Tara. Nancy Omreg
zu sehen. Offensichtlich wollten sie in der Menge keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Vlad zog mich um einige Ecken und schob mich dann in ein wartendes Taxi.
Nervös blickte er über seine Schulter, als er den Taxifahrer anwies drei Runden ziellos durch das Viertel zu ziehen bevor er eine Zieladresse erfuhr.
Der Taxifahrer tat wie ihm geheißen. Nachdem er brav eine halbe Stunde planlos durch die Straßen gefahren war, flüsterte Vlad ihm eine Adresse zu, die er anfahren sollte.
Dann ließ er sich neben mich in die Polster des fast ausgedienten Dacias fallen und suchte meinen Blick.
Bis dahin hatten wir kein einziges Wort miteinander gesprochen. Wir schienen uns entweder ohne Worte zu verstehen oder beide zu wissen, dass gerade keine Zeit war für Unterhaltungen und ich ihm einfach vertrauen musste.
Auch jetzt blieb das Schweigen erhalten. Vlad legte lediglich seinen Arm um mich und ich drückte mich schutzsuchend an ihn.
Ich war mir noch nicht sicher, ob ich die vergangenen Erlebnisse verarbeiten konnte.
Nach einer zwanzig minütigen Fahrt erreichten wir ein weit abgelegenes Viertel, welches direkt an die Nachbarstadt Voluntari angrenzte.
Wieder stiegen wir an einem Park aus. Ich hatte heute eigentlich keine Lust mehr auf Parks, aber Vlad zog mich bereits wieder mit sich und direkt durch den Park hindurch.
Wir rannten so schnell, dass ich die Bäume um mich herum nur noch als vorbeifliegende Schatten wahrnahm.
Nach einem zehnminütigen Sprint hatten wir den Park hinter uns gelassen, waren hinter die Stadtgrenze von Voluntari gelangt und kamen schließlich vor einem stark renovierungsbedürftigen Haus in einer kleinen, dunklen Gasse zum Stehen.
Vlad schloss die Haustür auf. Es stank muffig und nach Schimmel. Die Wände waren mit Graffiti bemalt, welche zusammen mit dem abblätternden Putz auf dem Boden landeten.
Vor einer Wohnungstür im 2. Obergeschoss hielten wir an.
„Ich habe nicht aufgeräumt.“
Es war der erste Satz, der Vlad an diesem Abend zu mir sagte.
Dann stieß er die Tür auf und ging voraus. Er warf seinen Schlüssel in eine Schale auf einer Kommode, zog seine blutverschmierten Stiefel aus und stellte sie auf ein Schuhbrett im Flur.
Ich ging in einen Raum, der wohl das Wohnzimmer war. Ein schwarzes Sofa stand an der Wand. Gegenüber befanden sich ein Fernseher und eine riesige Auswahl an DVDs und Videospielen. Daneben hingen zwei E-Gitarren an der Wand.
Zwischen den zwei Fenstern stand ein Ohrensessel. Um ihn herum stapelten sich Bücher.
Die Fensterrollos waren heruntergezogen. Lediglich eine alte Stehlampe erhellte den Raum.
Ich setzte mich auf die Couch. Vlad war inzwischen auch hereingekommen und hielt mir ein großes Glas mit Blut vor die Nase.
„Es ist nicht frisch, nur Tiefkühlkost, aber besser als nichts.“
Ich nahm es dankend entgegen. Er hatte es in der Mikrowelle warm gemacht. Somit fühlte es sich fast frisch an.
Vlad ließ sich neben mich auf die Couch fallen. „Ist es mit dir immer so aufregend?“, begann er das Gespräch.
Ich wusste nicht ob ich lachen sollte. Er seufzte. „Was wollten die Typen von dir? Oder hast du dich absichtlich mit so vielen Vampiren allein anlegen wollen?“
Ich schloss die Augen. Nein, so hatte ich es mir tatsächlich nicht gedacht. Mein Plan lief irgendwie komplett aus dem Ruder.
„Ich wollte zu Elisabeth“, ich glaubte nicht, dass es ihm weiterhalf, um die Situation heute zu erklären.
„Heißt du nicht so?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Dann hast du mir einen falschen Namen genannt? Warum?“
Spöttisch hob ich eine Augenbraue. „Ich weiß nicht, sag du es mir..,‘Vlad'“, ich ahmte Gänsefüßchen mit meinen Fingern nach.
Entschuldigend grinste er.
„Schuldig. Ich heiße Ville“, grinsend schüttelte er mir die Hand.
„Tara.“
„Klingt nett.“
„Danke.“
Wir grinsten uns an.
„Dein Name klingt nicht sehr rumänisch“, stellte ich fest.
„Ich komme aus Finnland, einem kleinen Dörfchen Nahe Helsinki, um genau zu sein.“
„Und was verschlägt dich hierher? Und nach Italien?“
„Ich habe ein unendliches Leben vor mir. Ich kann doch nicht nur in Finnland hocken und warten, dass wieder ein Jahrzehnt vergeht. Ich reise durch die Welt. Verdiene mir etwas Geld als Gitarrist bei Bands“, er nickte mit dem Kopf in Richtung seiner Gitarren. „Und in der Saison gehe ich Hochseefischen und mache dort meist meinen Jahresumsatz. Davon lässt es sich sehr gut reisen.“
Seine Gesichtszüge wurden nachdenklich.
„Aber du siehst nicht aus, wie jemand, der auf der Reise ist. Mehr wie jemand auf der Suche nach etwas“, er suchte meinen Blick. „Wer ist Elisabeth? Und was hat sie mit den Typen zu tun?“
Ich blickte Ville in die Augen. Eigentlich war er mir komplett fremd, aber die letzten Stunden hatten uns zusammengeschweißt. Wir gingen einander jetzt etwas an. Daher traute ich mir ihm meine Geschichte zu erzählen…, alles…, jedes Detail.
Erstaunlicherweise hörte er mir aufmerksam zu und unterbrach mich nicht.
Als ich geendet hatte, atmete er hörbar aus.
„Das ist ja echt heftig. Du meine Güte“, er fuhr sich durch seine langen, blonden Haare.
„Da werden wir also heute Nacht wieder los machen, um nach ihr zu suchen?“
„Wir?“
„Ja, klar! Denkst du, ich lass dich allein losziehen? Nach allem was passiert ist?“
„Aber dies alles ist doch nicht dein Problem. Du hättest heute Nacht sterben können. Warum gehst du dieses Risiko ein?“
„Vielleicht kämpfe ich einfach gern“, er grinste.
„Im Ernst, warum riskierst du dein Leben wegen mir?“
„Nicht wegen dir…, eher für dich.“
Verständnislos schaute ich ihn an. „Warum?“
„Wie gesagt, ich habe ein unendliches Leben vor mir. Ich habe nichts dagegen, wenn es mal etwas aufregender wird.“
„Aber du...“.
„Ich komme mit, keine Widerrede. Damit ist das Thema jetzt durch, verstanden?!“
Ich holte noch einmal Luft, um etwas zu erwidern, aber nickte letztendlich nur. Ich konnte wirklich jede Hilfe gebrauchen.
„Jetzt ruhe dich erst einmal aus. Auch einer Vampirin verlangt so ein Kampf viel Energie ab.“
Ich nickte und streckte mich auf der Couch aus. Meine Wunden kribbelten und begannen zu heilen. Die Rippenbrüche waren fast wieder verschwunden.
Ville deckte mich zu. Natürlich ging es nicht darum mich zu wärmen, denn ich konnte nicht frieren. Aber so eingekuschelt fühlte ich mich gleich viel sicherer und geborgener.
Ich schloss meine Augen und da ich nicht mehr durch einen menschlichen Schlaf der Wirklichkeit entfliehen konnte, versuchte ich es in meinen Tagträumen.
Zarte Bande
Ein sanftes Rütteln an der Schulter holte mich aus meinen Tagträumen. Ich öffnete meine Augen und blickte in einen Ozean,