Im Schatten der Dämmerung. Marc Lindner

Im Schatten der Dämmerung - Marc Lindner


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sah den endgültigen Frieden zum Greifen nah. Unser Volk hätte im Vergleich zu dem, was es erleiden musste, nur noch wenig Schmerz ertragen müssen. Dein Vater aber fand viele, die seiner Meinung waren, und so musste ich abdanken. Üblich wäre gewesen, dass er mich getötet hätte, doch dein Vater hat ein großes Herz. Damit mir aber niemand glauben würde, was ich zu erzählen hatte, machte er mich am Tag seiner Krönung zum Hofnarr.“

      „Großvater?“

      „Mein Kind?“

      „Aber das ist schon lange her. Vielleicht sind sie nicht mehr böse. Vielleicht bleibt der Frieden uns erhalten.“

      „Das wäre schön, mein Junge.“ Ein aufmunterndes Lächeln erfasste das Gesicht des Alten. „Nichts würde ich lieber glauben als das!“

      Ein Stöhnen der Erschöpfung.

      „Aber die Schmieden des Bösen rüsten von Neuem. Mit jedem Frühling werden sie mächtiger. Und es gibt einen viel mächtigeren Feind. Vergiss den nicht, auch wenn andere ihn vergessen haben.“ Er kniff die Augen zusammen und sah zur Wand. „Legenden sind nichts weiter als verblasste Erinner­ungen. Sie wirst du nicht mit Schwertern töten können.“

      „Mein Vater ist stark.“ Es klang etwas trotzig, so wie der Junge es aussprach. „Wenn sie angreifen, wird er sie besiegen!“

      Ein gütiges Lächeln sollte das aufbrausende Gemüt beruhigen.

      „Noch sind wir alle sicher. Was den Pakt angeht, so werden sie ihn nicht brechen.“

      Stille.

      „Wenn der König aber stirbt und du die Krone erbst, werden sie sich nicht länger an den Pakt gebunden fühlen. Dann werden die Grauen von Neuem beginnen. Dann wird es nicht die Aufgabe deines Vaters sein und meine längst nicht mehr. Es ist dein Schicksal, der Weg, der seit deiner Geburt für dich bestimmt ist.“

      „Aber mein Vater...?“ Der Junge wollte den Alten unterbrechen.

      „... will nicht, dass du das weißt! Deshalb darfst du ihm dies nie erzählen. Er glaubt an den Pakt, er muss es, ansonsten würde er wahnsinnig vor Sorge, was er dir aufbürdet – und selbst darf er nichts tun, da sonst er es wäre, der den Pakt bricht. Tief in seinem Innern weiß er das. Dass er es aber weder aussprechen noch hören muss, ist die einzige Möglichkeit für dich, es ihm erträglich zu machen.“ Der Narr legte seine Hand auf die Decke des Kindes. „Junge, versprich mir eines, kein Wort zu niemandem! Es würde das Herz deines Vaters brechen.“

      „Versprochen.“ Eiseskälte ergriff den Jungen.

      „Nun schlaf, Triton, mein Junge.“

      Der alte Mann stand auf und ließ den Jungen mit seinen verwirrten Gedanken allein.

      Eine ganze Weile noch starrte der Junge in den Baldachin.

      „Ich werde nicht zulassen, dass mein Volk nochmals leiden muss“, hauchte der Prinz, kurz bevor der Schlaf ihn überwältigte.

      Die große Halle

      In der großen Halle öffnete sich ein schwerer Flügel der mächtigen Tür. Herein trat ein einzelner Mann, gehüllt in seinen langen dunkelblauen Mantel. Sein Gesicht trotz des warmen Lichtes der zahlreichen offenen Kamine ganz bleich, schien er zu blinzeln, da er noch an das gedämpfte Licht der Tunnel gewöhnt war. Aber ansonsten war sein Gesicht völlig ausdruckslos. Nicht die kleinste Sorgenfalte belastete seine Stirn. Er wirkte beinahe entspannt, missachtete man die Gleichgültigkeit in seinem Blick. Die Kälte, die sich mit seiner Ankunft in dem großen Thronsaal ausbreitete, konnte die Unzahl an Feuern rechtfertigen.

      Der König jedoch bemerkte dies nicht, denn seine Miene hellte sich auf, als die stöhnende Tür den Blick auf seinen treuesten Diener freigab.

      Noch an der Tür stehend, deutete der Eintretende eine leichte und doch huldvolle Verbeugung an, bevor er, ohne ein Zeichen abzuwarten, auf den Thronsässigen zuging. Obwohl dieser offensichtlich auf ihn wartete, ließ sich der Heranschreitende nicht zur Eile bewegen, noch zögerte dieser. Jeder seiner Schritte wirkte gemessen und unbeirrbar.

      „Thanatos, treuester aller Diener, mächtigster aller Freunde, welch Unheil bringt dich so früh in meine einsamen Hallen“, begrüßte Triton den Ankömmling und ließ es sich nicht nehmen, aufzustehen und die letzten Schritte selbst zu bewältigen.

      „Herr, meine Hoheit, die Finsternis wird bald über uns ziehen und unsere Feinde verschlingen“, verkündete der Diener mit seiner gefühllosen Stimme und küsste den Ring auf der Hand seines Königs, die dieser ihm darreichte. „Die Jahre der Vorbe­rei­tung haben sich gelohnt. Alles ist fügt sich zusammen.“

      Triton nickte und wirkte auf einmal niedergeschlagen.

      „Ach, dass diese dunklen Tage die meinen sein müssen.“ Der König wandte sich mit gesenktem Haupt zur Seite. Langsam schritt er auf eines der nahen Feuer zu und begann mit dem Schürhacken darin herum zu stochern. „Von Woche zu Woche werden die Berichte aus den Außenbezirken schlimmer.“ Funken stoben aus dem Kamin, als ein Scheit zur Seite kippte.

      Der Diener sah dem Monarchen mit leicht gekräuselten Lippen zu. „Herr, ich verstehe nicht, es war euer Plan“, drang er mit seinen schmucklosen Worten durch die Gedanken seines Herrn bis zu dessen Bewusstsein durch.

      „Und an diesem halte ich fest! Es gibt nur diesen einen Weg, um die Fehde zu Ende zu bringen. Aber es wird viele Opfer geben.“

      „Ihr seid der König, mein Herr, ihr werdet die Menschen zu glorreichen Zeiten führen. Wenn sie bis alle unter einem Banner vereint sind.“

      „Du hast recht.“ Der König seufzte leise. „Du bist so mächtig alter Freund. Manchmal hoffte ich, ein anderer wäre an meiner statt König.“ Er senkte den Blick vor seine Füße. „Du wärest der Richtige.“

      „Danke Herr“, verneigte sich der Diener mit einem leicht belustigten Anzeichen eines Lächelns. „Ich zweifle auch nicht an meiner Macht, Herr, aber um König zu sein, bedarf es anderer Größe, mein König. Ich würde die Bürde nicht annähernd so gut tragen wie ihr. Es ist nicht die Krone, die den König schmückt. Es ist der König, der ihr Glanz verleiht. Ich fürchte mein bleiches Antlitz würde mehr Angst als Ehrfurcht verbreiten. Ihr seid der wahre König, mein Herr.“

      „Und wieder hast du recht. Verzeih mir! Diese politischen Debatten ermüden mich und machen mich weich.“ Im Gegensatz zu seinem Diener war die Stimme des Königs wohlklingend und sein Ton so rund und voll, dass man ihm ergeben zuhören musste. Selbst, als die Worte seine Sorgen mit sich trugen. Die Sorgen, die er vor keinem anderen jemals würde aussprechen. Er hatte ein Königreich voller Diener aber einzig Thanatos vertraute er blind. Dabei war er nicht einmal einer seiner Untertanen, sondern Mitglied des Blauen Turms und somit zur Neutralität verpflichtet.

      „Der neutrale Ring kann den Druck nicht mehr halten. Ich erhalte Berichte, dass die Stadtherren nicht mehr Soldaten aufnehmen können und doch schlüpfen immer mehr Flüchtlinge durch unsere Netze. Ich fürchte das Bündnis der Türme kann auch nicht mehr tun.“

      „Der Bogen ist gespannt, mein Gebieter. Ihr habt recht, im nächsten Winter würde die Situation nicht mehr zu kontrollieren sein. Alles ist auf Messerschneide, aber zur rechten Zeit. Wir können die nächste Phase einleiten.“

      „Dann stehen die Zwerge bald mit uns im Krieg?“, wollte der König wissen und klang so entschlossen, wie es sich für einen König gehörte.

      „Schon bald Herr. Unser Informant hat gute Dienste geleistet. Es ist uns gelungen den Hauptmann der königlichen Wache gefangen zu nehmen. Er wird in diesem Moment nach Sanyna gebracht. Ich selbst breche gleich dorthin auf. Sobald er zurück­kehrt, wird der Krieg unausweichlich sein.“, verkündete Thanatos. „König Momos kommt mit seinen Kriegs­vorbe­rei­tung­en gut voran, und freut sich, dass ihr ihm eure Truppen als Unterstützung entsenden werdet, wenn es so weit ist.“

      Triton musste leise lachen. Es klang eher bedrückt als belustigt. König Momos war in vieles


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