Flug in den Weltraum. Dominik Hans
Metall hat es fertiggebracht. Auch das Papier fällt wie Staub auseinander.« Er wischte mit der Hand darüber, und unter einer grauweißen Staubschicht kam das Metall des Brockens zum Vorschein.
»Ah, das ist bemerkenswert«, meinte O'Neils und vertiefte sich in das Protokoll, das Watson und Jones am vorangegangenen Tag über ihren Fund abgefaßt hatten. Als er mit der Lektüre fertig war, schnitt er das Blatt aus dem Notizbuch heraus und klebte es in ein neues Protokollbuch.
»So, meine Herren«, sagte er, nachdem das geschehen war, »jetzt wollen wir weiteruntersuchen. Kommen Sie mit in das Laboratorium. Wir wollen den Stoff gemeinsam analysieren.«
Für die nächsten Stunden ging es jetzt in dem Laboratorium in Washington ganz ähnlich zu wie achtzehn Stunden vorher an Dr. Thiessens Arbeitsstätte in den Gorla-Werken, denn hier wie dort erregten die gefundenen Resultate immer wieder Verwunderung und Kopfschütteln. Weiter ergab die Untersuchung, daß es sich bei der merkwürdigen Substanz um einen bleiähnlichen, radioaktiven Stoff handelte, der in einem ganz außergewöhnlich lebhaften Zerfall begriffen war und unaufhörlich Protonen, Neutronen und Elektronen mit einer bisher noch niemals beobachteten Geschwindigkeit ausschleuderte.
»Ich wundere mich nicht, daß dieses Bombardement Ihrem Rock schlecht bekommen ist«, sagte O'Neils, während er das Ergebnis der Messungen niederschrieb. »Protonen, die fast mit Lichtgeschwindigkeit in den Raum spritzen, müssen verheerend auf die Umgebung wirken. Auch für die Gewichtsdifferenz sehe ich jetzt die Möglichkeit einer Erklärung. Die abgeschleuderten Protonen üben auf das Metall natürlich einen Rückstoß aus . . . Wir haben es hier mit einer Art von Atomrakete im kleinen zu tun, das scheint mir jetzt ziemlich sicher zu sein . . . Aber noch bleibt die Frage offen: Wo stammt das Stück her?«
»Vielleicht aus dem Weltraum?« Jones wiederholte damit die Vermutung, die er bereits gestern Watson gegenüber geäußert hatte.
»Wäre es nicht möglich«, fuhr er fort, »daß wir ein Sprengstück von einer Sternenkatastrophe vor uns haben? . . . daß dieser Brocken hier als der Zeuge eines fernen Weltunterganges nach einem Flug von tausend oder zehntausend Jahren zu unserer Erde kam?«
O'Neils schüttelte den Kopf. »Impossible, my dear! Dafür ist seine Form zu regelmäßig. Eine Bearbeitung durch Menschenhand ist unverkennbar. Ein Meteorit müßte anders aussehen. Das Stück scheint durch irgendwelche Gewaltwirkung aus einer größeren Platte herausgerissen worden zu sein.«
Die Äußerung O'Neils' gab Watson Veranlassung, mit seiner Theorie herauszukommen. Er vertrat die Meinung, daß es von den rotierenden Teilen eines Flugkörpers abgeschleudert worden sei, traf dabei aber auf den lebhaften Widerspruch von Jones und O'Neils.
»Ein Flugzeug war nicht zu sehen, Henry«, unterbrach ihn Jones, »wir hätten auch etwas von ihm hören müssen, wenn es dagewesen wäre!«
»Mag es dagewesen sein oder nicht«, mischte sich O'Neils wieder ein, »jedenfalls bestehen die Teile eines Flugzeuges nie und nimmer aus einem derartig radioaktiven Stoff, wie wir ihn hier vor uns haben. Ihre Hypothese ist nicht haltbar, Mr. Watson.«
»Zum Teufel, wo stammt der verdammte Brocken her?« murmelte Jones vor sich hin.
Professor O'Neils sprach weiter. »Es ist ein Erzeugnis von Menschenhand, also muß das Stück von einer menschlichen Arbeitsstätte herstammen. Das ist doch unbestreitbar?« fügte er wie fragend hinzu. Watson und Jones nickten schweigend Zustimmung.
»Dann wäre weiter aufzuklären, wie das Stück so hoch in die Luft gelangte«, führte O'Neils seine Schlußkette weiter. »Eine Idee, meine Herren! Es könnte durch eine Explosion hochgeschleudert worden sein . . . jawohl! Das ist die einzige Möglichkeit. Wir müssen Erkundigungen einziehen, ob und wo in der Umgebung von Washington eine Explosion stattgefunden hat. Wenn wir das erfahren, werden wir dem Ursprung dieses Stückes auch auf die Spur kommen.«
Professor O'Neils hatte seine Folgerungen logisch aufgebaut und war mit seinen Vermutungen auch ziemlich dicht an die Wahrheit herangekommen. Nur darin war ihm ein Irrtum unterlaufen, daß er an eine Explosion in der Nähe von Washington dachte. Aber freilich war es dem Brocken, der da harmlos und unscheinbar vor ihm auf dem Tisch lag, ja auch nicht anzusehen, daß er bereits einen Flug von viertausend Meilen hinter sich hatte, als er in den Vernon Hills eine Konservenbüchse und einen Teller zerschlug. Es sollten noch Wochen vergehen, bevor Professor O'Neils die richtige Fährte fand.
* * *
2
Dr. Thiessen konnte sich zwar auf die Verschwiegenheit seiner Assistenten verlassen, aber außer diesen hatte auch Chefingenieur Grabbe die Explosion mit angesehen und es für seine Pflicht erachtet, Professor Lüdinghausen darüber Bericht zu erstatten. So kam es, daß Thiessen bereits am Morgen des nächsten Tages von dem Professor zu einer Unterredung gebeten wurde.
»Da haben wir die Bescherung«, meinte er mit einem Seitenblick auf Hegemüller, während er den Hörer wieder auf die Gabel legte. »Grabbe hat Ihre Heldentat natürlich nicht für sich behalten. Jetzt werde ich wohl von Lüdinghausen eine bessere Standrede zu hören bekommen.«
Er streifte den weißen Kittel ab und machte sich zum Gehen bereit, als Hegemüller ihn bat: »Ich möchte Sie begleiten, Herr Doktor Thiessen.«
Thiessen schüttelte den Kopf. »Sie sind nicht gerufen worden, sondern ich. Seien Sie zufrieden, daß Sie nicht mitzukommen brauchen.«
»Ich habe die Geschichte aber eingerührt und will sie auch vertreten«, bestand Dr. Hegemüller auf seiner Absicht. »Und im übrigen bin ich der Meinung, daß die Sache gar nicht so schlimm werden wird. Ich glaube, daß Professor Lüdinghausen gute Miene zum bösen Spiel machen wird, wenn er unsere Resultate sieht. Das Protokollbuch hier müssen wir selbstverständlich mitnehmen und am besten auch gleich noch die Metallprobe.«
»Sie können recht haben«, meinte Dr. Thiessen nach kurzer Überlegung. »Es ist vielleicht am besten, wenn wir die Sache gleich zusammen abmachen. Kommen Sie in Gottes Namen mit.«
Professor Lüdinghausen blickte ein wenig befremdet auf, als Thiessen und Hegemüller zusammen in sein Arbeitszimmer traten.
»Ich hatte nur Sie gebeten, Herr Thiessen«, eröffnete er die Unterhaltung. »Glauben Sie, daß wir Herrn Hegemüller für unsere Besprechung nötig haben?«
Bevor Thiessen noch etwas sagen konnte, ergriff Hegemüller das Wort.
»Ich habe den Zwischenfall oder meinetwegen auch Unfall, über den Sie Aufklärung wünschen, Herr Professor, verursacht und bin bereit, die Verantwortung dafür zu übernehmen.«
Lüdinghausen wußte nicht recht, ob er ärgerlich werden oder lachen sollte. Im Grunde genommen mochte er den munteren, diensteifrigen Dr. Hegemüller ganz gut leiden, aber er konnte es natürlich nicht ungerügt lassen, wenn er in seinem jugendlichen Tatendrang das Forschungsinstitut gefährdete. So setzte der Professor denn eine Amtsmiene auf, während er zu sprechen begann. »Sie sagen, daß Sie den Vorfall verursacht haben, Herr Hegemüller. Wäre das Wort ›verschuldet‹ nicht vielleicht richtiger dafür? Zweifellos ist dieses bedauerliche Vorkommnis doch auf einen Verstoß gegen die Vorschriften zurückzuführen. Ist das nicht auch Ihre Meinung, Herr Doktor Thiessen?«
»Ich kann es nicht leugnen«, erwiderte Thiessen. »Herr Hegemüller ist von den Vorschriften abgewichen . . .«
»Also es war so, wie ich's vermutete«, unterbrach ihn Lüdinghausen.
»Jawohl, Herr Professor, aber der Erfolg dieses Versuches ist ein derartiger, daß er das Wagnis vollauf rechtfertigt.«
Und nun schlug Thiessen das Protokollbuch auf und begann Zahlen und Werte vorzulesen, von denen Lüdinghausen immer stärker gefesselt wurde.
»Aber das ist ja großartig, meine Herren«, rief er, als Thiessen mit seinem Vortrag zu Ende war. »Dann sind Sie ja tatsächlich ein bedeutendes Stück vorwärtsgekommen. Auf welchem Wege ist Ihnen das gelungen?«
»Ich