Die Glocken der Stille. Arber Shabanaj
ihren Tisch und führten ein Gespräch fort, das mit Sicherheit noch nicht zu Ende war. Zu Recht hatte Busch mir mal erzählt, dass ihre Stadt, die Stadt von 1001 Merkwürdigkeiten sei.
Nach den beiden Freunden traf Mark in dem Restaurant ein. Außerhalb seiner Natur, ohne zu grüßen wie gewöhnlich, warf er einen Blick durch das Lokal und, weil - wie es schien - er den Gesuchten nicht sehen konnte, wandte er sich an den Kellner. Mark sprach flüchtig mit ihm und danach wandte er seine Schritte in Richtung auf unseren Tisch.
„Manchmal kann man seinen Augen nicht trauen.“, richtete er den Satz an mich, sobald er mir die Hand gab. „Ich war auf der Suche nach einem Jungen, mit einer Narbe an der Wange, und sie sagten zu mir, dass Sie …“
„Aha, Flober.“, intervenierte ich. „Doch kurz zuvor, nachdem er gegessen hatte, ging er um einen Freund aus der Bundeswehr zu treffen mit dem er als Soldat zusammen gedient hatte.“
Es war zu erkennen, dass Mark wegen einer Sache beunruhigt war, da sobald ich diesen Namen nannte, sein Gesicht rot wie Paprika wurde.
„Jedenfalls hat er ein Zimmer in demselben Hotel - wie ich auch - gemietet und …“
„Nein, nein“, unterbrach er mich mit einer unerklärlichen Eile, „ich werde ihn selber finden.“, und sobald er mir die Hand gab, ging er sehr flott raus.
„Es wird erzählt, dass ein Fußballer aus Wenden für unseren Verein spielen wird.“, erklärte Busch mir.
Welch eine Koinzidenz! Ein Fußballer, in seinem Verein, namens Flober! In dem Verein von Frau Dudens Sohn. Ich weiß nicht, doch dieses Ereignis zeigte mir eine andere Richtung auf. Während der wenigen Minuten Fahrt mit Flober, war ich mir sicher, dass hier nicht von einem Fußballer die Rede war, unabhängig davon, dass er nicht wenige Sportkenntnisse hatte.
Busch bat mich um Erlaubnis sich zu entfernen. Jetzt, als Chef der Grünen, hatte er nicht so viel Freizeit, wie vorher, und das begriff ich.
Ich bestellte noch einen Kaffee und einfach so meditierte ich. Giuseppe und Dutz führten die Diskussion fort. Keiner wusste worüber. Der Kellner räumte die Teller vom Nachbartisch, ansonsten herrschte auf der Straße ein unmöglich lautes Geräusch eines kaputten Auspuffs.
Vor meine Augen tauchten Flober, danach Mark und Flora und irgendwo auch Frau Duden auf. Die letzte hatte ich nie gesehen, doch ich kreierte sie wie eine Frau unter den ersten Klavierspielerinnen, die ich gewöhnlich in den Filmen mit der Thematik aus dem letzten Jahrhundert gesehen hatte.
Ich entsann mich, als Flora so plötzlich wegen einem „Kurs“ fortgegangen ist und für einige Monate in Köln war. Zu der Zeit soll sie kaum nach W. gekommen sein.
Ich erinnerte mich an das verbreitete Gerücht über die Beiden, wie Flora in einer regnerischen Nacht gesehen wurde, als sie aus einer Kölner Geburtsklinik kam. So, um die Zeit tot zu schlagen, schrieb ich auf dem Zettel mit Rechnung, den der Kellner mir mitgebracht hatte: Flober, Mark, Flora.
Sie erweckten in mir einen identischen Klang. Es war modern zu der Zeit, dass Eltern, mit den Buchstaben von ihren beiden Namen, derartige Namen kreierten, die sie ihren Kindern widmeten, meistens sehr schöne Namen, manchmal sogar auch unsympathische.
Ich schrieb erneut: Flober, Mark, Flora. Danach tauschte ich die Reihenfolge: Flora, Mark. Ich blätterte das Grammatikblatt aus meinem Intellekt auf und formte neu: Flo-ra, Ma-rk, Flo-ber. So vollbrachte ich die Zusammenführung der ersten Buchstaben und spürte, dass ich vor einer bitteren Realität stand: Flo-ber, Flober. Das künftige Kind dürfte nicht Flohmarkt, sondern Berti heißen.
Sobald ich mich in meinem Hotelzimmer befand, war ich davon überzeugt, dass ich gleich ein bisschen Schlaf benötigen würde, weil ich von der Reise müde geworden war. Dennoch fand ich keine Ruhe. Als ich zu der Überzeugung gekommen war, dass es zwischen Flober, Mark und Flora eine Verbindung gäbe und … Vielleicht befanden wir uns kurz vor einem Ereignis, das die gesamte Stadt beschäftigen würde.
Es war eine Angewohnheit von mir, dass ich den Raum nicht abschloss, wenn ich mich im Hotel ein wenig schlafen legte. Ich wusste außerdem, dass mich hier niemand beklauen würde. Was sollte man mir auch schon klauen, einen Notizblock?
Flober war in der Zeit gekommen, als der Schlaf meine Augen schwer gemacht hatte. Er klopfte die ganze Zeit an die Tür und ich hatte ihn kaum gehört. Möglicherweise hätte ich auch noch weitere zwei Stunden so verbracht, wenn mich nicht sein Klopfen und sein Weinen geweckt hätten.
„Flober!“, sagte ich zu ihm. „Was hast du denn?“
Doch er weinte ununterbrochen, sodass er mir keine Antwort geben konnte.
„Beherrsch dich.“, sagte ich zu ihm. „Jetzt bist du ein Mann und musst fähig sein, es zu verkraften.“
Aufgrund meiner Worte staunte er.
„Das kann ich nicht. Du kannst dir kaum vorstellen, was mir passiert ist.“, fügte er hinzu, mit der Naivität eines ehrlichen Jungen. „Von dem Augenblick an, als ich von zu Hause aus losgefahren bin, um hierher zu kommen, spürte ich, dass es so kommen müsste … Vielleicht hätte ich nicht kommen sollen … Selbst wäre ich nicht gekommen … Es ist sehr hart …“
Ich bot ihm eine Zigarette an und er zündete sie an.
„Heute traf ich meine wahren Eltern!“, sagte er mit einem triumphalen Gefühl, das seiner Reife entsprach.
„Flora und Mark.“, vervollständigte ich.
Flober war sprachlos.
„Wie?! Du weißt es?! ... Ich kann es kaum glauben, mein Freund Skipetar …“
Er war nun mit einem total besiegten Soldaten zu vergleichen.
„Schau.“, sagte er zu mir und holte einen Brief raus. „Der Vater und die Mutter schrieben mir und sandten einen Brief, sofort nach dem sie den Artikel „Der Junge mit der Narbe“ gelesen hatten. Der Name, das Alter und die Narbe auf der Wange stimmten vollständig überein. Doch auf keinen Fall konnten sie in den kleinen Ort kommen, wo ich wohne. Die Mutter war krank, außerdem die Narbe meines leiblichen Vaters auf der Wange, identisch mit meiner, hätten möglicherweise Probleme für meine Eltern auslösen können und Neugier in dem Dorf erweckt.“
Ich zog tief an meiner Zigarette und Flober auch.
„Die Mutter, vor lauter Freude, konnte sich kaum beherrschen. Sie küsste mich, streichelte mich, als ob ich ein Kindergarten Bub wäre. Sie weinte. Sie weinten beide gemeinsam.“
„Sie erklärten mir, sie hätten mich nie verlassen. Nie. Da sie mich einmal im Monat besuchen kamen, bis ich ein Jahr alt wurde … Bis an dem Tag, als die Jugendamtszuständige zu ihnen sagte, dass ich nicht mehr leben würde … Ich begreife nicht, wie so etwas zu Stande gekommen ist, es ist aber passiert …“
„Mit Sicherheit hat jemand interveniert und jemanden bestochen. Du möchtest es mir verzeihen, aber deine Adoptiveltern könnten eine Rolle dabei gespielt haben.“, sagte ich zu ihm.
„So könnte es möglicherweise auch gewesen sein.“, gab er zu.
Flober sprach und ich spürte, dass dieses Ereignis ihn reifer und männlicher gemacht hatte. Mir kam es so vor, als ob er, der total besiegte Soldat, jetzt zwischen zwei Liebesgefechten stünde.
„Vielleicht bin ich noch zu jung, um eine derartige Geschichte verkraften zu können.“, sagte er.
„Nein, Flober, nein. Du hast sie wie ein wahrer Mann verkraftet. Das erste Gefecht hast du gewonnen …“
„Ich weiß.“, unterbrach er mich. „Ich weiß, dass noch zusätzliche Sorgen hinzukommen und du wirst fragen: Nun was wirst du jetzt machen? Wirst du hier leben, zusammen mit den Beiden, die dich gezeugt haben, in der einmaligen Villa? Zwischen den tausend guten Dingen, oder wirst du in das Dorf zurückkehren, um mit den zwei alten Leuten zu leben, die ihr Leben für dich dahin gegeben haben?“
„Vielleicht würde ich das auch selber sagen.“
Flober streckte