Der Weltenschreiber. Heike Schwender

Der Weltenschreiber - Heike Schwender


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Plätzen waren nur die drei besetzt, die direkt an dem großen Schaufenster lagen. Auf der Theke neben der Tür blubberte eine altmodische Kaffeemaschine vor sich hin und aus den kleinen Lautsprechern an der Decke drang getragener, ruhiger Trip Hop.

      Die Angestellte, eine junge Frau Anfang zwanzig, wies ihnen einen Computer in der hintersten Ecke des Raumes zu. Dort würden sie wenigstens ungestört sein. Matthew bestellte zwei Tassen Kaffee und sie nahmen Platz.

      Als er den Browser geöffnet hatte und die Startseite erschien, entfuhr Dupoit ein leises Pfeifen. »Ein Freund von mir hatte in seinem Büro einen Heimcomputer, mit einer klobigen grauen Tastatur und so einem Gerät, mit dem er die Daten auf Kassetten sichern konnte. Aber das hier...«

      Matthew musste lächeln. Er erinnerte sich noch gut an den vorsintflutlichen Computer seines Vaters.

      Er versuchte mehrere Schlagwörter, aber er konnte Dupoits Ehefrau nicht finden. Die wenigen Personen dieses Namens entdeckte er allesamt mit Bild, und keine passte von ihrem Alter her. Auch die Suche nach seiner Tochter Michelle brachte keine brauchbaren Ergebnisse, aber das verwunderte ihn nicht allzu sehr. Nach dreißig Jahren war anzunehmen, dass sie verheiratet war und dabei vielleicht ihren Familiennamen abgelegt hatte.

      »Was nun?«, fragte Matthew mehr zu sich selbst. »Wir könnten Ihre alte Wohnung aufsuchen und die Nachbarn fragen. Vielleicht lebt ja noch jemand dort, den Sie kennen.«

      Dupoit schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist. Ich denke nicht, dass ich denen erklären könnte, wo ich die letzten Jahrzehnte war.« Dann hob er abrupt den Kopf. »Aber Sie könnten doch hingehen, Matthew. Wenn Sie denen erzählen, Sie seien hier, um nach meiner Frau zu forschen wegen ... einer Erbschaft oder so etwas. Sie müssten sie ausfindig machen. Das wäre wirklich nicht allzu auffällig.«

      Matthew nickte. Das könnte tatsächlich klappen. In dem Augenblick kam ihm jedoch noch ein anderer Gedanke. »Wenn Sie damals so plötzlich verschwunden sind, wird es doch sicherlich eine Vermisstenmeldung gegeben haben. Dann sollten wir auch in der Presse etwas finden.«

      »Ja, das wäre natürlich möglich«, antwortete Dupoit. »Die Bibliothèque nationale hat Zeitungen auf Mikrofilm archiviert, da könnten wir es versuchen.« Er lachte kurz. »Daran wird sich ja hoffentlich nichts geändert haben.«

      Über die Suche hatten sie nicht gemerkt, wie schnell die Zeit vorangeschritten war. Die Uhr des Computers zeigte bereits eins an und draußen begann es zu regnen, erst langsam, dann prasselten die Tropfen immer lauter gegen die Scheibe.

      Matthew lehnte sich zurück und nahm einen Schluck Kaffee. Es war bereits die dritte Tasse, die er hier bestellt hatte. »Wir können es auch erstmal hier versuchen«, sagte er und blickte aus dem Fenster. »Ich glaube Le Mercure hat ein Archiv, das vollständig über das Internet zugänglich ist.«

      »Natürlich«, sagte Dupoit grinsend, »Zeitungen kann man mit diesem Ding auch noch lesen.«

      Kapitel 8

      Als Sarah die Tür zu ihrer Wohnung aufsperrte, war sie so müde, dass sie mehrere Anläufe brauchte, bis sie das Schloss endlich aufbekam. Sie wankte in den Flur, warf die Haustür mit einem lauten Knall, der ihr selbst nur gedämpft bewusst wurde, hinter sich zu und begab sich ohne weitere Umstände in ihr Schlafzimmer. Es hatte keinen Zweck, sich in ihrem Zustand noch weitere Gedanken zu machen. Erst einmal brauchte sie ein wenig Schlaf. Im letzten Moment dachte sie daran, sich ihren Wecker zu stellen, um nicht den ganzen Tag zu verschlafen und dann vollends die Tage und Nächte durcheinanderzubringen. Vier Stunden Schlaf sollten genügen. Dann würde sie sicher irgendwie bis zum Abend durchhalten und sich anschließend zu einer normalen Uhrzeit schlafen legen können.

      Als der Wecker Sarah nach vier Stunden aus einem traumlosen Schlaf riss, überdachte sie griesgrämig ihre zuvor so vernünftig klingende Entscheidung. Hätte sie nicht einfach den ganzen Tag verschlafen und dafür die nächste Nacht durcharbeiten können? Es fiel ihr überraschend schwer, aufzustehen, um sich mit diesem neuen Tag abzugeben, aber sie riss sich zusammen und quälte sich stöhnend aus dem Bett – nichts, was eine ausgiebige Dusche und eine heiße Tasse schwarzer Kaffee nicht wieder in Ordnung bringen könnten!

      Eine halbe Stunde später stand Sarah barfuß und mit nassen Haaren, nur eingehüllt in ihren abgetragenen dunkelgrünen Bademantel, vor den Notizen ihres Großvaters. In der Hand hielt sie eine dampfende Tasse Kaffee, dessen wohltuender Duft schon ausreichte, damit ihre Lebensgeister, nun ja, zumindest die Nasen unter der Bettdecke hervorstreckten.

      Sarahs Blick hing an dem ersten Zettel, auf dem genau die Sätze standen, die sie in dem kleinen versteckten Raum inmitten der Universität so deutlich vor sich gesehen hatte. Die junge Frau nahm einen vorsichtigen Schluck von dem heißen Kaffee und wandte sich der nächsten Notiz zu.

       Weltenschreiber sind alles,

      stand dort in der Schrift ihres Großvaters,

       - die Muse, der Wind, der die Harfe spielt, das innere Auge,

       der Traum, die Eingebung.

       Aber sie sind noch mehr. Sie schreiben selbst.

       Über Gefühle, Gegebenheiten, Gespräche, Gedanken.

       Es scheint, als würden sie schreibend das Schicksal

       beeinflussen.

       Zum Guten oder zum Schlechten?

      Sarah las die Worte, die sie schon so oft gelesen hatte. Sie waren der Grund dafür, dass sie sich mit solch langweiligen Büchern wie der Biographie von Lizzy Körner herumschlug. Nicht, dass die ihr irgendwie weiter geholfen hätte. Aber die Frau war nun einmal der festen Überzeugung, dass irgendjemand ihr Schicksal bestimmte. Und Sarah – auf der Suche nach den Weltenschreibern, die ihr Großvater in seinen Notizen erwähnte – fühlte sich bemüßigt, der Sache nachzugehen. Diese Frau hatte demjenigen, der angeblich ihr gesamtes Leben lenkte, sogar einen Namen gegeben: Clifford. Sarah grinste belustigt. Als hätte eine Muse, ein Weltenschreiber, solch einen gewöhnlichen Namen!

      Sie nippte erneut an ihrem Kaffee und blieb vor der Notiz stehen, während sich ihre Gedanken verselbständigten. Das, was ihr Großvater da aufgeschrieben hatte, brachte sie nicht weiter. Gut, sie hatte jetzt eine ungefähre Ahnung von dem, was ein Weltenschreiber vielleicht war. Na ja, auch das war schon übertrieben. Sie wusste ja nicht einmal, ob hier überhaupt noch von einem Menschen die Rede war. Vielleicht war das Ganze auch eine unsichtbare Macht, eine Droge, ein Außerirdischer?

      Sarah seufzte. Sie kam einfach nicht weiter. Und dieses Mal fiel es ihr leicht, sich einzugestehen, dass das auch vorher bereits der Fall gewesen war. Die Notizen ihres Großvaters hatten vor einem halben Jahr ihr Interesse geweckt und ihr die Hoffnung vermittelt, sie könnte vielleicht herausfinden, was aus ihm geworden war. Was ihm zugestoßen war. Aber – Fehlanzeige!

      Erst während der vergangenen Nacht war sie zufällig auf etwas gestoßen, das sie tatsächlich einen Schritt weitergebracht hatte. Und das – ganz nebenbei – neue Fragen aufgeworfen hatte. Was war das für eine Karte, die sie in dem kleinen versteckten Raum abgemalt hatte? Wo kam dieser Raum überhaupt auf einmal her? Wer hatte ihn genutzt? Und wer hatte in den Bibliotheksbüchern Hinweise darauf hinterlassen, was mit ihm geschehen war? Was wollte er damit bezwecken? Dass man ihn fand? Aber einen Hinweis auf den Verbleib des Gefangenen hatte Sarah beim besten Willen nicht entdecken können!

      Wieder entrang sich ein Seufzer ihrer Brust. Sie nahm einen weiteren Schluck von dem Kaffee und verzog angewidert das Gesicht. Großartig! Jetzt hatte sie bei all den Überlegungen ihren Kaffee kalt werden lassen! Sie stand vor den Notizzetteln ihres Großvaters und spürte, wie die Sinnlosigkeit ihrer Überlegungen sie zu übermannen drohte. So kam sie nicht weiter! Sie würde sich anziehen und einen Spaziergang machen. Vielleicht konnte sie so wieder Ordnung in ihre Gedanken bringen!

      Sarah verließ das Haus und wandte sich in Richtung des kleinen Parks, der in der Nähe ihrer


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