Goschamarie Mofacup. Stefan Mitrenga

Goschamarie Mofacup - Stefan Mitrenga


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mit ihnen Ausflüge in den Wald. Besonders liebten die Kinder seine Schatzsuchen, die er mit viel Aufwand für sie plante. Er trauerte noch immer um seine große Liebe, doch er entschied sich für das Leben und seine Familie. Der Bauer kümmerte sich liebevoll um die Kleinen, während Andrea mit ihrem Mann Steffen den Hof umtrieb. Abends war der alte Bauer so müde, dass er häufig in seinem Sessel vor dem Kamin einschlief. Es machte ihm nichts aus, da in seinem Bett niemand auf ihn wartete. Und wieder verging die Zeit und mit ihr verging auch seine Trauer.

      Eines Morgens stand der Bauer auf dem Balkon und beobachtete seine Enkel, die im Garten herumtollten. Er lächelte. Er war tief zufrieden und bereit das Leben, das vor ihm lag, anzunehmen. Sie alle waren glücklich.

      Ein Märchen würde an dieser Stelle mit den Worten enden: „… und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.“ Doch leider ist diese Geschichte alles andere als ein Märchen.

      1

      „Jetzt komm schon Walter … stell dich nicht so an!“

      Walter starrte auf den Löffel, der vor seiner Nase schwebte und presste die Lippen zusammen.

      „Ach bitte, nur noch diesen einen Löffel.“

      Walter drehte demonstrativ den Kopf weg und ruderte mit den Armen.

      „Jetzt werd ich aber gleich böse … los jetzt: mach den Mund auf!“

      Der Löffel kam nun bedrohlich nahe, doch Walter konnte nicht weiter ausweichen, da sein Kopf hinten schon an die Stuhllehne stieß. Dann berührte der Löffel auch noch seine Lippen und versuchte gewaltsam in seinen Mund einzudringen. Walter zog eine Schnute und ließ seine Arme kreisen, doch der Angreifer blieb hartnäckig.

      „Los. Verdammt nochmal! Mund auf!“

      Walter lief rot an, presste die Augen zu und öffnete endlich den Mund.

      „Buuuhääää! Buuuuuuuhäääää!“, brüllte er und dicke Krokodiltränen liefen ihm übers Gesicht.

      „Elmar, was machst du denn mit unserem kleinen Walter?“

      Anne stürmte ins Zimmer und hob den schreienden Walter aus dem Kinderstuhl. Sofort hörte er auf zu schreien und kuschelte sich schluchzend an den Hals seiner Mutter.

      „Er will einfach nicht essen“, verteidigte sich Elmar. „Der Arzt hat doch gesagt, dass er etwas zu wenig wiegt, aber wie soll er zunehmen, wenn er nichts isst?“

      Anne streichelte Walter den Hinterkopf und wiegte ihn sanft hin und her.

      „Dann probieren wir es in ein paar Minuten eben nochmal. Wenn der kleine Mann gerade keinen Hunger hat, kann man das doch nicht erzwingen.“

      Walter war jetzt acht Monate alt. Er war am Dreikönigstag zur Welt gekommen und erlebte gerade seinen ersten Sommer. Er konnte stundenlang in seinem Laufstall auf der Terrasse sitzen und die Vögel beobachten, die in den angrenzenden Büschen herumhüpften. Die ersten Wochen hatte er seinen Eltern das Leben zur Hölle gemacht und war alle drei Stunden aufgewacht. Erst seit einem Monat schlief er die Nacht durch.

      Elmar fuhr sich entnervt durch die Haare. „Das musst du dann aber übernehmen. Ich muss gleich los zum Zeltaufbau. Bin eh schon zu spät dran.“

      „Die anderen haben sicher Verständnis für einen jungen Vater. Da läuft eben nicht immer alles nach Plan.“ Anne legte den gehäuften Löffel auf das Tischchen an Walters Kinderstuhl und zog ihn sanft von ihrer Schulter weg. Sie drehte ihn herum und setzte ihn auf ihren Schoß, so dass er Elmar gegenübersaß. Sofort zog er die kleine Stirn in Falten.

      „Ich glaube, er mag mich heute nicht“, resignierte Elmar. „Ich gehe besser, bevor er wieder heult!“

      Elmar nahm sein Handy vom Tisch und war im Begriff aufzustehen, als Walter seine Arme hochriss und mit einem Juchzer wieder fallen ließ. Mit der Präzision eines Scharfschützen traf er den Stiel des Plastiklöffels, der seine breiige Füllung wie ein Katapult auf Elmars Hose schleuderte.

      „Ja so eine Scheiße“, rief Elmar und sprang auf.

      „Keine bösen Wörter vor unserem Kind“, tadelte ihn Anne. „Das hat er doch nicht mit Absicht gemacht.“

      Elmar hätte ihr gern geglaubt, doch das fröhliche Lachen auf Walters Gesicht ließ ihn etwas anderes vermuten.

      „Bamm! Bamm!“, lautmalte Walter und wiederholte die Armbewegungen, die ihm gerade so viel Freude bereitet hatten. Kopfschüttelnd ging Elmar ins Schlafzimmer und fischte eine frische Hose aus dem Kleiderschrank.

      „Weißt du bis wann du wieder da bist?“, erkundigte sich Anne.

      „Das dauert schon ein bisschen. Und hinterher … ähm … also …“

      „Du willst noch in die Wirtschaft“, vollendete Anne den Satz. „Ist schon okay. Ich wollte heute sowieso noch eine alte Folge vom Bergdoktor anschauen.“

      Elmar verzog das Gesicht. Er mochte die Filme nicht.

      „Sag allen liebe Grüße von mir“, rief Anne ihm hinterher. „Und wenn du schon in der Wirtschaft bist, bring ein Rauchfleisch mit. Ich hatte schon lange keins mehr.“

      Die Tür fiel ins Schloss und Anne hob Walter zurück in den Kinderstuhl. „Dann probieren wir beide das nochmal …“ Sie füllte Brei auf den Plastiklöffel. „Da kommt was Leckeres für unseren kleinen Walter …“ Der Löffel näherte sich und Walter riss begierig den Mund auf. Eine Ladung nach der anderen verschwand ohne Kleckern.

      „Na also. Geht doch.“

      2

      „Jetzt komm schon Walter … stell dich nicht so an!“

      Walter starrte auf den Löffel, der vor seiner Nase schwebte, und presste die Lippen zusammen.

      „Ach bitte, nur noch diesen einen Löffel.“

      Walter drehte demonstrativ den Kopf weg und ruderte mit den Armen.

      „Jetzt werd ich aber gleich böse … los jetzt: mach den Mund auf!“

      Walter überlegte verzweifelt, wie er dieser Attacke auf seine Geschmacksnerven entgehen konnte. Was Essen anging, war er bestimmt nicht heikel, aber alles hatte seine Grenzen.

      „Ich hasse dieses Zeug“, brachte er hervor und verzog das Gesicht. „Ich weiß nicht, wer sich sowas ausgedacht hat. Sicher jemand, dem der Geschmackssinn abhandengekommen ist.“

      Liesl zog den Löffel zurück und machte einen Schmollmund.

      „Also gut … wer nicht will, der hat schon.“

      Übertrieben genüsslich schob sie das Stück Sushi in den Mund und brummte zufrieden. „Glaubst du wirklich, über einhundertzwanzig Millionen Japaner leiden an Geschmacksverirrung?“

      Ja, genau das glaubte Walter. Was war toll daran, rohen Fisch in pappigen Reis zu drücken und in ein Algenblatt einzurollen? Es schmeckte bestenfalls nach gar nichts, meist aber etwas fischelig nach Brackwasser. Pfui.

      „Geschmäcker sind halt verschieden“, erwiderte Walter diplomatisch und scharrte unauffällig mit dem Fuß, um das vorherige Stück Sushi, das er in der Hoffnung, dass Balu es fressen würde, unter den Tisch hatte fallen lassen. Der Wolfsspitz hatte nur kurz daran geschnüffelt und sich beleidigt auf die Terrasse verzogen.

      „Und so gesund kann das gar nicht sein. Überleg doch mal, warum die Japaner alle so klein sind … das könnte doch auch von diesem Zeug hier kommen.“

      „Jetzt redest du aber Blödsinn“, lachte Liesl. „Gib mir deins rüber. Ich mache dir den Rest Spaghetti von gestern warm.“

      Es war einer ihrer Versuche gewesen, Walters kulinarische Welt zu erweitern. Nicht, dass er sich schlecht ernährte, aber sie fand, dass Rauchfleisch, Braten und Spätzle nicht der Sockel der Ernährungspyramide sein sollten. Bei Salat und Gemüse hatte sie Walter bekehren können, wenn sie auch geschickt mit Dressings und Saucen hantieren musste, um es ihm schmackhaft zu machen.

      Liesl hatte vor einiger Zeit das kleine Haus am Rand von Taldorf von ihrer Tante geerbt. Nach einer gründlichen Sanierung war sie eingezogen und hatte Walter kennengelernt. Schnell


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