ZAHLTAG IN DER MORTUARY BAR. Eberhard Weidner

ZAHLTAG IN DER MORTUARY BAR - Eberhard Weidner


Скачать книгу
ist Silke, ihr verdammten Arschlöcher?«, fragte Günther mit merkwürdig rauer Stimme, die sich nicht im Entferntesten wie seine eigene anhörte. »Wo ist meine Frau?«

      »Wir kommen gerade von ihrer Beisetzung«, sagte Walt in seinem gewohnt leutseligen Ton, als würden sie sich über das Wetter unterhalten. »Es war wirklich eine schöne Beerdigung. Schade, dass du nicht dabei sein konntest, Günther. Die ganze Stadt hat Abschied genommen. Sogar Linda war da. Die meisten haben Tränen vergossen. Was für ein Verlust für die Leinwand, denn sie war wirklich eine begnadete Darstellerin.«

      Günther konnte nicht glauben, was er hörte. Diese ganze Situation war einfach zu absurd. Diese Verrückten schlachteten seine Frau bestialisch ab und organisierten im Anschluss eine schöne und tränenreiche Beisetzung. Er konnte nur mit dem Kopf schütteln. »Wieso nur? Warum tut ihr das?«

      »Was soll ich sagen, Günther? Weil das eben die Art ist, wie wir hier in Movietown unsere Filme machen. Sieh dir doch nur den ganzen Mist aus Hollywood an, alles nur Lug und Trug. All die fliegenden Untertassen und realistisch wirkenden Ungeheuer werden nur noch im Computer erzeugt. Menschen werden in dem einen Film von Kugeln durchsiebt, sind aber schon im nächsten Film wieder putzmunter. Bei unseren Filmen ist das anders. Wir betrügen den Zuschauer nicht, sondern sind ehrlich. Und darauf sind wir auch verdammt stolz. Was in unseren Filmen passiert, ist echt. Reality Cinema

      Walt warf einen Blick auf seine Uhr und gab den beiden Landis-Brüdern dann einen Wink. Die Männer setzten sich umgehend in Bewegung, umrundeten den Schreibtisch und nahmen auf beiden Seiten von Günther Aufstellung.

      »Und was haben Sie jetzt mit mir vor, Walt?«

      »Ich muss einen Film zu Ende drehen«, sagte Walt und lächelte so breit, dass all seine Zähne zu sehen waren. »Der Drehplan lässt uns leider keine Zeit, unsere nette Plauderei fortzusetzen. Ich habe die nächste Szene schon ganz genau im Kopf«, sagte er und tippte sich dabei mit dem Zeigefinger an die Stirn. »Und du wirst darin die Hauptrolle spielen. Ich bin sicher, du wirst deine Sache ebenso großartig machen wie Silke. Ich habe nämlich einen Riecher für erstklassige Darsteller.«

      Günther zerrte an den Fesseln, doch sie gaben keinen Millimeter nach. Die Landis-Brüder wussten, wie man einen Knoten band, schließlich hatten sie in den letzten Jahren genug Erfahrung sammeln können.

      Nahezu alle Einwohner von Movietown standen zehn Meter entfernt in einem Kreis um ihn herum. Sie waren in mittelalterliche Gewänder geschlüpft – der Ort musste einen riesigen Fundus an Kostümen haben – und sahen ihn erwartungsvoll an. Rechts und links von ihm standen Edward und Karl Landis und hielten brennende Fackeln in ihren Händen.

      Es war früher Nachmittag, und da Günther der gnadenlos herabbrennenden Sonne schutzlos ausgeliefert war, schwitzte er wie in einer Sauna, obwohl er nur ein schlichtes weißes Baumwollgewand am Leib trug. Allerdings waren die Hitze des Tages und ein möglicher Sonnenstich die geringsten seiner Sorgen. Er stand auf einer kleinen hölzernen Plattform und war an einen Holzpfahl gefesselt, den man in den Boden der Wiese gerammt hatte. Rundherum waren Berge trockener Äste und Reisig aufgeschichtet worden.

      Günther richtete seinen Blick nach vorn. Durch eine Lücke in der Zuschauermenge konnte er die Kamera sehen. Direkt daneben saß Walt Hooper in einem Klappstuhl. Das Mädchen mit der Filmklappe trat vor die Kamera.

      Günther schrie und wand sich in seinen Fesseln, auch wenn er wusste, dass es letztendlich sinnlos war. Einer der beiden Landis-Brüder blickte grinsend zu ihm auf, als wäre alles nur ein Spiel, und zeigte ihm den erhobenen Daumen.

      »Satansmesse auf dem Teufelshügel, Szene 37, die Erste!«, rief die junge Frau und huschte aus dem Bild.

      »Ton?«

      »Läuft.«

      Günther zerrte immer verzweifelter an den Stricken. Er spürte, wie sie sich schmerzhaft in seine Handgelenke gruben. Tränen liefen ihm übers Gesicht und vermischten sich mit den Schweißtropfen.

      Die Landis-Brüder machten sich bereit und hoben die Fackeln.

      Die Menschen starrten erwartungsvoll und erregt auf den Scheiterhaufen in ihrer Mitte.

      »Kamera?«

      »Läuft.«

      Entsetzt beobachtete Günther, wie der Regisseur ein Megafon an die Lippen hob.

      »Uuunnnndddd … Action!«

      ERSATZTEILE

      Bettina amüsierte sich prächtig. Ausgelassen tobte sie zum pulsierenden Rhythmus der Musik über die überfüllte Tanzfläche. Der Schweiß lief ihr in Strömen über den Körper, und die Kleider klebten ihr am Leib, doch das störte sie kaum. Sie lachte ausgelassen und gab sich ganz der Musik hin. Während sie tanzte, lebte sie nur für den Augenblick und hatte all ihre Probleme und Sorgen vergessen.

      Als die Musik kurze Zeit später verstummte, blieb sie schwer atmend mitten auf der Tanzfläche stehen. Das nächste Stück, eine langsame Ballade, begann, doch sie hatte beschlossen, eine Weile zu pausieren und ihre Batterien aufzuladen. Sie schob sich durch die tanzende Menge und erreichte den Rand der Tanzfläche. Dort umstanden ihre Freunde einen hohen Stehtisch, auf dem ihre Getränke standen, beobachteten die Tanzenden oder versuchten, sich über den infernalischen Lärm hinweg zu unterhalten.

      Bettina stellte sich neben ihre Freundin Beate und griff nach ihrem Glas. Gierig trank sie die süße Mischung aus Weißbier und Cola.

      »Na, hast du endlich genug abgetanzt?«, schrie Beate ihr ins Ohr.

      Bettina stellte ihr Glas ab und nickte. »Fürs Erste schon«, rief sie. Sie löste das durchgeschwitzte T-Shirt mit den Fingern von ihrer nassen Haut und versetzte es in flatternde Bewegungen, um ihrem Körper etwas Kühlung zu verschaffen. Allerdings schien es in der ganzen Disco keinen einzigen Kubikzentimeter kühler Luft zu geben.

      Sie sah auf und bemerkte, dass Toni, der auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches stand, begehrliche Blicke auf ihre Brüste warf, die sich unter dem feuchten Stoff deutlich abzeichneten. Sie hob die Hand und zeigte ihm den Effenberg-Finger. Errötend senkte Toni den Blick und starrte in sein Glas. Bettina lachte laut, worauf sich Tonis Gesicht noch dunkler verfärbte, bis sogar seine Ohren zu glühen schienen.

      Bettina wusste, dass Toni auf sie stand. Er hatte es in einem unbedachten Augenblick nach dem Genuss von zu viel Bier ihrer Freundin Beate anvertraut und vermutlich darauf vertraut, dass sie es nicht weitererzählte. Natürlich hatte Beate die Neuigkeit ihrer besten Freundin sofort brühwarm berichtet, worauf beide in schallendes Gelächter ausgebrochen waren. Tonis Gesichtsfarbe hatte damals einen ähnlichen, vielleicht sogar etwas dunkleren Farbton angenommen wie heute. Leider entsprach Toni so ganz und gar nicht Bettinas Geschmack und den Vorstellungen, die sie von dem Mann hatte, mit dem sie zusammen sein wollte, ebenso wenig wie all die anderen Jungs, die sie bisher kennengelernt hatte. Deshalb war sie noch immer solo, obwohl es ihr an Verehrern – einschließlich Toni, die Träne, wie sie und Beate ihn heimlich nannten – nicht mangelte. Doch sie war geduldig und wartete lieber auf den Richtigen, auf den Mann ihrer Träume sozusagen. Und obwohl sie im Grunde gar keine Ahnung hatte, wie ihr Traummann aussehen musste, wusste sie dennoch, dass sie ihn sofort erkennen würde, wenn er schließlich vor ihr stand. Und bis zu diesem Augenblick, der ihrer Meinung nach unweigerlich früher oder später kommen musste, würde sie eben warten.

      Als sie von Beate in die Seite gestupst wurde, wandte sich Bettina ihrer Freundin zu.

      Beate brachte ihren Mund ganz nah an Bettinas Ohr, damit sie nicht so laut schreien musste, und sagte: »Wir wollen noch ins Astro fahren. Kommst du mit?«

      Bettina überlegte kurz. Das Astro gefiel ihr nicht so besonders, da dort nicht die Musik gespielt wurde, die ihr gefiel und zu der sie am liebsten tanzte. Außerdem sagte ihr auch das Publikum, das dort gewöhnlich verkehrte, nicht so zu. Sie wollte lieber hier bleiben und noch ein paar Runden tanzen. Daher schüttelte sie den Kopf. »Nein, ich bleib lieber hier.«

      Beate verzog


Скачать книгу