"Gedankeninferno". Andreas Meyer
mir um Welten besser. Mit hungrigem Magen kann man schlecht schlafen. Die Nacht verlief für mich gut, ich konnte gut und fest schlafen, im Gegensatz zu meinem Bettnachbar. Dieser brauchte wieder starke Schmerzmittel in der Nacht, damit er wenigstens ein paar Stunden schlafen konnte. Ich hatte Mitleid mit ihm, als ich das hörte. Vor dem Frühstück konnte ich mich noch Duschen. Nach dem Frühstück verabschiedete ich mich von meinem Bettnachbarn und wünschte ihm alles Gute für die bevorstehende Operation und gute Genesung. Heute würde es mich interessieren, wie es ihm ergangen ist, ob er heute schmerzfrei und gesund leben kann. Ich wurde von meinem guten Freund und ehemaligen Kameraden Klaus, Mitglied der Rettungshundestaffel, abgeholt und nach Hause gebracht.
Zuhause angekommen verbrachte ich ein sehr geruhsames Restwochenende. Am darauffolgenden Montag ging es wieder zum Dienst. Und jetzt hieß es abwarten, bis das Ergebnis der Biopsie da war. Diese Zeit war nicht einfach für mich, vor allem, wenn man weiß, wie so etwas auch enden kann. Bis zu diesem Tag hatte ich meinen Eltern noch nichts davon erzählt, was ich bis dahin alles durchgemacht hatte. Erst, wenn das Ergebnis der Biopsie da war und ich genau wusste, was los ist, würde ich meine Eltern einweihen. Wieso sollte ich zu diesem Zeitpunkt alle Menschen, die ich liebe, verrückt machen, wenn später alles doch nur ein Fehlalarm war. Bis jetzt wussten es nur meine beiden Freundinnen und meine Vermieter. Seit der Biopsie waren nun schon sechs Tage vergangen. Es hieß, zwischen fünf und acht Tagen könne es schon dauern, bis das Ergebnis da sei. Ich hatte zum Glück genügend zu tun, um mich abzulenken im Dienst. Und die folgende Woche war ich noch fast die ganze Woche auf dem Flughafen eingeplant, um den Sprungdienst zu koordinieren. Das machte mir Riesenspaß und wenn ich Glück hatte, konnte ich noch ein paar Runden mit dem Airbus A 400 M mitfliegen. Der Tag der Entscheidung würde kommen, ob ich mich verrückt machte oder einfach darauf wartete. Klar möchte man schon wissen, woran man ist. Ich würde es früh genug erfahren und dann wird man weitersehen. Und bis dahin mochte ich ganz normal weiterleben, wie ich bis dahin auch gelebt hatte. Ob gesund oder nicht gesund, das ist doch egal, die Hauptsache ist, man wacht jeden Morgen wieder auf und kann sein Leben leben.
Tag der Erwartung
Es war Tag 13 nach der Biopsie. In der Zwischenzeit hatte ich schon mehrmals im Sindelfingen im Krankenhaus angerufen und nachgefragt, ob das Ergebnis schon da sei. Bis jetzt kamen nur negative Rückmeldungen. So langsam konnte das Ergebnis endlich da sein, es nervte jetzt echt, so ohne Klarheit zu leben, dachte ich. Ich versuchte noch einmal, den Stationsarzt zu erreichen, wählte seine Nummer und es klingelte durch wie schon oft. Es war Freitag kurz vor 11 Uhr. Eigentlich hatte ich gleich Dienstschluss und konnte nach Hause gehen. Oh, eine Stimme an dem anderen Ende der Leitung. Ja, was wollen Sie denn, ich bin im Stress. Entschuldigen Sie, ich wollte Sie nicht stören, ich wollte nur nachfragen, ob das Ergebnis meiner Biopsie schon da ist. Kurze Pause am anderen Ende. Wie heißen Sie denn? Andreas Meyer, Meyer mit „ey“. Es dauerte wieder einige Sekunden. Ich dachte für mich: Man, mach hin, ich will es jetzt endlich wissen. Und dann kam der Satz, den ich nie vergessen werde: „Es sieht echt Scheiße aus.“ Ich dachte, ich höre schlecht. Und meinte nur: Können Sie mir das Ergebnis per E-Mail zukommen lassen? Der Mann antworte: Ja schon, aber jetzt nicht und legte auf. Ich war perplex in diesem Moment, überrascht, erstaunt, verwundert, konsterniert, verdutzt und entgeistert über diesen Menschen. Und so etwas ist auch noch Arzt. Jetzt gibt es ein Ergebnis und ich bin immer noch nicht schlauer als vor dem Telefonat. Ich packte meine Sachen zusammen und fuhr nach Hause. Ich erzählte niemanden von diesem Telefonat. Eigentlich hatte ich vor, es Dr. med. R. S. zu erzählen, leider erfuhr ich nachmittags vom Sekretariat, dass er im Urlaub war. Die nette Dame ließ mir dann das Ergebnis per E-Mail zukommen. Ich bin kein Arzt und was da so steht, hört sich für mich alles gleich an.
Ich musste bis Montag warten, bis ich einen Arzt in der Kaserne fragen konnte. Nun verbringe mal ein ganzes Wochenende mit dem Satz: „Es sieht echt Scheiße aus“. Folter ist milde ausgedrückt, ich dachte, ich muss gleich sterben. Na ja, das kann ich meiner Familie und Lucky nicht antun. Ich bin zwar ein Mensch, der vor dem Sterben Respekt und auch Angst hat, aber ich bin auch ein Kämpfer vor dem Herrn. Deshalb sprach ich mir Mut zu und begann die Wohnung zu putzen wie jeden Freitag. Es ist wichtig, dass man Abschalten kann, den Kopf freibekommt, um später bessere Entscheidungen treffen zu können. Ich dachte öfters über diesen Satz nach am Wochenende und mir war auch klar, dass der Satz die Situation genau beschrieb, wie es um mich stand. Es war zwar undiplomatisch, wie er mir gesagt wurde, aber er brachte alles auf den Punkt. Und im Nachhinein kann ich diesem Arzt nicht mehr böse sein, im Gegenteil, es war kurz und schmerzlos. Darum war ich gespannt, was meine Ärzte in der Kaserne am Montag dann dazu sagen würden. Ich hatte Glück, dass Oberfeldarzt Frau Dr. N. Dienst hatte. Sozusagen ist sie eine meiner zwei Urologinnen. Sie schaute sich das Ergebnis an und versuchte dann, mir zu erklären, wie so eine Biopsie aufgebaut ist. Sie erklärte mir, dass bei einer Biopsie die Prostata in zwei Hälften gesehen wird, und zwar verläuft der Harnleiter im Querschnitt fast in der Mitte der Prostata. So haben wir eine rechte und eine linke Seite. Wie so etwas ausgewertet wird, erfahrt ihr auf den nächsten Seiten. Der Arzt, der die Biopsie durchführt, nimmt von der rechten Hälfte und von der linken Hälfte Proben. Bei mir waren es zwölf Proben insgesamt, sechs von der rechten, und sechs von der linken Hälfte der Prostata. Im Labor werden dann alle Proben auf Krebszellen untersucht. Hier gibt es dann eine Einteilung der Anzahl der Krebszellen und deren Aggressivität. (Quelle: www.wikipedia.org)
Man sagt dazu: der „Gleason-Score“, der als Zahlenwert dargestellt wird. (1-5 pro Seite) „Der Gleason-Score dient der histologischen Beurteilung der Drüsenbeschaffenheit im Prostatagewebe. Er dient als Prognosewert beim Prostatakrebs und ist weltweit etabliert. Je höher der Wert, desto höher ist der Grad der Entdifferenzierung und desto schlechter ist die Prognose. Die Zahl 5 beschreibt hoch aggressive und bösartige Zellmuster und die Zahl 3 zwar bösartige, aber nicht aggressive Zellen. Zellen mit einem Gleason-Muster von 4 können je nach Häufigkeit zu Tumoren mit einem Gleason von 6 (in dem Fall 3+4) oder 8 (in dem Fall 4+3) tendieren.
Deswegen werden Tumore mit einem Wert von 7 als intermediär bezeichnet. Prostatatumore mit einem hohen Risiko, also 8, 9 oder 10, können in der Regel folgende Merkmale aufweisen:
wachsen infiltrativ und schnell
infiltrieren den Prostatarand (Prostatakapsel), das umgebende Fettgewebe, das Nerven- und Gefäßbündel
infiltrieren benachbarte Organe im Beckenbereich, wie Harnblase, Samenblasen oder Dickdarm
verursachen früh Metastasen in den Lymphknoten und Knochen
verursachen nur im fortgeschrittenen Stadium spürbare Symptome für den Mann
der PSA-Wert steigt schnell und stetig an.“
(Quelle: www.wikipedia.de -Gleason)
Diese hoch bösartigen Tumore können lebensbedrohlich sein. In den meisten Fällen wird als geeignete Therapie die Total-Operation gewählt und je nach Stadium der Erkrankungen auch über Strahlentherapie, Chemotherapie oder Anti-Hormonelle-Behandlung entschieden. Jetzt bin ich zwar kein Arzt, aber ich habe verstanden, was ich habe und wie ich das Ergebnis einzustufen habe. Ich hatte schon seit dem Satz: „Es sieht echt Scheiße aus“ ein komisches Gefühl, dass das alles nicht so gut aussieht, wie ich es gerne hätte. Durch dieses informative Gespräch wurde mir das Ganze noch verdeutlicht. Also könnt ihr Euch denken, wie das Ergebnis bei mir ausgefallen ist: Ja, ich hatte fast die volle Punktzahl erreicht 4+5 = 9, hohes Risiko, und diese Zahl wird zu den hoch bösartigen Tumoren gezählt. Also noch einmal zusammengefast: Ich habe einen bösartigen Tumor mit hohem Risiko, was immer das jetzt auch heißen mag. Und wie geht es jetzt weiter, Frau Oberfeldarzt N? Sie meinte: Zuerst einmal werde ich direkt in Ulm im Bundeswehrkrankenhaus anrufen und versuchen, so schnell wie möglich einen Termin für weitere Untersuchungen und einen Operationstermin zu bekommen. Denn wir sollten jetzt nicht mehr lange herumdoktern, sondern handeln. Sie nahm den Telefonhörer in die Hand und rief direkt in Ulm bei der Urologie an. Nach weniger als drei Minuten Gesprächszeit war der Termin in Ulm fakt. So schnell kann es gehen, wenn es brennt, und bei Ihnen brennt es schon stark, da kann man nicht mehr