Multisystem-Erkrankungen erkennen und verstehen. Sibylle Reith

Multisystem-Erkrankungen erkennen und verstehen - Sibylle Reith


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      Sibylle Reith

      Multisystem-Erkrankungen erkennen und verstehen

      Über die unterkomplexe Wahrnehmung und Versorgung komplexer Erkrankungen

       Der besondere Service

      Ich stelle Ihnen unter dem folgenden Link zwölf Grafiken zum Download zur Verfügung:

       https://sync.luckycloud.de/d/7266cea0f9154f428642/

      Passwort: REITH//GRAFIK

      Sie wollen eine oder mehrere meiner Grafiken verwenden?

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      Sibylle Reith: [email protected]

      Bitte beachten Sie, dass das aufwändige Layout dieses E-Books auf „echte“ E-Book-Reader ausgelegt ist. Nicht jede App, die es Ihnen ermöglicht, auf Ihrem Smartphone oder Tablet E-Books zu lesen, stellt alle Formatierungen dar. Das kann zu einer erheblichen Minderung der Lesequalität und der Verständlichkeit führen.

      „Tatsachen schafft man nicht dadurch

      aus der Welt, dass man sie ignoriert.“

      Aldous Huxley

      Einleitung

       Diese Einleitung ist gleichzeitig die Zusammenfassung der wesentlichen Inhalte dieses Buches.

      Als ich vor vielen Jahren begann, mich mit meiner eigenen multisystemischen Erkrankung auseinanderzusetzen, ahnte ich nicht, dass mich dieses Thema so packen würde, dass ich, nachdem ich meinen Beruf als Lehrerin aufgegeben hatte, mehrere Jahre mit wissenschaftlicher Recherche verbringen würde. Ich ahnte auch nicht, welche Komplexität mich erwartete und auch nicht, in welches Spannungsfeld ich mich begeben würde.

      Ein dreipoliges Spannungsfeld

      Auslöser meiner Recherchen war die Erkenntnis, dass die medizinische Irrfahrt, die ich erlitt, nicht nur mir widerfuhr, sondern dass ich Teil einer viel tausendköpfigen „Community der multisystemisch Erkrankten“ war – die Mitglieder dieser unfreiwilligen Gemeinschaft verschwanden jedoch – und verschwinden noch heute – aus der Gesellschaft.

Die unzureichende Versorgung, die ich erlebte, war nicht nur mein persönliches, sondern war – und ist – ein strukturelles Problem.

      Ich wollte verstehen, begab mich auf die Suche und fand mich in einem dreipoligen Spannungsfeld aus Motivation, Faszination und Abscheu wieder.

      Motivation

      Während ich selbst mich langsam, über Jahre, regenerieren konnte (heute, mit 60 Jahren geht es mir wesentlich besser als im Alter von 40 Jahren) erlebte ich Menschen, die aufgrund ihrer multisystemischen Erkrankungen schwer krank, behindert, bettlägerig und/oder pflegebedürftig waren. Die Gemeinsamkeit zwischen uns allen war, dass die organischen Regulations-Systeme chaotisiert zu sein schienen, der ganze Organismus lief nicht rund – ohne dass ein Organ als Übeltäter ausfindig gemacht werden konnte. Die übliche Standard-Diagnostik konnte keine Auskunft geben. Die diagnostischen Werte schienen nicht die relevanten zu sein. Unsere Art von Erkrankung fand sich nicht in den Krankheits-Registern. An welche Fachdisziplin sollten wir uns wenden? Keine passte.

      Faszination

      Einige wenige engagierte Behandler kümmern sich – trotz widriger Rahmenbedingungen (!) – dankenswerter Weise um Patienten mit den scheinbar „medizinisch unerklärlichen“ Symptomen. In ihren Publikationen zeigen sie, dass mit Hilfe spezifischer Laboruntersuchungen Befunde ans Licht kommen, die mit den üblichen Standard-Untersuchungen und der Routine-Labordiagnostik nicht gefunden werden.

„Medizinisch nicht erklärbar“ wurde damit zu „Nicht auffindbar mit der üblichen Diagnostik“.Vielfach entpuppt sich, was allzu oft und nur scheinbar folgerichtig, als „medizinisch unerklärliche“, bzw. psychische Erkrankung etikettiert wird, anhand objektivierbarer Befunde als (schwerwiegende) behandlungsbedürftige (und zumindest segmental behandelbare!) immunologische und metabolische – also primär organische – Entgleisung.

      Doch was wird da untersucht? Zuerst stieß ich auf die Mitochondrien-Medizin und in der Folge auf hochspannende, multidisziplinäre Wissenschaftsfelder. Wie bei einem Puzzle ergab sich daraus das Grundmuster eines komplexen, multisystemischen Krankheitsverständnisses.

      Abscheu

      Die Medizingeschichte der multisystemischen Komplex-Erkrankungen entpuppte sich als ein Jahrzehnte währender, historisch einmaliger medizinwissenschaftlicher Streit, der eine ganze Gruppe von Erkrankungen betrifft und der in der öffentlichen Debatte dennoch nur marginal wahrgenommen wurde und wird. Es ist eine Geschichte der Kontroversen, Dissense, Petitionen, Offenen Briefe, Auseinandersetzungen um medizinische Leitlinien (mit Konsequenzen für Diagnostik und Therapie) und Anfragen an den Bundestag.

Diskurse sind wichtige kommunikative Instrumente der Auseinandersetzung. Aber wenn wissenschaftliche Erkenntnisse ignoriert werden, wenn Patienten aufgrund der Komplexität ihrer Erkrankung ins Abseits verschoben werden, wenn selbst die medizinische Grundversorgung nicht gewährleistet ist, wenn von Seiten der Behörden keine Unterstützung zu erwarten ist, wenn diese Kontroversen also unbeschreibliches Leid und soziale Not insbesondere für schwer Betroffene mit ohnehin geringer Lebensqualität nach sich ziehen – dann entsteht Abscheu.Die Abscheu bringt uns nicht weiter. Das Thema erfordert die Aufklärung aller Beteiligten: Der Patienten, der Behandler und der Entscheider im Gesundheits- und Sozialwesen.

      „Multisystemische Erkrankungen“

      Behandler berichten über eine stetig wachsende Anzahl von Patienten mit immer komplexeren Beschwerdemustern in sehr heterogenen Patientengruppen, die sich nur schwer klassifizieren lassen. Auch die Verläufe und die Schweregrade unterscheiden sich, oft sind die Beschwerden massiv und lebensverändernd.

Kann es sein, dass wir heute massenhaft auftretende gesundheitliche Beschwerdebilder erleben, für die es bislang keinen geläufigen Begriff gibt?

      Die Art und Stärke reicht von unklaren Symptomen wie Grippegefühl oder Benommenheit bis hin zu schweren und schwersten Einschränkungen der Lebensqualität mit Arbeitsplatzverlust, Behinderungen und Pflegebedarf. Bei diesen Erkrankungsausprägungen läuft das Räderwerk der ineinandergreifenden Regulations-Systeme nicht rund, die zahlreichen Beschwerden lassen sich jedoch kaum lokalisieren, bleiben ohne Erklärung und werden deshalb verharmlost. Manche Patienten erleben, dass sie offen oder versteckt das Etikett „Hypochonder“ erhalten oder dass hinter vorgehaltener Hand gar von „Krankheitsgewinn“ die Rede ist. Die Beschwerden, z. B. Schmerzen, sind jedoch durchaus real und in den meisten Fällen alles andere als kleine Malaisen.

Solche komplexen Erkrankungen werden von mehreren Autoren als „Erworbene multisystemische Erkrankungen“ bezeichnet. Sie gehören zu den umstrittensten und anspruchsvollsten Krankheitsbildern.

      Das sogenannte Post-COVID-Syndrom/PCS, (auch „Long-COVID“), das sich parallel zu meiner Arbeit am Manuskript als mögliche Langzeitfolge nach einer SARS-CoV-2-Infektion entwickelte, ist das Paradebeispiel einer multisystemischen Erkrankung mit allen typischen Merkmalen – wie aus dem Lehrbuch: Wenn es denn dieses Lehrbuch gäbe... PCS-Patienten erleben nun exemplarisch alle Hemmnisse, Hürden und den Versorgungsnotstand multisystemisch Erkrankter.

Ziel dieses Buches ist, Erworbene Multisystem-Erkrankungen besser verstehbar zu machen und so als Wegbereiter und Wegweiser hin zu einer besseren Versorgung zu dienen.Das Thema Multisystem-Erkrankungen hat Bezug zu sehr vielen medizinischen Fachbereichen. Zu jedem dieser Themen gibt es eine Fülle an Informationen – verstreut im Internet, in Fachzeitschriften, in Büchern, Fernsehsendungen und in Hörmedien. Das vorliegende Buch versucht, diese unüberschaubare Informationsflut sinnvoll zu strukturieren.

      Charakteristik multisystemischer Erkrankungen

      Als Kurz-Charakteristik für multisystemische Erkrankungen können zwei gemeinsame Merkmale genannt werden:

       Die Patienten klagen über unspezifische und zahlreiche körperliche und seelische Symptome. Die üblichen Untersuchungen ergeben


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