Tara. Nancy Omreg
seine Unterstützung ablehnen müssen.
„Du kannst noch aussteigen.“
„Nein, unmöglich. Ich stecke da jetzt viel zu tief mit drin. Ich werde nie wieder einen Fuß in dieses Lands setzen können.“
„In das ganze Land nicht?“
„Die Reichweite des Gardianuls-Clans ist groß.“
Bedauernd schaute ich ihn an. Doch Ville grinste nur breit. „So viel Spaß wie heute hatte ich ewig nicht mehr. Ich fühle mich richtig... lebendig. Und irgendwie auch verdammt sterblich“, er lachte leise.
Dann lugte er wieder um die Mauer herum.
„Die Luft scheint rein zu sein.“ Er deutete mir an, mich entlang der Mauer weiter zu schleichen.
Als ich am Ende der Mauer ankam, stellte sich mir auf einmal jemand in den Weg. Nicht nur jemand, es war Lucian! Ich starb gerade tausend Tode. Waren wir jetzt doch entdeckt wurden? Ich wollte nicht sterben. Noch weniger wollte ich, dass Ville wegen mir starb.
Doch Lucian legte nur seinen Finger auf seinen Mund und bedeutete uns leise zu sein. Zum ersten Mal, seit ich ihn kennengelernt habe, sah er ernsthaft aus.
Wir schlichen hinter ihm her. Ich wusste selbst nicht, warum wir ihm auf einmal vertrauten. Aber irgendwie wirkte er gegenüber den anderen Vampiren erstaunlich harmlos.
Durch eine Klappe krochen wir in die Kanalisation und krabbelten durch stinkende Rohre bis wir fern ab der Fabrik aus einem Gulli wieder auf die Straße kletterten.
Wir folgten ihm durch einen Keller in ein baufälliges Mehrfamilienhaus und erst als wir eine der leeren Wohnungen betreten und die Tür hinter uns geschlossen hatten, ließen wir uns stöhnend auf den Boden sinken.
„Sicherheit!“, erklärte Lucian.
„Wirklich? Können wir dir trauen? Oder hast du uns direkt in die Gardianulshauptzentrale geführt?“, ich konnte nicht glauben, dass er uns half.
„Nein, wirklich. Ihr seid in Sicherheit. Ich kann euch aber nur raten, schnellstmöglich das Land zu verlassen. Deinen Tristan findest du hier nicht, wie du heute gehört hast.“
„Falls Elisabeth die Wahrheit gesagt hat“, warf ich ein.
„Das hat sie. Ich habe sie heute reden hören, dass sie versucht hatte ihn zu finden, nachdem er dich wieder getötet hatte. Sie konnte ihn aber nicht aufspüren. Sie vermutet, dass er sich in Finnland versteckt hält, bei seinen Freunden. Die schirmen alle ab. Da ist kein Herankommen. Vielleicht solltest du es da versuchen.“
Ich war fassungslos. Konnte es sein, dass Lucian mir gerade half?
„Warum tust du das?“
„Was?“
„Warum hilfst du mir auf einmal?“
„Ich bin nicht so schlecht, wie du von mir denkst. Sicherlich bin ich nicht so ein Gut-Vampir wie dein Tristan oder dein blonder Engel hier“, er nickte in Villes Richtung. „Aber die Vorgehensweise der Gardianuls ist nicht meine Art. Sie hätten dich im Swingerclub nicht davonkommen lassen. Auch ich hätte dich locker überwältigen können. Aber so bin ich nicht. Du gefällst mir wirklich, Tara. Ich mag deine Sturheit und deinen Kampfeswillen. Lass dich nicht brechen, ok?!“, er stand auf und drückte mir einen Kuss auf die Wange. Dann verschwand er.
Ich war sprachlos. Da hatte dieser Idiot sich doch tatsächlich von einer Seite gezeigt, die ich nie erwartet hätte. Na super, nun konnte ich ihn nicht mehr verabscheuen. Jetzt tat er mir sogar irgendwie leid. Wahrscheinlich war er auch nur ein unterdrücktes Opfer der Gardianuls, der versuchte mit ihnen auszukommen.
„Was nun?“, riss mich Ville aus meinen Gedanken.
„Hast du Lust, deine alte Heimat zu besuchen?“, grinste ich ihn an. Ville antwortete mir mit einem breiten Lächeln.
„Wie war das? Du wolltest mich da nicht mehr mit hineinziehen?
„Du hast jetzt eh Landesverbot hier“, witzelte ich.
„Außerdem sind die in Finnland mit denen hier in keinster Weise zu vergleichen.“
„Schon gut. Du hattest mich schon beim ersten Satz“, grinste Ville.
Erleichtert strahlte ich ihn an. Konnte es sein, dass ich in dieser Stadt, in der ich ausschließlich blanken Horror erlebte, doch tatsächlich einen Freund gefunden hatte?
Die Reise war sehr einsam gewesen, bis ich ihm begegnet war. Diese nun mit jemanden an meiner Seite fortzuführen erschien mir wundervoll. Und ich mochte Ville, sehr sogar. Es wäre mir eine Freude gewesen, mit ihm die Suche fortzusetzen.
Geschafft griff er nach meiner Hand und zog mich hoch.
„Na dann, holen wir mal noch fix unseren Kram und dann nichts wie ab zum Flughafen.“
„Bist du dir sicher?“
Ville legte seine Arme um meine Schultern und schaute mir tief in die Augen.
„Ich war mir noch nie bei etwas so sicher wie jetzt.“
Ja, ich hatte einen Freund gefunden.
Finnland
Wir fuhren zunächst zu Villes Wohnung, um seine Sachen zu holen, welche er erstaunlich schnell zusammengepackt hatte.
Danach ging es mit dem Taxi in mein Hotel. Ville half mir dabei, alles schnell in meine Koffer zu pressen.
Es war inzwischen 4 Uhr morgens. Natürlich war um diese Zeit die Rezeption nicht besetzt. Normalerweise checkten die Gäste um eine solche Zeit weder ein noch aus.
Dennoch musste ich los. Ich hätte einfach gehen können. Meine Papiere, die ich zum Anmelden meines Zimmers angegeben hatte, waren sowieso gefälscht.
Doch es kam mir falsch vor, das Hotel um meine Zimmermiete zu bringen. Daher hielt ich das Geld sichtbar in die Überwachungskamera und legte es dann zusammen mit meinem Schlüssel auf den Rezeptionstresen.
Ob es nachher noch da lag oder geklaut wurde, befand sich außerhalb meines Verantwortungsbereichs.
Je näher das Taxi dem Flughafen kam, desto mehr entspannten wir uns. Doch erst im Check In fiel die Anspannung gänzlich von uns ab.
Wir hatten es geschafft. Hierhin würden uns die Guardianuls nicht verfolgen.
Aus dem Augenwinkel beobachtete ich Ville, wie er sein Flugticket studierte. Seine blauen Augen hatten sich verdunkelt. Er hatte Hunger. Sie sahen jetzt aus wie ein Meer in der Nacht.
Seine langen, blonden Haare hatte er locker zu einem Pferdeschwanz im Nacken zusammengebunden.
Als er bemerkte, dass ich ihn ansah, blickte er mich fragend mit einem breiten Grinsen an.
Ich grinste zurück, worauf er seinen Arm um mich legte und mich an seine Schulter zog.
Seinen Duft einatmend, schmiegte ich mich an seine Lederjacke.
Er streichelte meine Schulter, gab mir einen Kuss auf mein Haar und legte anschließend seine Wange auf meinem Kopf.
„Es wird alles gut“, flüsterte er, als ob er wüsste, dass ich gerade Trost nötig hatte.
Ich war bereits in Sizilien gewesen und hatte nun in Rumänien eine furchtbare Zeit erleben müssen und alles ohne auch nur einen einzigen Schritt näher zu Tristan gekommen zu sein.
Ich war frustriert und leicht entmutigt. Ich wusste nicht, wie ich dies alles ertragen hätte, wenn Ville nicht an meine Seite getreten wäre. Wahrscheinlich wäre ich noch nicht einmal mehr am Leben ohne ihn.
Er rettete mich auf viele Arten und Weisen und ich war unsagbar dankbar dafür, dass er mich auf der weiteren Reise begleiten würde.
Endlich wurden wir in das Flugzeug gelassen. Es war ein Gefühl, als würde ich die Hölle verlassen dürfen.