Ben Hur. Lewis Wallace

Ben Hur - Lewis Wallace


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manches vorbrachte, war geradezu unerträglich.«

      »Ja, fast alle Römer sind unerträglich stolz!« sagte die Mutter.

      »Nun, Messala hat stets ein gut Teil von dieser unangenehmen Eigenschaft besessen. Als er noch ein Kind war, hörte ich ihn Fremde verspotten, die zu ehren selbst ein Herodes nicht unter seiner Würde hielt; Judäa aber hat er bisher stets verschont. Heute zum ersten Male hat er im Gespräch mit mir unsere Gebräuche und unseren Gottesglauben angegriffen. Ich habe, wie es dein Wunsch war, mit ihm endgültig gebrochen. Und nun, teure Mutter, möchte ich Gewißheit haben, ob die Römer wirklich Grund haben, uns zu verachten. Worin stehe ich Messala nach? Gehören wir einem minderwertigen Volke an? Warum sollte ich mich, sei es selbst in Gegenwart des Kaisers, als Sklaven fühlen? Weshalb sollte ich nicht, wenn ich mich fähig fühle und dafür entscheide, die Ehren der Welt auf allen Gebieten erstreben dürfen? Warum darf ich nicht zum Schwerte greifen und Kriegsruhm suchen? Warum als Dichter nicht alles besingen, was meine Brust bewegt? Ich kann Handwerker, Hirt, Kaufmann werden – weshalb nicht Künstler wie die Griechen? Sag' mir, Mutter – hierin besteht mein ganzer Kummer – warum darf ein Sohn Israels nicht alles tun, was ein Römer tut?«

      Die Mutter hatte mit reger Aufmerksamkeit den Worten Judahs zugehört. Ihre Hand legte sich sanft auf seine Stirn und die Finger strichen liebkosend über sein Haar, während ihre Augen die fernen Sterne suchten. Ihr Nationalstolz war nicht minder entwickelt als der des Sohnes, er war kein bloßes Echo desselben, sondern entsprang ihrer innersten Natur. Sie wollte ihm antworten; aber um alles in der Welt nicht hätte sie ihm eine unbefriedigende Antwort geben mögen: eine Anerkennung der Überlegenheit des Römers mußte Judah entmutigen und seine Tatkraft für immer lähmen. Sie fürchtete, dieser Aufgabe nicht gewachsen zu sein.

      »Die Beantwortung der Fragen, die du mir vorlegst, ist für ein Weib zu schwierig. Laß mir bis morgen Zeit zur Überlegung; ich will den weisen Simeon bitten –«

      »Sende mich nicht zu dem Lehrer,« sagte Judah rasch. »Ich bedarf mehr als eine bloße Belehrung. Diese könnte er mir besser geben als die Mutter. Du aber kannst mir etwas verschaffen, was er nicht kann, nämlich den Entschluß, der die Seele eines Mannes ist.«

      Sie warf einen Blick zum Himmel und suchte die ganze Bedeutung seiner Fragen zu erfassen.

      »Fasse Mut, mein Sohn! Es ist wahr, Messala ist von edler Abkunft. Schon in den Tagen des republikanischen Rom haben sich Glieder seiner Familie teils als Krieger, teils als Zivilbeamte ausgezeichnet. Doch wenn heute dein Freund seiner Ahnen sich rühmte, durch Aufzählung der deinigen könntest du ihn beschämen. Wenn er, um dir seine Überlegenheit zu beweisen, auf das hohe Alter hinwiese, bis in welches sich sein Geschlecht zurückverfolgen läßt, auf ruhmvolle Taten, Rang und Reichtum, so könntest du ohne Furcht in jeder Hinsicht den Vergleich mit ihm aufnehmen.«

      Sie hielt inne; nach einigem Nachsinnen sprach sie weiter: »Es gilt heute als fester Grundsatz, daß der Adel der Geschlechter und Familien vorzugsweise durch hohes Alter bestimmt wird. Ein Römer steht aber hierin stets einem Sohne Israels nach. Er könnte höchstens bis zur Gründung Roms zurückgehn. Wie steht es aber in dieser Beziehung mit uns? Sind wir besser daran?«

      Wäre es im Gemache nicht so dunkel gewesen, so hätte Judah den Ausdruck des Stolzes bemerken müssen, der sich bei diesen Worten über ihr Gesicht verbreitete. Ihre Stimme zitterte, zarte Erinnerungen tauchten in ihrem Geiste auf.

      »Dein Vater, mein Judah, ist zu seinen Vätern versammelt. Doch erinnere ich mich, als sei es heute abend gewesen, des Tages, da er und ich mit einer Anzahl von Freunden in festlicher Stimmung zum Tempel hinaufzogen, um dich dem Herrn darzustellen. Wir opferten die Tauben, ich nannte dem Priester deinen Namen, und in meiner Gegenwart schrieb er in das Register: ›Judah, Sohn des Ithamar, aus dem Hause Hur.‹ Dieser Name wurde sodann in das allgemeine Familienbuch des Volkes Israel eingetragen. Ich weiß nicht, wann man anfing, den Namen jedes Israeliten in dieser Weise aufzuschreiben. Doch ist dieser Gebrauch gewiß älter als der Auszug aus Ägypten. Ich habe Hillel sagen hören, Abraham selbst habe das erste Geschlechtsregister angelegt und es mit seinem und seiner Söhne Namen eröffnet, dazu sei er bestimmt worden durch die Verheißungen des Herrn, welche ihn und seine Nachkommen von allen Völkern schieden und zu Stammvätern des edelsten Geschlechtes, des wahrhaft auserwählten Volkes machten. Unser Volk hat öfters in manchen Punkten das Gesetz Gottes mißachtet, aber in diesem Punkte nie. Nur einmal werden die Register unterbrochen, und zwar am Ausgange des zweiten Zeitraumes. Als aber das Volk aus der langen Verbannung zurückgekehrt war, hielt es Zerobabel für seine erste Pflicht gegen Gott, die Bücher wieder herzustellen. So sind wir imstande, die jüdischen Geschlechter in ununterbrochener Reihe durch volle zwei Jahrtausende zu verfolgen. Und darum, wenn hohes Alter der Prüfstein des Adels ist, dann sind die Söhne Israels, welche dort auf den Höhen Rephaims ihre Herden weiden, edler geboren als die Edelsten der Marcier.«

      »Und ich, Mutter, wer bin ich nach diesen Büchern?«

      »Was ich bisher sagte, mein Sohn, bezog sich schon auf deine Frage. Ich will dir genauer antworten. Wenn wir unsere Geschlechtsbücher zurückverfolgen bis zur Gefangenschaft, weiter zum Bau des ersten Tempels und endlich bis zum Auszug aus Ägypten, so erlangen wir unumstößliche Gewißheit, daß du in gerader Linie von Hur, dem Gefährten Josuas, abstammst. Willst du noch weiter gehn? Dann nimm die Thora und schlage das Buch Numeri auf, so wirst du dort unter den zweiundsiebzig Geschlechtern nach Adam den ursprünglichen Stammvater deines Hauses finden.«

      Stille herrschte eine Zeitlang in dem Zimmer auf dem Dache. »Ich danke dir, Mutter,« sagte Judah dann, ihre beiden Hände ergreifend; »ich danke dir von ganzem Herzen. Ich hatte recht, daß ich den würdigen Lehrer nicht hierher bemühte. Er hätte mir nicht besser und befriedigender Auskunft geben können. Aber begründet denn hohes Alter für sich allein schon den Adel einer Familie?«

      »Ah, du vergissest, mein Sohn; unsere Ansprüche gründen sich nicht auf das Alter allein; die Auserwählung durch den Herrn ist unser vorzüglichster Ruhm.«

      »Du sprichst vom ganzen Volke, Mutter, und ich rede von der Familie, unserer Familie. Haben sich Glieder derselben seit der Zeit unseres Vaters Abraham irgendwie ausgezeichnet? Welche Taten haben sie vollbracht? Wie sich vor ihren Mitmenschen hervorgetan?«

      Die Mutter zögerte. Sie fühlte, daß die Unterredung mit Messala wohl mehr in ihrem Sohn aufgewühlt habe, als sie gedacht hatte.

      »Ich ahne, mein Judah,« sagte sie, ihm die Wange streichelnd, »ich ahne, daß ich mehr gegen einen wirklichen als gegen einen eingebildeten Feind zu kämpfen habe. Ist Messala dieser Feind, so laß mich nicht im Finstern mit ihm kämpfen. Erzähle mir alles, was er gesagt hat.«

      Der Jüngling erzählte jetzt seiner Mutter die ganze Unterredung mit Messala und verweilte mit besonderem Nachdruck bei den verächtlichen Äußerungen, die dieser über die Juden, ihre Gebräuche und ihren engbegrenzten Lebenskreis getan hatte.

      Ohne ihn zu unterbrechen, hörte ihm die Mutter zu, denn nun erkannte sie klar den Stand der Dinge. Die Liebe zu einem Spielgenossen der Kindheit hatte Judah zum Palaste auf dem Marktplatze geführt. Er hoffte, ihn so wiederzufinden, wie er ihn vor Jahren verlassen hatte; er traf aber einen Mann, der, statt unter fröhlichem Lachen der Spiele der Vergangenheit zu gedenken, nur von der Zukunft sprach und von künftigen Ehren, von Macht und Reichtum träumte. Sich selbst unbewußt, war Judah mit verletztem Stolze und von einem leicht erklärlichen Ehrgeiz erfüllt heimgekehrt. Sie aber, die wachsame Mutter, sah es, und da sie nicht wußte, wohin ihn dieser Drang führen könne, erwachte in ihr die Jüdin. Wie, wenn diese Gedanken ihn dem Glauben der Väter entfremdeten? In ihren Augen wäre dies schrecklicher als alles andere, was sonst daraus folgen konnte. Sie wußte nur ein Mittel, diese Gefahr abzuwenden, und sie wendete es an mit der ganzen Kraft ihres Geistes, die noch ihre zärtliche Liebe erhöhte. Daher nahmen ihre Worte den Ausdruck männlicher Entschiedenheit und öfters dichterischen Schwung an, als sie sprach:

      »Es hat nie ein Volk gegeben, das nicht davon überzeugt war, jedem andern zumindest ebenbürtig zu sein, nie eine bedeutende Nation, die sich nicht für die größte hielt. Wenn der Römer mit Verachtung auf Israel herabsieht, so wiederholt er nur die Torheit der Ägypter, Assyrer und Makedonier, und da die Verachtung sich


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