Im Schatten der Dämmerung. Marc Lindner
solchen Bett zugebracht, wenn die Eile es ihm verbot seine Zeit damit zuzubringen, ein Lager aufzuschlagen.
Wenn er so darüber nachdachte, so war er doch kein Feigling. Er stellte sich seinem Schicksal, wie man es von einem Zwerg erwarten durfte. Der Tod sah ihm in die Augen und er musste nicht einmal blinzeln.
Ein leichtes Schmunzeln glitt ihm über seine rauen Lippen, so schwach, dass die Leuchten es mit ihren schwachen Licht verborgen hielten.
Aus der Ferne hörte er Schritte und seine Miene wurde so hart, wie die Platte unter ihm. Der Stein der Treppen und die felsigen Wände verrieten den Ankömmling lange bevor dieser in der Nähe der kleinen Kammer angelangt war. Der Fremde kam allein, soviel konnte Almar deutlich heraushören. Zulange hatte er unter der Erde gelebt, um sich von den widerhallenden Geräuschen täuschen zu lassen. Auch schien es ihm, als wirkten die Schritte desjenigen, der nun kommen sollte, etwas unbeholfen. Seine Füße schlürften in unregelmäßiger Folge über den steinernen Boden.
Die Treppe lag hinter ihm, sodass Almar sie nicht erblicken konnte. Allein sein Gehör leistete ihm die Dienste, die er benötigte. Mutter Natur verriet ihm alles, was er nicht sehen konnte. Er verstand die Stimme der Steine so deutlich, als würde er sich in mit jemandem unterhalten. Jeder seines Volkes vermochte dies. Es lag daran, wie sehr sie mit der Erde verbunden waren. Sie respektierten sie und lernten von ihr. Als Lohn verriet sie ihnen all ihre Geheimnisse. Seine Muskeln begannen sich leicht zu verkrampfen, so als wüsste sein Körper von den Schmerzen, die ihm zugefügt würden.
Almar merkte, wie ein schwacher Lichtschein die Schatten auf der vor ihm liegenden Wand verjagen wollte. Der Fremde war da. Er konnte dessen Schritte vernehmen, ohne dass die Wände der Treppe sie noch zu ihm hintragen mussten. Aber dann blieb der Ankömmling stehen. Die Schritte verhallten. Einzig das Licht bewegte sich in dem leichten Luftzug, der es bis in diese Tiefe schaffte.
Schließlich ging der Fremde weiter. Seine Gangart war nun zögerlicher. Das leicht Unbeholfene in seinen Bewegungen war verschwunden. Stattdessen klang es als würde er sich jeden Schritt genau überlegen.
Almar blieb reglos liegen. Seine wachsende Ungeduld wollte er dem Fremden nicht zeigen. Das verbot ihm sein Stolz, und den wollte er sich nicht nehmen lassen, nun, da es um sein Leben bald geschehen sein würde. Der Fremde näherte sich ihm nicht und so konnte er diesen nicht erblicken. Merkwürdiger noch als der Klang der zögernden und doch plump lauten Schritte, war, dass ein Gefühl von Angst den Raum ergriff. Der Zwerg, auch wenn dem Tod nahe, wusste, dass es nicht von ihm stammte.
Zögernd nahm der Ankömmling hinten in einer Ecke Platz. Ein leises Rascheln war zu hören, so als würde ein großes Tuch von etwas heruntergezogen. Wohl die Folterinstrumente, die sorgsam vor dem Staub geschützt waren, dachte der Zwerg. Innig hoffte er, dass der ängstliche Mann sein Handwerk nicht verstand und er so einen schnellen Tod finden konnte. Das war alles, was er noch hoffte. Für viel mehr Hoffnung war in dieser Grotte ohnehin kein Platz und auch seine Riemen, die er straff um seinen Leib trug, wollten ihm nicht viel von diesem flüchtigen Gefühl gestatten.
Nur zu deutlich konnte er hören, wie die Werkzeuge des Mannes über den Tisch gescharrt wurden. Almar verfolgte gebannt die Geräusche. Er wagte es nicht, sich zu rühren und so konnte er nicht sehen, was der Fremde machte, aber er wirkte ordentlicher, als Almar gehofft hatte. Der Mensch bereitete alles vor, und Almar presste vorsichtshalber die Zähne zusammen. Er durfte dem Schmerz nicht erliegen. Er wusste zu viel, was die Menschen niemals in Erfahrung bringen durften. Sein tiefer Groll gegen die Menschen schenkte ihm die nötige Kraft, denn er wusste nur zu gut, was diese Hochgewachsenen seinem Volk angetan hatten. Zumal in letzter Zeit hatten die Grauen zugenommen. Schon seit Jahren wagte sich in manchen Gegenden kein Zwerg mehr an die Oberfläche, wenn es nicht sein musste.
Doch er gehörte zu den Soldaten seines Volkes und als Spion hatte er viel Nützliches zu seiner Königin unter Tage gebracht. Lange würden sich die Zwerge nicht mehr von den Überlangen auf den Kopf treten lassen.
Doch das würde er nicht mehr erleben können. Bald würde er seine Erlösung finden – so wagte er noch zu hoffen. Doch die ungeahnte Sorgfalt des Menschen an diesem untröstlichen Ort, bereitete ihm große Bedenken bezüglich seines baldigen Ablebens. Wenn der Mann ihm doch wenigsten Fragen stellen würde, dann könnte er versuchen, ihn hinters Licht zu führen. Ihm unnützes Wissen an den Kopf werfen, um so den Qualen nur kurz ausgesetzt zu sein. Doch der Mensch schien nicht zu beabsichtigen mit ihm zu reden. Nur um seine Werkzeuge kümmerte er sich und ließ diese unentschlossen hin- und hergleiten.
Dann aber wurde es still. Das war fast noch grausamer. Zu viele Gedanken breiteten sich im Kopf des Zwerges aus. Hatte der Mann so viele Foltermittel, dass er sich nicht für eines entschließen konnte? Grausame Vorstellung, und der Zwerg erwischte sich dabei, wie er kräftig schluckte.
Plötzlich ertönte ein Schlag. Ein Splitter flog durch den Raum. Wieder hielt der Mensch inne, als habe der schallende Lärm ihm selbst Angst bereitet. Almar hielt es nicht mehr aus. Was sollte das? Da nur er und der Mann in diesem Raum waren, wagte er es, seinen Kopf leicht anzuheben.
Der Mensch war eine recht dürre Gestalt, fast doppelt so groß wie er selbst. Einem kräftigen Schlag von ihm würde dieser nicht standhalten können, soviel stand fest. Zu dumm, dass er gefesselt war. Der Mann blickte nicht zu ihm hin, sondern betrachtete besorgt ein steinernes Objekt vor sich. Almar musste mit aller Kraft gegen die Fesseln ankämpfen, um sich überhaupt ausreichend erheben zu können, und so war er sich nicht sicher, was er dort sah. War es eine Statur? Zumindest wirkte es so und der Mann strich mit einer Hand über sie hinweg, als würde er einem Kind liebevoll über den Kopf streicheln.
Von Neuem erhob der Mann seinen Meißel und versuchte im schwachen Schein der Leuchten der Büste ein Lächeln aufzuzwingen. Doch es wollte ihm nicht gelingen. Almars Körper gewöhnte sich an die Anstrengung und so konnte er das Gesicht der Statur ausmachen. Sie war recht gelungen, musste er gestehen und er merkte, dass ihm der Anblick für einen Augenblick sein eigenes trauriges Schicksal vergessen ließ. Es war ein Mädchen, noch jung an Jahren, doch tiefe Trauer lag in ihren Zügen. Obwohl aus Stein, schienen die Augen zu weinen.
Etwas Schweres lag in dem Ausdruck der Büste, etwas das nicht von dem Stein herrührte. Almar versuchte den Mann erneut einzuschätzen. Obwohl er dessen Gesicht nicht erkennen konnte, sah er, dass diesem die gleiche, tiefsitzende Schwere anhaftete. Als habe nicht einzig dessen Alter an dem gekrümmten Rücken gezogen. Almar empfand beinahe Mitleid für diesen Mann. Sollte er es wagen, ihn anzusprechen?
Sei kein Narr, ärgerte er sich im selben Augenblick über seinen irrsinnigen Gedanken. Er musste hart bleiben, nicht für sich, sondern für sein Volk. Eide hatte er geschworen – er, der sich in so vielen Gefechten bewiesen hatte – doch niemals hätte er gedacht, dass er sein Leben so sinnlos hergeben müsste.
Almar ließ sich erschöpft auf die Platte sinken, die Riemen waren doch stärker, als er es war.
Als würde er dem Zwerg sein Ende verkünden, schlug der Mann mit seinem Hammer auf den fein geführten Meißel ein. Nach jedem Schlag hielt der Mann inne, darüber verängstigt, wie viel Lärm er verursachte. Nur sein angespanntes Atmen war dann zu hören.
Armer Mann, dachte der Zwerg. Hier lag er, mit breiten Riemen gefesselt, maß selbst kaum mehr als die Hälfte des Mannes und doch fürchtete sich dieser Mensch vor ihm. Deshalb auch wandte sich Almar von dem Mann ab, leicht mitleidig und nicht minder angewidert. Nur der Stimme des Steines horchte er, ohne aber eine Regung von sich zu geben.
Wieder vergingen Ewigkeiten während einzig die Ausrufe des berstenden Steines die Stille durchbrachen. Wie eine träge Uhr kündete jeder Knall, Schlag um Schlag, von den letzten Stunden des Zwerges. Obschon der Mann hier weilte, bildete sich Almar nicht ein, dass sich auch nur das Geringste an seinem Schicksal ändern würde. Er war dazu verdammt hier unten seine letzte Reise anzutreten, und seine Geheimnisse würde er mitnehmen. Dieser unzerbrechliche letzte Wille versteinerte von Neuem seine Miene. Er war ein Soldat, einer aus der Garde der Königin und allein seine Anwesenheit ließ einen Menschen verängstigt in eine Ecke kriechen. Ha, sollte der Tod nur kommen, er würde ihm mit Würde folgen.
Allmählich begann der Mensch sich von seinem