Goschamarie Mofacup. Stefan Mitrenga

Goschamarie Mofacup - Stefan Mitrenga


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Tanzerei nicht erwähnen würdest, wenn Liesl dabei ist. Nicht, dass sie noch auf komische Gedanken kommt.“

      Jussuf versprach es ihm und fuhr kurz darauf vom Hof. Vier weitere Austräger warteten schon auf seine Lieferung.

      5

      Walter arbeitete seine Zeitungsrunde ab, die ihn zuerst über die Höh nach Wernsreute führte, weiter über Alberskirch und Dürnast, und am Ende zurück nach Taldorf. Immer wieder musste er an Jussufs Tanzkurs denken. Wie kommen die Leute nur auf sowas? Gerade wenn sie schon älter sind. Vielleicht war es der Versuch etwas Abwechslung in ihre Beziehung zu bringen, ohne sich gleich einen Liebhaber zuzulegen. Dann wäre ein Tanzkurs so etwas wie eine Therapie zur Bewältigung einer Midlifecrises, zumindest für den weiblichen Teil. Aber was gibt es für die Männer? Bierseminare? Weinproben? Kegelabende? Alles war besser als ein Tanzkurs. „Solche Probleme hast du nicht“, murmelte Walter neidisch, als er Balu dabei beobachtete, wie er einen Laternenpfahl markierte.

      In Alberskirch machten sie eine kurze Trinkpause. Vor Faxes Garage füllte Walter Wasser für Balu in eine Plastikschale und nahm selbst einen großen Schluck aus der Flasche. In der Werkstatt brannte ein schwaches Licht. Wahrscheinlich hatte Faxe aus Versehen eine Lampe angelassen. Neugierig drückte er ein Auge auf das große Schlüsselloch im Garagentor. Tatsächlich war eine Leuchte an und Walter erkannte Max‘ Rennmofa auf einem Arbeitstisch. Zwischen leeren Bierflaschen lagen Fahrzeugteile, Werkzeug und ölbeschmierte Lumpen. Für Walter sah das Mofa schon recht fertig aus, lediglich am Motor, schien noch etwas zu fehlen. Er hoffte, dass sich die vielen Stunden Arbeit, die Faxe und Max in dieses Projekt steckten, am Ende auszahlten. Es wäre schön, wenn der Sieger aus dem Dorf käme.

      Auf dem Weg zurück nach Taldorf stand auch das Haus von Eugen Heesterkamp auf Walters Liste. Hier war er immer besonders vorsichtig, da der pensionierte Gymnasiallehrer (Oberstudienrat AD, Fächer: Biologie und Sport) ihn schon mehrfach erschreckt hatte, doch in dieser Nacht war alles ruhig.

      Balu war schon vorrausgelaufen und unterhielt sich mit Bimbo, einem Haflingerwallach, dessen obere Stalltür immer offenstand. Bimbo war meist schlecht gelaunt und streitlustig, doch im Laufe der Zeit war das Verhältnis zwischen den beiden Tieren besser geworden.

      „Warum ist eigentlich nur bei euch etwas los?“, meckerte Bimbo. „Bisher war das Gartenfest immer hier im Vorderdorf und jetzt ist das auch noch weg.“Balu wusste, wie neugierig der Wallach war, aber über den Lärm beim Rennen wäre er sicher auch nicht glücklich. „Mecker nicht! Bei dir laufen doch immer noch genug Leute vorbei. Dafür kriegst du von dem Motorenlärm nichts mit.“„Aber ich wäre gern näher dran. Die Ruhe habe ich das ganze Jahr über. Ich brauche einfach mal etwas Abwechslung.“Balu verstand, was er meinte. Der Haflinger stand die meiste Zeit in seinem Stall und konnte nicht, wie Balu, mit seinen Freunden Ausflüge machen oder einfach umherziehen. Auch das schönste Zuhause wurde irgendwann langweilig, wenn man nichts anderes zu sehen bekam. „Ich könnte ja mal wieder deine Stalltür aufmachen“, bot Balu an. Dass er Türen öffnen konnte, war eins der wenigen Geheimnisse, die er vor Walter bewahrte. „Ach lass mal. Die fangen mich ja eh gleich wieder ein. Da verlasse ich mich lieber darauf, dass du mich auf dem Laufenden hältst.“„Ist versprochen“, bellte Balu und galoppierte hinter Walter her.

      Die Häuser im Hinterdorf waren die Letzten auf Walters Tour. Der Feierabend war zum Greifen nahe. Auch der Wagnerhof bekam eine Zeitung. Erneut musste er an Panky denken. Es tat ihm leid, dass der alte Landwirt nach dem Tod seiner Frau niemanden mehr kennengelernt hatte. Wenn Walter zurückblickte, war die Zeit, die er allein gelebt hatte, nicht schön gewesen. Heute mit Liesl an seiner Seite konnte er sich das gar nicht mehr vorstellen. Vielleicht sollte er Panky mal besuchen oder auf ein Bier einladen? Ein bisschen Abwechslung würde ihm sicher guttun.

      Die letzte Zeitung klemmte er unter die Klinke bei der Goschamarie und tastete auf dem Fenstersims vorsichtig nach dem Schnapsglas, das Marie dort für ihn hinstellte. Das war ihre Art, „Danke“ zu sagen. Walter setzte sich auf die oberste Treppenstufe am Eingang und genoss den Obstler in kleinen Schlucken. Wenn er zu viel Schnaps auf einmal trank, bekam er Schluckauf. Über dem Hummelberg breitete sich schon die Morgenröte aus und ließ die Landschaft rot glühen. Wie auf Kommando begannen einige Vögel zu zwitschern, die ihre nächtliche Pause in den Bäumen und Sträuchern beendeten.

      Das leere Schnapsglas stellte er zurück auf den Simsen und machte sich mit Balu auf den Heimweg. Auf Höhe des verlassenen Hauses fiel ihm Maries Gruselgeschichte wieder ein und er hielt einen Moment inne. War da nicht ein Geräusch? Er sah zu Balu, der seinen Blick gleichgültig erwiderte. Walter erschrak fast zu Tode, als über ihm eine Elster krähte und davonflog. Er schüttelte sich. „Das kommt davon, wenn man sich so einen Blödsinn anhört“, ärgerte er sich und nahm sich vor, das nächste Mal gar nicht mehr hinzuhören.

      6

      Es war kurz vor elf, als Walter die Augen aufschlug. Ein einzelner Sonnenstrahl zielte genau auf sein Gesicht und blendete ihn. Er hatte am Vorabend den Rollladen nicht richtig heruntergelassen, so dass zwischen zwei Lamellen eine Lücke klaffte.

      „Scheißndreckn“, fluchte er und drehte sich zur Seite. Er beobachtete winzige Staubpartikel, die von dem Strahl beleuchtet wurden und träge im Raum schwebten. Er blieb noch ein paar Minuten liegen und streckte sich ausgiebig, bevor er sich aus dem Bett schwang und seinen Morgenmantel überwarf.

      In der Küche wartete Balu vor der Tür zum Garten, die Walter nach einer kurzen Begrüßung öffnete.

      „Guten Morgen, Langschläfer“, begrüßte ihn Kitty, die sich auf einem der Gartenstühle eingerollt hatte. „Nicht ich bin der Langschläfer, sondern Walter“, verteidigte sich der Wolfsspitz. „Und ich kann ja nicht immer selber die Tür aufmachen, sonst weiß Walter Bescheid. Das hebe ich mir für Notfälle auf.“ Er lief in die Sonne und streckte sich genüsslich: die Vorderpfoten weit nach vorne geschoben und das Hinterteil in die Höhe gereckt. Dann schüttelte er sich so heftig, dass ihn eine Wolke aus Hundehaaren einhüllte. „Wo warst du eigentlich heute Nacht?“, beschwerte sich Balu. „Ich dachte wir sehen uns an der Wirtschaft.“„Ich war mit Eglon unterwegs. Wir haben Seppi besucht.“ Eglon war der dicke rote Kater, der jetzt bei Liesl wohnte. Er hatte ursprünglich in Alberskirch bei dem alten Pfarrer gelebt, doch als dieser gestorben war, hatte er eine neue Bleibe gebraucht und war nach Taldorf gekommen. Seppi war der Igel, der zuletzt unten in Liesls gemauertem Grill gewohnt hatte, bis er im vergangenen Frühjahr weiter vor ins Dorf gezogen war. Dort wohnte er in einer kleinen Höhle, aus aufeinandergeschichteten Steinen in direkter Nachbarschaft zu einem Igelweibchen. „Wie geht es ihm denn?“, erkundigte sich Balu. „Eglon?“„Nein. Seppi natürlich.“ Kitty grinste. „Er hatte bei dem Weibchen Erfolg. Da gibt es demnächst Nachwuchs.“„Das freut mich wirklich für ihn“, sagte Balu ehrlich. Er mochte den ängstlichen Igel und nahm sich vor, ihn bald selbst einmal zu besuchen. „Und was gibt’s sonst Neues im Dorf?“„Am Morgen war der Notarzt im Hinterdorf“, wusste Kitty. „Ich weiß nicht, was passiert ist, aber ich glaube, er war auf dem Wagner-Hof.“ Balu überlegte. „Auf dem Hof wohnen doch nur Andrea, ihr Mann Steffen und der alte Panky. Die Kinder sind ja beim Studieren. Es ist wohl am Wahrscheinlichsten, dass irgendwas mit Panky ist. Wir sollten uns mal umhören.“„Das kann ich euch ersparen“, maunzte Eglon und sprang auf den Gartenstuhl neben Kitty. „Ich komme gerade von dahinten. Es ist tatsächlich Panky. Er ist tot.“Balu war entsetzt. „Was ist denn passiert? Ich habe ihn am Samstag noch gesehen, als er sich den Zeltaufbau angeschaut hat. Da hat er sich auch mit Walter unterhalten. Ich fand nicht, dass er schlecht aussah.“Eglon hatte sich zurückgelehnt und leckte durch sein Bauchfell. „Genau weiß ich es nicht. Ich war nicht im Haus. Aber ich habe seine Tochter mit einer Nachbarin reden hören. Er sei im Schlaf gestorben, hat sie gesagt. Sie hätten ihn heute Morgen tot in seinem Bett gefunden.“„Wie alt war er denn?“, wollte Kitty wissen. „Siebenundsiebzig. Da wären schon noch ein paar Jahre drin gewesen. Aber so ist das halt: wenn deine Uhr abgelaufen ist, kannst du nichts daran ändern.“ Eglon ließ sich von seinem Stuhl rutschen und streckte seinen buschigen roten Schwanz in die Höhe. „Mein Magen knurrt. Ich gehe mal rüber. Da müsste noch ein voller Napf auf mich warten.“Er schlenderte zwischen den


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