Ein moderner Lederstrumpf. Robert Kraft

Ein moderner Lederstrumpf - Robert Kraft


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Sie haben ja ein ganzes Gummilager draufgeklebt, das muss wieder herunter. Nein, Miss Howard, machen Sie sich keine Gewissensbisse, die überlassen Sie mir, und ich habe keine. Habe ich unrecht Blut vergossen, so komme es auf mein Haupt. Hier stehen wir unter den Gesetzen der Prairie. Die Männer wussten,was das Wort »Hände hoch!« bedeutet. Sie haben es riskirt, nach der Waffe zu greifen, und sie haben sich dabei verspekulirt. Hätte ich sie nicht tödtlich getroffen, ich würde mich in ihren Augen unsterblich blamirt haben. Die Ueberlebenden erstatten keine Anzeige, wissen gar nichts von so etwas; für sie habe ich auch nur recht und billig gehandelt, für sie bin ich ein tüchtiger Kerl, höchstens dass sie den Tod ihrer Kameraden zu rächen suchen. Da geht man ihnen einfach aus dem Wege. Also weg mit allen Kopfschmerzen. — So, der wäre geflickt, dieses Pflaster hält ewig.«

      Aufmerksam blickte Starke die noch immer Knieende an. Er mochte aus ihren glänzenden Augen und trockenen Lippen erkennen, was ihr vor allen Dingen fehlte, er zog die grosse Lederflasche aus der Tasche und schraubte den Stöpsel ab.

      »Haben Sie Durst? Trinken Sie. Es ist Thee mit Citronensäure.«

      Die Natur siegte über das Entsetzen. Ellen erhob sich, mit zitternden Händen griff sie nach der Flasche, setzte sie an und trank — und trank — und glaubte, noch nie solch ein Entzücken empfunden zu haben. Neues Leben durchrieselte ihren Körper.

      Starke hatte die Instrumente wieder geborgen. Jetzt durchschnitt er die Riemen des gefesselten Pferdes, sprang zurück, um von den Hufen des aufschnellenden Tieres nicht getroffen zu werden, es jagte davon, während die anderen drei ruhig dastanden. Er hetzte sie mit dem Lasso fort.

      Die Lederflasche fasste einen ganzen Liter, sie war voll gewesen. Mit einem Zuge konnte Ellen sie nicht leeren, tief aufathmend setzte sie ab, wollte sie zurückgeben.

      »Trinken Sie, trinken Sie«, ermunterte Starke, »es wird bald mehr Wasser geben, als wir wünschen. Wir müssen uns beeilen, eine möglichst grosse Strecke zwischen uns und diese Cowboys zu bringen. Tödten darf ich die Wehrlosen natürlich nicht, das ginge gegen mein Gewissen, gegen das Gesetz der Prairie. Die Beiden werden sich schliesslich doch zu befreien wissen, werden ihre Pferde oder andere wiedererlangen, vielleicht auch von Kameraden Hülfe bekommen, und dann werden sie uns verfolgen, und wenn der Regen den Boden aufweicht, sind uns die Berittenen überlegen. Machen Sie sich zur Abfahrt bereit.«

      Ellen hob ihr Rad auf, und als er zurückkam, reichte sie ihm die geleerte Flasche. Eines Wortes war sie noch immer nicht mächtig, nicht einmal eines Dankes. Sie wurde noch immer von dem schrecklichen Gedanken beherrscht, was ihr bevorgestanden hätte, wäre Starke nicht gekommen.

      Sie hatte die drohenden Anzeichen in der Atmosphäre noch gar nicht beachtet: Ein starker Wind blies aus Süden, wurde aber beständig durch noch stärkere Stösse aus Westen unterbrochen; zwei Windströmungen rangen um die Herrschaft, und im Westen stieg eine schwarze Wand mit schwefelgelbem Saume auf.

      »Sie müssen Vorspann nehmen, das geht doch nicht gegen die Bedingungen,« sagte Starke, als er die Lederjacke aufknöpfte, unter welcher auch er einen Lasso um die Hüften trug. Er wickelte ihn ausserhalb der Jacke um den Leib, nahm Maass, dass die Enden gleich lang wurden, und befestigte diese an den Lenkstangen ihres Rades, sie zum Aufsteigen auffordernd.

      Noch einen Blick in die starren Augen der Todten, auf die Gefesselten, welche ebenso unbeweglich dalagen, und die Fahrt auf dem zum Tandem zusammengekoppelten Räderpaar begann. Gleich im Anfange merkte Ellen, dass sie allein keinen Schritt vorwärts, gar nicht in den Sattel gekommen wäre. Der Boden war uneben, voll Buckel und Löcher; das sich um die Speichen wickelnde Gras hinderte ungemein; ein Windstoss von vorn bremste die Fahrt ganz ab, der von der Seite drohte sie umzublasen.

      Aber dort vorn der Mann, der mit dem Gesicht auf der Lenkstange lag, zog wie eine Dampfmaschine. Er mochte sich nicht zum Flieger eignen, dazu war er zu gross, zu schwer, sein Gang so langsam und wuchtig wie sein ganzes Wesen, aber für seine Durchtrittskraft schien es kein Hinderniss zu geben.

      So verging eine Stunde, und der lederne Lasso blieb straff wie Stahl gespannt. Ellen that ihr Möglichstes, ihm das Ziehen zu erleichtern. Der Westwind siegte, er wurde zum Sturm, es ging ihm direct entgegen, Ellen konnte nicht mehr athmen, noch viel weniger treten, und dennoch machten sie wohl noch 4 Meilen in der Stunde.

      Höher und höher stieg die schwarze Wand, sie überzog den ganzen Himmel, es wurde Nacht.

      Plötzlich trat eine völlige Windstille ein. Dieser Wechsel war zu unheimlich, als dass sich Ellen darüber hätte freuen können, und da ging auch schon ein Heulen und Pfeifen durch die Luft, ein furchtbarer Blitz erhellte die Nacht mit gleichzeitigem Donnerschlag.

      Mit einem Ruck wurde Ellen aus dem Sattel geschleudert, der schon abgesprungene Starke fing sie auf, etwas Weiches, Haariges wurde der halb Besinnungslosen in die Hand gedrückt.

      »Der Hurican!« schrie er ihr in's Ohr. »Mir nach! Laufen Sie um Ihr Leben! Halten Sie Hassans Schwanz fest!«

      Alle Elemente der Hölle schienen entfesselt zu sein, es heulte in allen Tonarten, ein einziges Feuermeer, ein ununterbrochenes Krachen und Schmettern. — Ellen verging Hören und Sehen, sie sah nur Starke mit weiten Sätzen rennen, über jeder Schulter ein Rad; sie rannte schon mit, ohne es zu wissen, den Hundeschweif krampfhaft gepackt, Hassan riss sie mit fort.

      Nur einige Minuten ging es so vorwärts, den Sturm von der Seite. Ein neues Flammenmeer zeigte ihr in der Ferne Bäume, und Starke stand.

      »Der Wald, der Wald!« schrie sie. »Dort sind, wir geborgen!«

      »Um Gottes Willen! Vorwärts, mir nach, jetzt fliegen wir mit dem Winde!«

      Er stürmte weiter, in einer anderen Richtung, und Ellen flog wirklich, ihre Füsse berührten kaum den Boden. Ein Hinderniss stellte sich ihr entgegen, es war eine Böschung, sie stürzte, wurde aufgerissen, einige Schritte getragen, wieder hingelegt, oder richtiger hingeworfen, sie fühlte Eisentheile, Speichen, sie lag neben den Maschinen.

      »Fürchten Sie nichts, die Gummidecke isolirt!«

      Es war das Letzte, was sie von seiner Stimme vernahm, Dunkelheit umgab sie, eine Decke legte sich über sie, dafür aber war das bisherige Krachen und Heulen der Elemente eine Kleinigkeit gewesen gegen das, was jetzt losbrach, unbeschreiblich, gleichzeitig stürzte eine schwere Last auf sie hernieder, es rauschte wie ein Wasserfall.

      »Der Weltuntergang!« Das war Ellen's letzter Gedanke, dann verliess sie, vor körperlicher und seelischer Erschöpfung und vor Entsetzen, das Bewusstsein. Doch es war keine krankhafte Ohnmacht, sie fiel in einen tiefen Schlaf.

— — — — — — — — — — — —

      Als sie wieder zu sich kam, fühlte sie sich auf weichem Heu gebettet, sie tastete abermals an Eisentheilen, und dass es so dunkel war, daran musste eine Decke schuld sein — oder es war Nacht. Das kräftige Mädchen brauchte nicht lange Zeit, um völlig bei Besinnung zu sein. Gleich erinnerte sie sich an Alles. Die Elemente wütheten nicht mehr, und sie befand sich noch am Leben. Zuerst gab sie sich allerdings einer behaglichen Empfindung hin. Sie fühlte sich wirklich so behaglich; sie lag so weich gebettet, es war so hübsch warm hier — und sie war dem Verderben entgangen.

      Ja, was war denn nun aber aus Starke geworden, aus seinem treuen Hunde, der sie zuletzt kraftvoll gezogen hatte? Sich jetzt dieser Behaglichkeit hinzugeben, das war ja der reine Egoismus.

      Sie lüftete die Decke, ein heller Lichtschein — sie schlug die Decke ganz zurück, eine tiefstehende, blendende Sonne — und da — Ellen traute ihren Augen nicht ....

      »Guten Morgen, Miss Howard. Haben Sie gut geschlafen? Ungefähr 14 Stunden sind's gewesen.«

      Dort im nassen Grase sass breitbeinig Starke, schnitt Stücke von einem kalten Rinderbraten ab, streute Salz darauf und schob die Bissen abwechselnd sich und dem neben ihm kauernden Hunde in den Mund, dies Alles auf einer kleinen Insel. Die Prairie hatte sich in einen unübersehbaren See verwandelt; nur hier und da tauchte der Gipfel eines höheren Hügels als Eiland aus dem Wasser.

      »Ja, was ist denn


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