Goschamarie Mofacup. Stefan Mitrenga
nickte. „Er liegt noch in seinem Zimmer. Der Bestatter kommt erst heute Abend. Schön, dass du es noch geschafft hast, Creszenz.“
Die alte Creszenz lebte in Oberzell. Jeder wusste um ihre Fähigkeiten als Gesundbeterin. Die Klassiker waren Warzenwegbeten und Brandlöschen (bei Verbrennungen). Als Jugendlicher war Walter selbst einmal bei ihr gewesen, um die Warzen an seiner Hand loszuwerden, die gegen die Mittelchen aus der Apotheke immun zu sein schienen. Die Frau war ihm damals unheimlich gewesen, doch ihre Sprüche hatten gewirkt: zwei Tage später waren alle Warzen weg gewesen.
„Was will denn die alte Hexe hier?“, flüsterte Andreas Mann, der hinter ihr im Türrahmen erschienen war.
„Ich bin zwar alt, aber nicht taub“, raunte die Alte. „Ich bin hier, weil dein Schwiegervater das so gewollt hat.“
Steffen sah ratlos zu seiner Frau. „Papa hat immer gesagt: wenn mal was mit ihm ist, soll ich die Creszenz holen. Nur der würde er vertrauen … also, hab ich sie angerufen.“
„Oh bitte, das geht jetzt aber echt zu weit!“ Steffen schob sich an seiner Frau vorbei und baute sich vor der Gesundbeterin auf. „Hören Sie Frau Creszenz, es ist wirklich nett, dass Sie gekommen sind, aber wir brauchen Sie hier nicht. Auch wenn mein Schwiegervater auf das … was immer Sie machen … reingefallen ist, wir tun das nicht. Sie können mit Ihrem Hokuspokus wieder nach Hause fahren.“
Walter stand teilnahmslos daneben und fühlte sich fehl am Platz. Oben lag der tote Panky in seinem Bett und hier unten zettelte sein Schwiegersohn einen Streit mit der alten Creszenz an. Das hätte Panky ganz und gar nicht gefallen.
Andrea zog ihren Mann am Arm in den Hauseingang. „Komm mal mit“, zischte sie ihm zu und zog ihn weiter ins Haus. Obwohl sie flüsterten hörte Walter, dass sie sich stritten. Verlegen wich er dem Blick der alten Creszenz aus, die ihn von oben bis unten musterte.
„Hast dich gut entwickelt, Walterchen. Und das mit den Warzen haben wir auch ganz gut hinbekommen.“ Sie zeigte auf Walters Hände.
„Ähm ja … das hat wirklich … also natürlich gut geholfen“, stotterte Walter. Die Frau war ihm immer noch unheimlich. Trotzdem war er neugierig.
„Warum wollte Panky eigentlich, dass du nach ihm siehst?“
„Er hatte Angst davor, nicht tot zu sein.“
„Wie das? Der Arzt war doch hier und hat ihn für tot erklärt.“
„Ach, das Gerücht kursiert bei den Älteren immer noch“, seufzte Creszenz. „Ganz früher kam es hin und wieder vor, dass jemand nur scheintot war und dann lebendig begraben wurde. Es gibt sogar Gräber, auf denen ist ein Glöckchen befestigt, das über eine Schnur mit dem Sarg verbunden ist, damit der Tote, falls er denn doch nicht tot sein sollte, auf sich aufmerksam machen kann.“
Walter war verblüfft. „Sowas ist wirklich passiert? Klingt ja fürchterlich. Ich hoffe, die Ärzte passen da heute besser auf.“
„Natürlich“, bestätigte Creszenz. „Ich kenne Pankys Hausarzt. Wenn der gesagt hat, er ist tot, ist er das auch. Aber da ist noch etwas: Panky hat mir aufgetragen im Falle seines Todes seine Leiche anzuschauen, um festzustellen, ob es eine natürliche Todesursache war.“
„Wie willst du das denn machen?“, zweifelte Walter. „Du bist doch keine Pathologin oder etwas Ähnliches.“
„Indem ich ihn mir anschaue.“
„Einfach nur anschauen?“
Creszenz nickte.
„Und dann weißt du, woran er gestorben ist?“
Sie zuckte mit den Schultern. „Woran genau kann ich nicht sagen, aber ich sehe, ob es ein natürlicher Tod war oder nicht.“
Das mit den Warzen damals war ein toller Trick, dachte Walter, aber jetzt übertrieb sie es für seinen Geschmack. Am Ende würde sie noch mit Pankys Geist reden oder ihm aus der toten Hand lesen.
„Du kannst jetzt zu ihm“, sagte Andrea, die ohne ihren Mann zurückgekommen war. „Geh ruhig hoch. Du weißt ja, wo sein Zimmer ist. Ich würde lieber hierbleiben.“
Creszenz nickte und verschwand schweigend im Haus.
„Hat sich Steffen denn wieder beruhigt“, fragte Walter vorsichtig.
„Ach, der kriegt sich schon wieder ein. Er kann mit sowas halt nichts anfangen. Er ist in der Stadt aufgewachsen und kennt solche Leute wie die Creszenz nicht. Für ihn ist das alles Humbug.“
„Aber es kann ja nicht schaden“, sagte Walter gleichgültig. „Und wenn Panky das so wollte, dann ist es doch in Ordnung.“
„So sehe ich das auch.“
In diesem Moment kam Creszenz zurück und machte ein ernstes Gesicht. „Was hat denn der Arzt als Todesursache eingetragen?“
„Herz-Kreislauf-Versagen, glaube ich. Er sagte, das sei in dem Alter das Wahrscheinlichste.“
„Ich widerspreche dem Arzt ja nur ungern, aber ich denke, ihr solltet eine Autopsie machen lassen.“
Andrea und Walter sahen Creszenz fragend an.
„Ich bin mir sicher: Panky ist nicht auf natürliche Art gestorben!“
8
„Und was heißt das jetzt?“, fragte Theo verwirrt. „Machen die bei Panky jetzt eine Obduktion?“
„Ich weiß nicht, wie das abläuft“, gab Walter zu. „Ich habe keine Ahnung, ob überhaupt jemand auf die Aussage einer alten Gesundbeterin hört.“
Walter war nach seinem Besuch auf dem Wagnerhof direkt in die Wirtschaft gegangen. Überrascht hatte er festgestellt, dass Theo, Peter und Max schon am Stammtisch saßen. Als er ihnen erzählte, was vorgefallen war, konnte sich niemand einen Reim darauf machen.
„Wänn d’Creszenz des sagt, dänn isch des au so“, warf Marie ein, die Walter ebenfalls zugehört hatte. „In hon se mol zufällig beim Eikaufa droffa. Da sagtse, i sott doch mol beim Doktr vorbeiluaga und nachm Blutdruck gucka lossa. Des hon i gmacht und des war guat so. Viel z‘hoch ischer gwäa. Des hätt bees ausganga kenna. Jetzt nimm i halt jeden Dag zwoi Tablettla und älles isch guat.“
„Meinst du nicht, das war nur gut geraten?“, wandte Max ein. „Sie kennt dich ja und weiß wie alt du bist und sieht, dass du ein paar Kilo zu viel auf den Rippen hast …“
„Wa willsch du mir damit saga? Etwa, dass i fätt wär?“ Marie baute sich mit den Händen in den Hüften bedrohlich vor Max auf.
„Ich mein ja nur“, ruderte dieser zurück. „Die Chance auf einen Treffer war da schon recht hoch.“
„Deshalb muss mr aber it glei so frech wärra“, schimpfte Marie im Weggehen und gab Max einen Klaps auf den Hinterkopf.
„Den Rest des Abends darfst du dich über warmes Bier freuen“, sagte Theo leise, nachdem er sich vergewissert hatte, dass Marie außer Hörweite war.
„Aber was ist denn jetzt mit Panky?“, griff Peter das Thema wieder auf. „Nehmen wir mal an, die machen eine Obduktion und es stellt sich raus, dass er tatsächlich nicht einfach so gestorben ist. Ist das dann ein Fall für die Polizei?“
Walter zuckte zusammen. „Jetzt mal langsam. Da gibt es viele Möglichkeiten … vielleicht hat Panky irgendwelche Tabletten nicht vertragen … oder was Schlechtes gegessen … oder was Falsches verschluckt: auf so einem Hof gibt es genug giftige Chemikalien. Oder was am Wahrscheinlichsten ist: die Creszens hat sich einfach geirrt. Sie leistet sicher gute Arbeit, wenn es um Warzen geht … aber das jetzt … sie ist doch kein Arzt.“
„Hat Andrea denn gesagt, was sie vorhat?“, wollte Peter wissen. „Eine Obduktion muss doch ein enger Angehöriger beantragen. Das sind ja nur sie und ihr Mann.“
Walter schüttelte den Kopf. „Sie war nach Creszenz‘ Auftritt total erschüttert und ist ins Haus zurückgegangen. Ich denke mal, sie wird das mit Steffen besprechen, wobei der, glaube ich, kein Interesse daran hat.“
„Wie kommst du darauf?“, fragte Max und zündete sich eine Zigarre an.
„Ich