Tara. Nancy Omreg
schließlich mussten wir erst noch abheben. Wahrscheinlich war er es gewohnt, stets bevorzugt behandelt zu werden.
Ich schaute wieder zum Fenster heraus. Die Treppe wurde weggerollt. Der Flugkapitän begrüßte uns mit russischem Akzent und beendete seine Durchsage mit einem Flugwitz.
Endlich fing die Maschine an zu rollen. Es war erst mein dritter Flug in meinem Leben und der erste allein. Ich wusste zwar, dass ein Absturz mich nicht töten würde, dennoch überkam mich ein menschliches Unwohlsein.
Der dicke Mann an meiner Seite schien dies zu spüren, denn er drehte sich mir zu. „Uns kann hier nichts passieren. Immerhin sitzt doch schon ein Engel hier“, er zwinkerte wieder. Ich zwang mir ein höfliches Lächeln ab und widmete mich wieder meinem Fenster.
Inzwischen hatten wir unsere Flughöhe erreicht. Der Junior-Typ bekam seinen Tomatensaft und ich bekam… Klaus-Dieter Herrmann.
So hieß der dicke Mann an meiner Seite, wie ich nun erfuhr. Nach zwei Minuten wusste ich auch, wie seine Geschwister hießen, was sein Wellensittich am liebsten fraß und warum der FC Bayern München der beste Verein war.
Klaus-Dieter war frisch geschieden, seine Kinder lebten bei seiner Ex-Frau und er wäre nun wieder frei für Spaß und Liebe. Er zwinkerte mir so oft zu, dass ich stellenweise überlegte, ob es gewollt war oder er einen Schlaganfall bekam. Leider schien ich so viel Glück nicht zu haben. Stattdessen entpuppte sich Klaus-Dieter als echte Witzkanone. Einen Gassenhauer nach dem nächsten haute er heraus.
Während die Witze immer schmutziger wurden, überlegte ich, wie es seine Frau überhaupt so lange mit ihm aushalten konnte.
Der Junior-Typ schien mit seiner Zeitung fertig zu sein und beäugte mich selbstsicher. Er schien wohl auch gewöhnt zu sein, sich die Frauen zu nehmen, die er wollte.
„Sollte sie der Mann stören, kann ich auch gern mit ihm die Plätze tauschen“, raunte er mir über die Schulter von Klaus-Dieter zu. Ja…, die Wahl zwischen Pest und Cholera…, klasse. Nächstes Mal definitiv First Class, schwor ich mir.
Klaus-Dieter schien langsam die Luft auszugehen. Er gähnte und beschloss ein kleines Nickerchen zu machen.
Der Junior-Typ nutzte die Gelegenheit, um sich nun ins Rampenlicht zu stellen. Gott, wie lange konnte dieser Flug noch dauern?!
Während der Junior-Typ Marcus, „mit C, nicht mit K“, mir von seinen tollen Brokererfolgen berichtete, rutschte Klaus-Dieters schlafender Kopf auf meine Schulter. Zum Glück ging es in diesem Moment endlich zum Landeanflug über. Die Stewardess weckte Klaus-Dieter und Marcus war wieder mit dem Verpacken seiner Zeitung beschäftigt.
Ich glaubte, ich klatschte am lautesten von allen, als der Flugkapitän das Flugzeug gelandet hatte. Nicht vor Erleichterung, dass wir sicher gelandet waren, sondern, weil ich endlich den beiden Testosteronbolzen entkommen konnte.
Eilig steckte mir Marcus noch seine Visitenkarte zu. Klaus-Dieter schien dies beobachtet zu haben und sich nun zu ärgern, dass er nicht selbst diesen Einfall gehabt hatte.
Schnell hatte ich mein Handgepäck aufgenommen und rannte förmlich aus dem Flugzeug.
Erst, als ich meinen Rollkoffer vom Band genommen und den Flughafen verlassen hatte, konnte ich durchatmen. Die Männer war ich los und ich war endlich auf Sizilien.
Erice
Es war ein äußerst merkwürdiges Gefühl wieder hier zu sein. Auf der einen Seite freute ich mich, denn die Erinnerungen bewirkten, dass ich mich Tristan wieder so nah fühlte, als wäre er an meiner Seite. Umso schmerzlicher war es mir bewusst zu werden, dass ich dieses Mal allein hier stand.
Ich schloss für einen kurzen Moment die Augen und sah uns als frisch verheiratetes Paar den Flughafen betreten, um nach Hause zu fliegen. Wären wir nur hiergeblieben, dann wären wir noch beieinander.
Ich öffnete wieder meine Augen und schob die trübseligen Gedanken beiseite. Was nützte es über „Hätte, Wenn und Aber“ nachzudenken? Die Situation war, wie sie nun einmal war. Man konnte sie nicht mehr ändern. Doch die Zukunft war beeinflussbar und diese sollte für uns nun zu einer besseren werden.
Ich steuerte zu dem Autoverleih, welchen Tristan damals aufgesucht hatte. Im Gegensatz zu ihm, begnügte ich mich mit einem kleinen Fiat. Ich legte meinen echten Führerschein auf den Tisch, den ich tatsächlich auf ehrliche Weise mit einer Fahrschule erworben hatte.
Der Fiat war nicht mehr der Jüngste. Insgeheim hoffte ich, er würde bis Erice durchhalten. Doch nachdem er beim Anlassen merkwürdig schnalzte und in den ersten beiden Gängen hoch schnaubte, rasselte der Motor nun gemütlich im Takt mit dem Klappern des Dachfensters die Autobahn entlang.
Tatsächlich erreichte ich mit ihm den Parkplatz, von welchem aus ich zu Fuß weitermusste, um mit der Seilbahn hinauf nach Erice zu fahren. Ich atmete noch einmal tief durch, bevor ich die schwankende Gondel betrat.
Die Aussicht raubte mir erneut den Atem. Doch dieses Mal war es nicht nur der überwältigende Anblick, der sich mir zeigte. Es war auch das nicht auszublendende Gefühl, dass Tristan nicht neben mir stand, um mich zu halten.
Meine Arme um mich schlingend, versuchte ich die Tränen zurückzuhalten. Ich war nicht die einzige in der Gondel. Eine Blutspur im Gesicht konnte ich mir nicht erlauben. Doch so schmerzerfüllt wie in diesem Augenblick hatte ich mich schon lange nicht mehr gefühlt. Ich hatte Tristan immer vermisst. Doch mit diesen Erinnerungen konfrontiert, die ich hier nicht verdrängen konnte, war die Trauer unerträglich.
Als ich aus der Gondel stieg, rannte ich auf dem schnellsten Weg zu Pietros Haus. Ich hoffte, dass ich den Schmerz gleich nicht mehr fühlen müsste, weil er mir sagen würde, wo Tristan war.
Als ich vor der Tür von Pietro zum Stehen kam und die Hand zum Klopfen ausstreckte, zögerte ich.
Was wäre, wenn er nicht wüsste, wo Tristan war? All meine Hoffnung wäre zerstört. Der letzte Rettungsanker wäre für immer verloren.
Doch was wäre, wenn Tristan sich sogar bei Pietro befand? Ich könnte ihn sofort wieder in meine Arme schließen.
Nein, ich musste jetzt wissen, woran ich war. Ich konnte nicht noch länger warten und so klopfte meine zittrige Hand an das Tor.
Ein kleines Mädchen öffnete mir die Tür. Ich war verwirrt.
„Ich möchte zu Pietro“, erst als ich die Worte sprach, dämmerte es mir, dass sie mich gar nicht verstehen konnte.
Ich kauerte mich hin, um auf ihrer Augenhöhe zu sein und versuchte meine hart erlernten Italienischkenntnisse anzuwenden.
„Tua mamma o tuo papà sono a casa?”, fragte ich nach ihren Eltern. Die Kleine nickte und schloss wieder die Tür. Dahinter hörte ich sie rufen. Kurze Zeit später öffnete sich das Tor erneut und eine wunderhübsche, junge Frau stand vor mir.
“Scusa, voglio andare da Pietro”, versuchte ich es mit meinem Anliegen erneut.
Doch die junge Frau schüttelte unverständlich den Kopf. “Non c'è Pietro che vive qui.”
Wie, es wohnte kein Pietro hier? Wo sollte er denn sein?
Nach und nach erfuhr ich, dass die junge Frau mit ihrer Familie in diesem Haus zur Miete wohnte. Der Eigentümer war vor einiger Zeit ausgezogen. Wohin wusste niemand. Dann verabschiedete sich die Frau und ich blieb regungslos vor der Tür stehen.
Meine schlimmsten Befürchtungen waren eingetreten. Ohne Pietro konnte ich Tristan nicht suchen. Ohne Pietro konnte ich Tristan nicht finden..., niemals.
Meine Beherrschung versagte. Ich rutschte mit dem Rücken an der Tür hinunter und kam schluchzend daran angelehnt zum Sitzen. Ich verbarg mein Gesicht hinter meinen Armen, damit niemand meine Blutstränen sehen konnte.
Deses Gefühl in mir war nicht in Worte zu fassen. All die Jahre hatte ich darauf vertraut, dass ich nur zu Pietro gehen brauchte, um zu erfahren, wo Tristan war. Er war mein Rettungsplan gewesen. Doch