Ben Hur. Lewis Wallace

Ben Hur - Lewis Wallace


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Eine römische Garnison hielt die Burg Antonia besetzt, römische Wachen standen vor dem Tore des Palastes, römische Steuern, die mit unnachsichtlicher Härte eingetrieben wurden, lasteten gleich schwer auf Stadt und Land. Täglich, stündlich und in tausenderlei Weise wurde das Volk gedrückt und gequält und an den Unterschied zwischen Freiheit und Knechtschaft erinnert; dennoch wußte Annas es in äußerlicher Ruhe zu erhalten. Als aber Ismael sein Amt antrat, begann das Feuer der Unzufriedenheit immer stärker aufzulodern, und der Prokurator Gratus sah sich gezwungen, die Burg Antonia mit einer ganzen Kohorte Legionssoldaten zu belegen.

      So lagen die Dinge in Jerusalem, als an einem heißen Julitag um die Mittagszeit sich zwei Jünglinge im Garten eines Palastes auf dem Berge Sion befanden. Der Garten war rings von Gebäuden umgeben, an deren Seiten sich Galerien und Altane hinzogen. Grasflächen, Gesträuche und Bäume boten dem Auge einen entzückenden Anblick. Ein Springbrunnen in der Mitte ergoß sein kühles Wasser in ein Marmorbecken. Die beiden Jünglinge, die ein Alter von ungefähr neunzehn und siebzehn Jahren haben mochten, waren beide wohlgestaltet und konnten auf den ersten Blick für Brüder gehalten werden. Beide hatten schwarzes Haar und schwarze Augen, die Gesichtsfarbe war tiefbraun. Der ältere hatte die Kopfbedeckung abgelegt. Eine lose Tunika, die bis zu den Knien reichte, kennzeichnete ihn als Römer. Und wenn er im Gespräche von Zeit zu Zeit stolz auf seinen Gefährten herabblickte und ihn wie einen Untergeordneten anredete, so konnte man das einigermaßen entschuldigen, denn er stammte aus einer vornehmen Familie, die selbst in Rom im höchsten Ansehen stand – ein Umstand, der zu jener Zeit jede Anmaßung als verzeihlich erscheinen ließ.

      In den großen Kriegen der ersten Kaiserzeit hatte sich die Familie Messala stets ausgezeichnet, der Kaiser Augustus verdankte ihnen viel und überhäufte sie mit Ehren. Unter anderm sandte er, als Judäa eine römische Provinz geworden war, den jungen Messala, den vorhin beschriebenen Jüngling, nach Jerusalem und übertrug ihm die Eintreibung und Verwaltung der in dieser Provinz erhobenen Steuern. Als oberster Steuerbeamter wohnte er neben dem Hohenpriester im königlichen Palaste.

      Der Gefährte des Messala war schmächtiger von Gestalt, seine Kleider waren aus feinem weißen Linnen, seine Gesichtszüge kennzeichneten ihn als Juden. Die Stirn des Römers war hoch und schmal, seine Adlernase scharf, seine Lippen dünn und gerade, seine Augen kalt und unter dichten Brauen verborgen. Der jüdische Jüngling hatte eine niedrige, breite Stirn, eine lange Nase mit weiten Flügeln, eine kurze Oberlippe, die leicht die untere beschattete und wie mit einem Bogen die beiden Grübchen an den Mundwinkeln überspannte.

      »Sagtest du nicht soeben, der neue Landpfleger werde morgen kommen?«

      Diese Frage wurde von dem jüngeren der beiden Freunde gestellt, und zwar in griechischer Sprache, die in den gebildeten Kreisen Judäas allgemeine Umgangssprache geworden war.

      »Ja, morgen,« antwortete Messala.

      »Wer hat es dir gesagt?«

      »Ismael, der neue Palastverwalter – ihr nennt ihn Hohenpriester – hat es gestern abend meinem Vater mitgeteilt. Auch habe ich heute morgen mit einem Hauptmann von der Burg gesprochen, und dieser erzählte mir, es würden bereits Vorbereitungen zu seinem Empfange getroffen, Helme und Schilde geputzt, die Adler und Kugeln vergoldet und Räumlichkeiten, die lange unbenutzt waren, gereinigt und gelüftet, als sollte die Besatzung um eine neue Abteilung verstärkt werden. Wahrscheinlich handelt es sich nur um die Leibwache des großen Mannes.«

      Die Wangen des jüdischen Jünglings färbten sich röter und stumm, wie geistesabwesend, blickte er in die Tiefe des Teiches. Der spöttisch überlegene Ton in den Worten des Römers hatte sein Nationalgefühl gekränkt.

      »Vor fünf Jahren nahmen wir in diesem Garten voneinander Abschied, als ich nach Rom ging,« sagte Messala, das Gespräch ablenkend. »Du hast dich inzwischen prächtig entwickelt, Judah!«

      »Ja, es sind fünf Jahre,« antwortete der Jüngere. »Ich erinnere mich jenes Abschiedes recht gut. Du gingst nach Rom, ich sah dich abreisen und weinte, denn ich liebte dich. Die Jahre sind dahin. Hochgebildet und weltgewandt kehrst du zurück – ich scherze nicht. Und doch wünschte ich, du wärest derselbe Messala, der damals von mir geschieden ist.«

      Der Nasenflügel des Spötters zuckte, und noch gedehnter kam es von seinen Lippen: »Warum so ernst? Und was meinst du mit deinem Ausspruch, ich sei nicht mehr derselbe Messala wie vorher?«

      Der Jüngling errötete von neuem, doch antwortete er fest:

      »Du hast, wie ich sehe, die Gelegenheiten, die sich dir boten, wohl benützt, du hast dir von deinen Lehrern manche Kenntnisse und ein vornehmes Betragen angeeignet. Du sprichst mit der Gewandtheit eines Meisters in der Redekunst, aber deine Rede birgt einen Stachel. Mein Messala hatte dieses Gift nicht, als er von mir schied; nicht um die Welt hätte er die Gefühle eines Freundes verletzt!«

      Der Römer lächelte, als ob man ihm eine Schmeichelei gesagt hätte, und stolz warf er den Kopf zurück.

      »O feierlicher Judah, wir sind nicht in Dodona oder Delphi. Laß deine Orakelsprüche und rede deutlich! Womit habe ich dich verletzt?«

      Dieser atmete tief auf und antwortete, während er an der Schnur seines Kleides zupfte:

      »In diesen fünf Jahren habe auch ich etwas gelernt. Hillel mag sich ja mit deinem Logiker nicht messen können und Simeon und Schammai erreichen jedenfalls deinen Lehrer am Forum nicht. Ihr Unterricht aber führt nicht auf verbotene Pfade, wer zu ihren Füßen sitzt, steht auf, bereichert mit der Kenntnis Gottes, des Gesetzes und Israels. Die Frucht dieser Kenntnis ist Liebe und Ehrfurcht gegen alles, was mit diesen im Zusammenhang steht. Der Besuch der hohen Schule und der Unterricht, den ich dort genoß, lehrte mich, daß Judäa heute nicht ist, was es ehedem war. Ich kenne den Abstand zwischen einem unabhängigen Königreich und einer armseligen Provinz, wie Judäa sie ist. Ich wäre niederträchtiger und verächtlicher als ein Samariter, wenn ich diese Erniedrigung meines Vaterlandes nicht fühlte. Ismael ist nicht rechtmäßiger Hoherpriester und kann es nicht sein, solange der edle Annas lebt. Doch ist er ein Levite, einer jener Gottgeweihten, die durch Jahrtausende treu dem Herrn, dem Gott unseres Glaubens und unserer Anbetung, gedient haben.«

      Messala unterbrach ihn mit einem höhnischen Lachen: »O! ich verstehe dich jetzt! Ismael, sagst du, ist ein Eindringling. Was für merkwürdige Menschen ihr Juden doch seid. Was für merkwürdige Menschen ihr Juden doch seid. Alle Menschen und Dinge ändern sich, nur ihr bleibt immer dieselben. Alles dreht sich für euch um den kleinen Kreis eures Glaubens, außerhalb dessen ihr für gar nichts, weder für Kunst, noch für Wissenschaft Interesse habt. Das ist euer Leben mit seinen Schranken! Wer kann es mir verargen, wenn ich über euch lache? Was ist euer Gott, der sich mit der Anbetung eines solchen Volkes begnügt, gegen unfern römischen Jupiter, der uns seine Adler leiht, damit wir dis ganze Welt mit unsern Waffen erobern? Hillel, Simeon, Echammai, Abtalion – was sind diese gegen unsere Meister, die lehren, daß alles wissenswert ist, was im Bereiche des menschlichen Wissens liegt?«

      Der Jude erhob sich, Zornesröte stieg ihm ins Gesicht. »Nein, nein; bleib sitzen, Judah, bleib sitzen!« rief Messala und begleitete sein Wort mit entsprechender Handbewegung.

      »Du spottest meiner.«

      »Höre mich ein wenig weiter!« sprach der Römer. »Ich danke dir, daß du hierher gekommen bist, um mich nach meiner Rückkehr zu begrüßen und die Freundschaft unserer Kindheit zu erneuern. Nun, inzwischen haben mir meine Lehrer gezeigt, daß heute Mars die Welt regiert, und daß Ruhm das einzige ist, was eines Römers würdig. Ich werde Soldat; und du, mein Judah? Ich bedaure dich; was kannst du werden? Von der Schule in die Synagoge, dann in den Tempel; und dann – welch hohe Auszeichnung! – ein Sitz im Hohen Rate. Ein Leben ohne Aussichten; mögen die Götter dir gnädig sein! Aber ich–«

      Judah blickte auf, gerade im rechten Augenblicke, um den Ausdruck des Stolzes zu gewahren, den Messalas Gesichtszüge angenommen hatten, da er fortfuhr:

      »Aber ich – noch ist nicht die ganze Welt erobert! Das Meer birgt Inseln, die noch niemand entdeckt hat. Im Norden wohnen Völker, die noch keinen Römer gesehen haben. Der Ruhm, den Zug Alexanders nach dem fernen Osten vollendet zu haben, ist bisher noch nicht errungen! Sieh, die ganze Welt


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