinsamen Arbeitsraumes die Tür abschloß. Die Miene Yatahiras blieb unverändert, während er antwortete.
»Es hat uns schon öfter gestört, wenn bei den Feinwägungen unerwartet jemand die Tür öffnete. Die empfindliche Waage spricht auf die geringen, dabei unvermeidlichen Erschütterungen an. Die Meßergebnisse werden ungenau, das müssen wir vermeiden.«
Noch während er sprach, hatte Yatahira die vor kurzem gefundene Scherbe aus der Tasche gezogen und beschaute sie prüfend durch die Lupe.
»Es ist sehr wenig, Saraku«, begann er nach einer längeren Untersuchung. »Nur hauchdünn sitzt das Metall auf dem Glas. Es wird nicht leicht sein, das Mischungsverhältnis festzustellen.«
Saraku konnte seine Enttäuschung nicht verbergen. »Nur so wenig?« begann er zögernd. »Draußen schien es mehr zu sein.«
»Das Tageslicht täuschte, Saraku. Wir sahen in der Sonne die Metallfläche schimmern, ohne die Feinheit der Schicht zu erkennen. Erst unter der Lupe