Goschamarie Mofacup. Stefan Mitrenga
Da redet mir auch keiner was ein.“
Marie bückte sich zu Elmar hinunter und flüsterte nun fast. „Des hon i au immer dänkt. Aber manchmol bassieret scho komische Sacha. Grad des Häusle do gegenüber, wo jetzt scho a paar Johr koiner me wohnt … da heerschs nachts manchmol wimmra … und i hon au scho an Schatta gsäha …“
„Jetzt erzählst du aber Märchen“, unterbrach Elmar, doch Marie streckte warnend einen Finger hoch.
„Dänn gosch mol sälber numm. Nachts. Aloi. Dänn wirsch scho säha …“
Marie richtete sich wieder auf und stampfte Richtung Tresen davon. Elmar hatte nach ihren letzten Worten tatsächlich eine Gänsehaut. Er rubbelte sich über die Arme und schüttelte sich.
„Manchmal übertreibt sie es. Kommt - stoßen wir an!“
Ihre Bierflaschen trafen sich und das Klirren vertrieb die düsteren Gedanken. Außer bei Walter, der auf seiner nächtlichen Zeitungstour auch schon das Gefühl gehabt hatte, dass in diesem Haus etwas vor sich ging. Er hatte sich eingeredet, es sei ein Marderpärchen, das in den verlassenen Zimmern umhertollt oder vielleicht auch ein Rudel Ratten. Auch alte Rohre konnten Geräusche machen. An Geister glaubte er nicht. Würde man da jedes Mal einen Exorzisten rufen, hätte die Katholische Kirche eine lukrative Einnahmequelle.
Walter hatte eigentlich gehofft, auch Peter und Theo zu treffen, doch sie tauchten an diesem Abend nicht mehr auf. Als Marie bei ihm kassierte, erkundigte sie sich nach der Anzahl seiner verzehrten Brotscheiben und servierte ihm den obligatorischen Schnaps im Sprudelglas.
Auf dem Heimweg kam er an dem verlassenen Haus vorbei, von dem Marie erzählt hatte. Er blieb stehen und lauschte in die Nacht. Alles war ruhig. „So ein Blödsinn“, sagte er zu sich selbst und lief leicht schwankend weiter.
„Es ist kein Blödsinn“, korrigierte Kitty, nachdem Balu ihr von dem Gespräch am Stammtisch erzählt hatte. „Da tut sich wirklich irgendwas.“ Sie sprang von ihrem Strohballen herunter und begleitete die beiden ein Stück.„Du stehst auf Geistergeschichten?“, fragte Balu überrascht. „Das sage ich ja gar nicht. Aber ich habe da auch schon Geräusche gehört. Und ich weiß eins: das waren keine Tiere!“
4
Nach einem gemütlichen Sonntag, den Walter und Liesl lesend auf der Terrasse und mit einem kleinen Spaziergang verbracht hatten, meldete sich Walters Wecker am Montagmorgen um halb drei mit Nino de Angelos „Jenseits von Eden“. Für Walter war sein Radiowecker ein Orakel: der Song, mit dem er sich einschaltete, entschied über den Verlauf des Tages. Guter Titel, guter Tag. Schlechter Titel, schlechter Tag. Doch in diesem Fall konnte er sich nicht entscheiden und stufte die Tagesvorhersage als „geht so“ ein. Als er die Treppen vom Schlafzimmer herabkam, wurde er von Balu freudig begrüßt. Er legte zwei Buchenscheite in den Holzherd und löffelte Futter in Balus Napf. Wie jeden Morgen füllte er den alten Wasserkessel mit dem Pfeifchen am Ausguss und stellte ihn auf die Herdplatte. Es dauerte ein paar Minuten, dann entwich der heiße Wasserdampf pfeifend aus dem Kessel und Walter goss den Kaffee auf. Zwei Tassen. Eine für ihn und eine für Jussuf. Walter sah auf die Uhr und öffnete die vordere Eingangstür. Kurz darauf wuffte Balu zwei Mal und ein Auto hielt im Hof.
„Guten Morgen“, trällerte Jussuf. Er war offensichtlich bester Laune und setzte sich auf den Stuhl, auf dem er immer saß. Balu leckte ihm zur Begrüßung die Hände und wurde mit einer kurzen Streicheleinheit belohnt. Jussuf brachte die Zeitungen von der Druckerei zu den Austrägern und blieb gerne auf eine Tasse Kaffee und ein frühmorgendliches Schwätzchen.
„Du strahlst ja richtig“, bemerkte Walter. „Gibt’s irgendwas Besonderes?“
Der Türke nippte vorsichtig an seinem dampfenden Kaffee. „Ich freue mich nur. Ich hab draußen das Festzelt gesehen und mich daran erinnert, dass am Samstag das Mofarennen ist.“
Walter war überrascht. „Ich wusste nicht, dass du auf sowas stehst. Ist doch eher was für Kinder …“
Jussuf schüttelte den Kopf. „Du hast keine Ahnung. Das wird ein Mordsspektakel. Ich war schon bei ein paar Mofarennen. Wahnsinn! Ehrlich. Was die aus diesen kleinen Dingern rausholen, ist unglaublich. Und dann kommt ja auch noch Nico hierher. Bist du schon aufgeregt?“
„Warum sollte ich aufgeregt sein?“, wunderte sich Walter. „Nur weil da irgendein Rennfahrer-Promi am Start ist? Also mir ist das schnuppe.“
„Aber Walter - das ist doch nicht irgendein Rennfahrer. Nico Berg ist das größte Fahrertalent Deutschlands … wenn nicht sogar der ganzen Welt. Und der kommt hierher. Stell dir vor: der fährt da drüben auf der Wiese beim Rennen mit. Und dann ist er ja sicher auch zur Siegerehrung da. Für ein Autogramm von ihm würde ich töten …“
Bei dem Wort „töten“ ließ Balu ein leises Knurren hören. In den letzten zwei Jahren hatte es in Taldorf und Umgebung genug Tote gegeben und Walter hatte die Morde mit seinen Freunden von der Polizei aufgeklärt. Einmal war Walter dabei angefahren worden. Nur Balus beherztes Eingreifen hatte damals Schlimmeres verhindert.
„Ich denke, du kommst auch ohne einen Mord an dein Autogramm“, lachte Walter, der Balus Knurren sehr wohl wahrgenommen hatte. „Wenn der Kerl für ein Mofarennen extra nach Taldorf kommt, kann er so verkehrt nicht sein.“
Jussuf zuckte mit den Schultern. „Naja, er soll schon ziemliche Starallüren haben.“
„Woher weißt du das?“
„Aus der Klatschpresse. Meine Frau kauft immer diese Heftchen. Eigentlich totaler Schrott, aber du bist über die Promis auf dem Laufenden.“
Walter verzog das Gesicht. Er konnte sich nichts Langweiligeres vorstellen, als Artikel über irgendwelche C-Promis zu lesen. Da könnte er genauso gut das Dschungelcamp anschauen.
Trotzdem war seine Neugier geweckt. „Was erzählt man denn über den Kerl?“
„So dies und das … viele Partys und vor allem: viele Frauen. Er hat quasi jede Woche ne andere. Er wurde auch mal verhaftet, weil er auf einer Privatparty erwischt wurde auf der Drogen rumgingen. Sie konnten ihm aber nichts nachweisen.“
„Gibt’s für Rennfahrer nicht auch Drogentests? Das ist doch heute in jeder Sportart üblich?“
„Keine Ahnung“, gab Jussuf zu und stellte seine leere Tasse in die Spüle. „Wahrscheinlich schon. Aber du weißt ja: wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Wenn jemand Drogen nehmen will, dann schafft er das auch. Trotz irgendwelcher Tests.“
„Kommst du nur zum Mofarennen, oder auch am Freitag zum Feierabendhock?“, wechselte Walter das Thema.
„Freitag kann ich nicht … ich habe von meiner Frau zum Geburtstag wieder einen Kurs geschenkt bekommen … und der ist immer am Freitag.“
„Nochmal ein Sprachkurs? Warum das denn? Dein Deutsch ist mittlerweile besser als meins …“
„Nein, kein Sprachkurs … ähm …“, druckste Jussuf herum. „Es ist ein Salsakurs.“
„Ach du lernst kochen? Salsa … das ist doch diese scharfe Sauce beim Mexikaner …“
Jussuf schüttelte den Kopf. „Nicht kochen, Walter, tanzen. Salsa ist ein Tanz.“
Walter war fassungslos. „Auf sowas stehst du? Hätte ich nicht von dir gedacht.“
Jussuf seufzte. „Ich auch nicht. Ich habe null Rhythmusgefühl und zwei linke Füße.“
„Und warum schenkt sie dir dann so einen Kurs?“
„Na, weil sie Salsa tanzen möchte.“
Jetzt verstand Walter, in welcher Falle sein Freund saß. Er konnte das Geschenk seiner Frau ja schlecht ablehnen, dabei hatte sie es sich eigentlich selber geschenkt. Raffiniert. Tanzkurs, durchfuhr Walter ein Gedanke. Da war doch was. Dann erinnerte er sich: kurz vor der Pandemie hatte Liesl davon gesprochen, einen Tanzkurs machen zu wollen, doch dann wurde ja alles geschlossen. „Aufgeschoben ist nicht aufgehoben“, hatte er damals zu ihr gesagt. Was, wenn sie sich daran erinnerte? Walter bekam ein flaues Gefühl im Magen.
„Na, dann wünsche ich dir viel