Ben Hur. Lewis Wallace

Ben Hur - Lewis Wallace


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die in den Himmel blickten und die ganze Zukunft schauten. Und was sie sahen, schrieben sie nieder und hinterließen ihre Schriften der Nachwelt, auf daß spätere Zeiten deren Wahrheit bewiesen. Sieh hier den Thespiter und seinen Diener Elisäus! Sieh dort die drei Jünglinge, die dem Bilde des Babyloniers die Verehrung versagten, und unter ihnen den, der am Gelage die Sternkundigen beschämte. Und dort, mein Sohn, sieh dort den Sohn des Amos, aus dessen Mund die Welt die herrlichen Weissagungen über den kommenden Messias vernahm!«

      Die Mutter machte eine Pause, als sei sie in tiefe Gedanken versunken.

      »Ich habe dir, Judah,« fuhr sie endlich fort, »so gut ich es vermochte, unsere großen Männer, die Patriarchen, Gesetzgeber, Krieger, Sänger und Propheten vor Augen geführt. Vergleiche sie mit den besten Männern Roms und frage dich, ob du dich unseres Volkes zu schämen brauchst. Darum, was deine Zukunft betrifft,« – sie sprach die letzten Worte langsam und mit zitternder Stimme – »was deine Zukunft betrifft, mein Sohn, so diene dem Herrn, dem Gotte Israels, nicht Rom. Für ein Kind Israels gibt es keinen Ruhm außer im Dienste des Herrn; darin aber findet es hohen Ruhm.«

      »Ich darf also nicht Soldat werden?« fragte Judah.

      »Warum nicht? Nannte nicht Moses Gott einen Herrn der Heerscharen?«

      Es herrschte wieder tiefe Stille im Zimmer auf dem Dache. Endlich sprach die Mutter: »Du hast meine Erlaubnis, nur diene dem Herrn und nicht dem Cäsar!«

      Judah ging auf diese Bedingung ein und sank allmählich in Schlummer. Die Mutter erhob sich, schob ihm das Kissen unter den Kopf, breitete eine Decke über ihn aus, küßte ihn zärtlich und ging hinweg.

      Achtes Kapitel

      Als Judah die Augen öffnete, stand die Sonne bereits hoch über den Bergen. Die Tauben flogen scharenweise hin und her und erfüllten die Luft mit dem schimmernden Glanze ihres weißen Gefieders. Gegen Südosten ragte der Tempel auf, dessen vergoldete Zinnen sich reizend vom tiefen Blau des Himmels abhoben. Doch das waren ihm bekannte Dinge, und nur flüchtig streifte sie sein Blick. Neben ihm saß auf dem Diwan ein kaum fünfzehnjähriges Mädchen, das mit leiser Stimme sang und dazu auf einer Harfe spielte, die auf seinen Knien lag.

      Als sie bemerkte, daß er erwacht sei, schwieg sie und legte das Instrument beiseite; sie ließ die Hände in den Schoß fallen und blickte ihn erwartungsvoll an.

      Die beiden Geschwister stammten aus einem Geschlecht, das unter der Regierung des Herodes zu großem Reichtum gelangt war. Der Vater Judahs war bei aller Anhänglichkeit an sein Volk und dessen religiöse Gebräuche auch dem Könige aufrichtig ergeben gewesen und hatte sich in der Heimat wie im Auslande als dessen treuer Diener erwiesen. Zu wiederholten Malen mit wichtigen Botschaften nach Rom gesandt, hatte er durch sein Auftreten die Aufmerksamkeit des Kaisers Augustus erregt und dessen rückhaltlose Freundschaft gewonnen. Daher fanden sich in seinem Hause manche jener Geschenke, wie Fürsten sie zu spenden pflegen, um der eigenen Eitelkeit zu schmeicheln, als Purpurtogen, elfenbeinerne Sessel, goldene Trinkschalen und ähnliche Gegenstände, die hauptsächlich dadurch hohen Wert erhielten, daß sie von kaiserlicher Hand stammten. Ein solcher Mann mußte reich sein; allein sein Reichtum gründete sich nicht einzig auf die Gunst und Freigebigkeit von Fürsten. Viele der Hirten, die auf den Ebenen und Hügeln bis zum fernen Libanon hin die Herden hüteten, nannten ihn ihren Herrn. In den Seestädten wie im Binnenlande gründete er Handelshäuser. Seine Schiffe brachten ihm Silber aus den Bergwerken Spaniens, den reichsten, die man damals kannte, während seine Karawanen zweimal im Jahre reichbeladen mit Seidenstoffen und Gewürzen aus dem fernen Osten heimkehrten.

      Dieser Mann nun ging in der Blüte seiner Jahre, etwa zehn Jahre vor dieser zweiten Periode unserer Erzählung, durch einen Schiffbruch zugrunde, betrauert von ganz Judäa. Er hinterließ neben seiner Gattin zwei Kinder, seinen Sohn Judah und seine Tochter Tirzah.

      Wer die beiden Geschwister betrachtete, dem konnte ihre Ähnlichkeit nicht entgehen. Sie hatte dieselben regelmäßigen Züge und zeigte denselben jüdischen Typus wie er. Nur lag auf ihrem Gesichte noch der Reiz kindlicher Unschuld. Die zurückgezogene Häuslichkeit, in der sie lebte, sowie das innige Band, das beide umschlang, erlaubten es ihr, in einem sehr ungezwungenen Morgenkleide zu erscheinen. Ein auf der rechten Schulter befestigter Überwurf, der lose über Brust und Rücken herabfiel und unter dem linken Arme sich schloß, verhüllte ihren Oberkörper nur zum Teile und ließ die Arme ganz sichtbar. Ein Gürtel hielt das Gewand, das kaum bis zu den Knien reichte, um die Lenden fest. Ihr Kopfschmuck war sehr einfach und dabei gefällig; er bestand in einem purpurfarbenen seidenen Häubchen und einem gestreiften, reichgestickten Tuche von demselben Stoffe, welches darüber in dünnen Falten um den Kopf gewunden war, so daß dessen Umrisse deutlich hervortraten. In den Ohren und an den Fingern trug sie goldene Ringe, an den Armen und Knöcheln ebensolche Spangen. Das Haar fiel ihr in zwei langen Flechten über den Rücken. Auf jeder Wange hing gerade vor dem Ohr eine gekräuselte Locke. Man konnte ihr Anmut, Zierlichkeit und Schönheit keineswegs abstreiten.

      »Sehr schön, meine Tirzah, sehr schön!« rief Judah wie begeistert.

      »Das Lied?« fragte sie.

      »Ja, und die Sängerin auch. Es hat griechische Anklänge. Woher hast du es?«

      »Erinnerst du dich des Griechen, der vorigen Monat im Theater sang? Es heißt, er sei früher am Hofe des Herodes gewesen und habe wiederholt vor ihm und dessen Schwester Salome gesungen. Er trat gerade nach einem Ringkampfe auf, während das Haus noch vom Lärme widerhallte; allein beim ersten Tone, den er sang, wurde es so stille, daß ich jedes Wort vernehmen konnte. Von ihm habe ich das Lied.«

      »Er sang doch in griechischer Sprache!«

      »Und ich in hebräischer.«

      »Ja; ich bin deshalb auch stolz auf meine kleine Schwester.«

      In diesem Augenblick trat Amrah herein und brachte eine Platte mit Waschschüssel, Wasser und Handtüchern. Da Judah kein Pharisäer war, nahm die Waschung keine Zeit in Anspruch. Die Dienerin entfernte sich jetzt, während Tirzah sich daran machte, das Haar des Bruders zu ordnen. War ihr eine Locke zur Zufriedenheit geraten, dann nahm sie den kleinen Metallspiegel, den sie nach Art der jüdischen Frauen im Gürtel trug, und reichte ihn dem Bruder, damit er mit eigenen Augen ihre Kunstfertigkeit sehe. Unterdessen setzten sie ihr Gespräch fort.

      »Was sagst du dazu, Tirzah? Ich gehe fort.«

      Erschreckt ließ sie die Hände sinken.

      »Fort! Wann? Wohin? Warum?«

      Er lachte.

      »Drei Fragen in einem Atem! Wie neugierig du doch bist!«

      Im nächsten Augenblick war er wieder ernst. »Du weißt, daß das Gesetz es mir zur Pflicht macht, einen Beruf zu ergreifen. Unser guter Vater gab mir das beste Beispiel. Selbst du würdest mich verachten, wenn ich die Früchte seines Fleißes und Wissens im Müßiggang verzehren würde. Ich gehe nach Rom.«

      »O, ich gehe mit!«

      »Du mußt bei der Mutter bleiben. Wenn wir beide sie verlassen, wird sie sterben.«

      Trauer malte sich auf ihrem Gesichte.

      »Ach ja! Aber mußt du denn fort? Hier in Jerusalem kannst du alles lernen, was ein Kaufmann zu wissen nötig hat, wenn es das ist, woran du denkst.«

      »Daran denke ich nicht. Das Gesetz gebietet nicht, daß der Sohn den Beruf des Vaters wähle.« »Was willst du denn sonst werden?«

      »Soldat!« antwortete er mit einem gewissen Stolze.

      Tränen traten ihr in die Augen. »Du wirst getötet werden.«

      »Wenn es Gottes Wille ist, so sei es denn! Aber, Tirzah, nicht alle Soldaten werden getötet.«

      Sie schlang ihre Arme um seinen Nacken, als ob sie ihn zurückhalten wollte.

      »Wir sind so glücklich! Bleib zu Hause, Bruder!«

      »Das Vaterhaus kann für uns nicht immer das sein, was es bisher war. Auch du wirst in nicht ferner Zeit


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