Im Schatten der Dämmerung. Marc Lindner

Im Schatten der Dämmerung - Marc Lindner


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und versuchte sich an einen solchen Namen zu erinnern. Doch er fand keine Erinnerung an einen Mann, der infrage kommen konnte. Doch das sorgte ihn nicht, ohnehin waren die Namen, die es bis zu ihm schafften, von einem schlechten Ruf begleitet. Wahrscheinlich war ihr Vater einer der vielen Bauern, die aus Not zum Dienst an den Waffen bereit waren. Und die Geschichten eines großen Kriegers wurden gerne erzählt, um den Kindern das Gefühl von Sicherheit zu schenken.

      In Tränen sprach Asylma von ihrem Vater und ihrer Mutter. Über den einen Tag aber verlor es kein Wort. Sie redete und verdrängte, was sie nicht verkraften konnte. Legarus war ein guter Zuhörer. Er ließ Asylma ohne viele Unterbrechungen reden. Tränen rannen ihre Wangen hinunter, aber Asylma verdrängte das und wischte sie weg. Jedes Wort, das ihrem Mund und gleichsam ihrer Seele entwich, schenkte ihr neue Kraft und ihre Muskeln entspannten sich. Asylma versuchte mit ihren Lippen ein Lächeln zu formen, doch die Augen blieben dabei leblos. Legarus bereute es nicht, sich ihrer angenommen zu haben. Doch Gedanken setzten sich bei ihm in Gang, die er nicht mehr zum Verstummen bringen konnte. Es durfte nicht so weitergehen. So oder so, er musste einen neuen Weg einschlagen.

      Asylma fürchtete sich vor dem Einschlafen und so versuchte sie sich der Müdigkeit zu widersetzen. Mehrmals versuchte Legarus, dass sie schlafen sollte, doch jedes Mal stellte sie eine andere Frage oder erzählte etwas, das ihr Vater ihr erklärt hatte. Legarus verstand sie nur zu gut und kochte ihr einen Tee, der ihr half einzuschlafen. Legarus beschloss eine Stadt aufzusuchen, um Asylma ein Pferd zu besorgen und den Proviant aufzustocken. So wurde Lasyla, eine kleine Provinzstadt am Rande des Einfluss­gebietes Masborns, zu ihrem neuen Ziel. Asylma hatte sich ihrem neuen Schicksal ergeben. Was blieb ihr anderes übrig? Der schweigsame Fremde war der einzige, den sie hatte. Die Sterne schimmerten schon lange durch die schützenden Äste der Eiche, unter der sie lagen, bevor der Schlaf sie überwältigte.

      Asylma war froh, als die Nacht vorbei war und sie aufbrachen. Sie erhaschten neugierige Blicke, wenn sie an vereinzelten Höfen vorbeikamen. Auch wenn Legarus abseits der Wege ritt, so konnte er es nicht überall vermeiden gesehen zu werden. Die Bauern versteckten sich und schielten hinter zerschlissenen Gardinen hervor. Noch hielten sich die meisten in ihren Hütten auf. Viele waren nach dem Winter eben erst von ihren Söldnerdiensten zurückgekehrt und kümmerten sich nun um ihre Werkzeuge, damit sie ihren letzten Sold, den sie oft genug in Form von Saatgut erhielten, bald in die Erde bringen konnten. Einzelne Reiter bedeuteten auf dem Land selten etwas Gutes. Insbesondere wenn es sich nicht um einen Ackergaul handelte. Besonders diese Zeit kurz vor der Aussaat war überlebenswichtig.

      Gegen Mittag sahen sie unter der hellstrahlenden Frühlings­sonne eine kleine verfallende Stadt, die aus einem ungeordneten Haufen von dicht stehenden Häusern bestand. Am Stadttor angelangt, wurden sie von schlecht gelaunten Wachsoldaten begrüßt, die bis gerade eben friedlich unter einem Schatten spendenden Strauch ihren Rausch ausgeschlafen hatten.

      „Wer seid ihr? Was wollt ihr?“, raunte sie ein mürrischer Soldat an, ohne sich die Mühe zu machen seine Missachtung zu verheimlichen. Legarus suchte ein möglichst unbedeutendes Erscheinungsbild abzugehen.

      „Wir sind Pferdezüchter aus Horjza und wollen hier Lebens­mittel erwerben und ...“

      Einer der Soldaten wank ab.

      „Ja ja, ist schon gut!“ Darauf gaben sie den Weg durch das Tor frei. Als sie passierten, begutachteten die Soldaten sie mit bösen Blicken. Sie waren schon ein Stück weit gegangen und merkten so nicht, wie sich einer aus dem Wachtrupp auf den Weg zur Stadtmitte begab.

      In der Stadt bot sich ihnen ein trostloses Bild. Auch hier versteckten sich die Einwohner in ihren Häusern. Für eine Stadt waren die Gassen wie ausgestorben. Oft waren es angetrunkene Soldaten, denen sie begegneten. Andere gingen zügigen Schrittes voran und schenkten ihnen keine Beachtung. Auf Fragen antworteten sie, wenn überhaupt, mit einem Kopfschütteln, ohne dabei ihren Gang zu verlangsamen. Allerorts waren die Häuser am verfallen und waren nur notdürftig mit Brettern und Lehm ausgebessert. Der Zahn der Zeit hatte an allen Ecken seine Spuren hinterlassen. Sie hatten den Stadtkern schon hinter sich gelassen, als sie ein eintöniges Hämmern vernahmen. Sie näherten sich dem Lärm und sahen, dass es sich um einen Schmied handelte, der lustlos auf ein verbeultes Stück Eisen schlug, ohne diesem eine erkennbare Form zu verleihen.

      „Seid gegrüßt werter Herr“, meldete sich Legarus zu Wort. Als der Handwerker keine Anstalten machte aufzuhören, fuhr er fort. „Wir suchen einen Händler. Wir bräuchten ein Pferd und ein wenig Proviant. Könntet ihr uns weiterhelfen?“

      Der letzte lustlos geführte Hammerschlag verhalte und Stille trat ein. Langsam hob der Fremde den Kopf und zeigte sein von Trauer verzehrtes Gesicht. Mit scharfen, aber unterlaufenen Augen musterte er die beiden und sein Blick ruhte etwas länger auf dem Pferd, bevor er langsam den Mund öffnete.

      „Dann müsst ihr es stehlen.“ Ein wehleidiges Grinsen verzerrte sein Gesicht. „Seit Masborn die Stadt seinen Soldaten überlässt, könnt ihr vieles nicht mehr kaufen. Alles gehört den Soldaten und die teilen nicht gerne.“ Wieder begann er wie wild auf sein Stück Eisen einzuhämmern. „Das geht jetzt schon so lange so, dass keine Familie mehr hier wohnt, die nicht mindestens einen Soldaten in der Familie hat. Wenn ich euch einen Rat geben darf, dann macht ihr auf der Stelle kehrt. Ich weiß von was ich rede.“ Eine lange peinliche Pause setzte ein und seine Muskeln spannten sich, als Wut in seinen Augen aufloderte. Legarus, den ein ungutes Gefühl übermannte, wurde es unwohl in seiner Haut und mühte sich vergebens nach passenden Worten zu suchen.

       Doch wieder war es der muskulöse Handwerker mit seinen zorngeladenen Gesichtszügen, der die Stille durchbrach. „Mein Sohn“, begann er, doch die Worte wollten nicht so recht kommen „er hatte sich geweigert, die Soldaten zu bezahlen und ihnen beitreten wollte er auch nicht ...“ Seine ohnehin finstere Miene wurde noch düsterer, während sich seine Faust um den Hammer ballte, sodass alles Blut aus seinen Fingern wich. Abermals erbebte seine Stimme. „... und sie haben ihn auf offener Straße hingerichtet.“ Er biss sich auf die Lippen. „Auf ihn eingeschlagen, bis er blutbeschmiert im Dreck lag.“ Zum Schluss schilderte er nur noch brüchig und jedes Wort verlangte ihm unglaubliche Willenskraft ab. Als er geendet hatte, stand er schwer atmend vor seinem Amboss und starrte leblos auf die festgestampfte, Öl getränkte Erde, ohne die beiden Fremden zu beachten.

      Nach einem weiteren gedankenschweren Moment des Schweigens, wollten sich die beiden zum Weitergehen umdrehen. Doch da suchte der Schmied den direkten Augenkontakt mit Legarus. Dieser hielt dem prüfenden Blick stand und fühlte sich dadurch ermutigt nachzuhaken.

      „Tut mir leid, dass diese dunkle Zeit auch euch nicht verschont hat.“ Legarus zögerte. „Könntet ihr uns nicht doch weiterhelfen?“ Obwohl der Schmied den Blick nicht von Legarus wandte, zeigte er keine Regung. Legarus näherte sich ihm und fuhr mit gesenkter Stimme fort, sodass nur dieser es vernehmen konnte. „Ich bin Amulius Agamemnon. Wir sind auf dem Weg zu der Stadt der Vergessenen. Unsere Treue gilt den Verfolgten, jenen, die uns vor langer Zeit verlassen haben.“

      Die Miene des Schmieds versteinerte nach einem flüchtigen Zucken. Seine Augen verengten sich und er maß Legarus von oben bis unten ab. Langsam richtete er sich auf und sein Blick wanderte erneut zu dem stattlichen Pferd herüber. „Ist das wahr?“, hauchte er und seine Gedanken suchten nach einem Beweis.

      „Es ist wahr. Der Blutzoll ist zu hoch. Es muss sich etwas ändern und ich suche Rat“, sprach Legarus leise.

      Der Schmied zögerte und Legarus spürte, wie er zwischen Glauben und Zweifel hin- und hergerissen war. Legarus griff unter seinen Überhang und zog ein kleines Messer hervor. Reflexartig wich der Schmied zwei Schritte zurück, doch Legarus richtete es nicht auf ihn. Stattdessen flüsterte er etwas Unverständliches. Ein blaues Leuchten erschien und der Schmied traute seinen Augen nicht. Er sah staunend zu wie Legarus sein Messer durch das Stück Eisen zog. Ungläubig nahm der Schmied die zwei Hälfen in seine Hände und fuhr prüfend mit einem Finger an der frischen Kante vorbei. Sie war kühl und glatt als wäre sie frisch poliert.

      „Dann sind die Legenden wahr.“ In Gedanken setzte er zu­sammen was er noch alles wusste. Er sah Legarus an und wusste um dessen Macht. „Ich möchte dir Glauben schenken“, hauchte der Schmied und richtete sich nun erst


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