Ein moderner Lederstrumpf. Robert Kraft

Ein moderner Lederstrumpf - Robert Kraft


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gut, der liess nichts zu wünschen übrig. Blicken Sie dorthin. Sehen Sie das Gestrüpp? Manchmal einen Baumstamm, Wurzeln und Aeste aus dem Wasser streckend. Das ist der Wald, in dem Sie gestern Zuflucht suchen wollten. Das dürfen Sie nie thun, wenn Gewitter und Sturm im Anzuge sind. Da bringt man selten ein Bein und einen Arm gesund wieder heraus.«

      Ellen erkannte das Werk der Zerstörung — ja, Alles zerschmettert, und sie selbst wäre es jetzt ebenfalls — und sie schauderte zusammen. Dann wanderten ihre Blicke zurück zu Starke. Sein lederner Anzug hielt das Wasser nicht, aber feucht war er doch, der Hund noch ganz nass, so nass wie das heuähnliche Gras.

      »Und Sie? Sie haben mich mit Ihrer Decke geschützt, während Sie die ganze Nacht im Regen und Sturm zugebracht haben! Sie beschämen mich.«

      »Oh, das macht uns nichts, über solche Kleinigkeiten sind wir erhaben,« erklang es gleichgültig zurück. »Erst habe ich beobachtet, wie die Blitze in das Wasser einschlugen, dann bin ich sanft neben Hassan eingeschlafen. Solch eine Gummidecke schaffen Sie sich in der nächsten Stadt auch an, man fühlt ihr Gewicht nicht und sie ist oft unentbehrlich; man sichert sich mit ihr ein trockenes Plätzchen, ehe es zu regnen anfängt, in der Kälte wärmt sie; gegen die Gefahr, vom Blitz getroffen zu werden, giebt es keinen besseren Schutz, und das hat besonders beim Radfahrer etwas zu sagen. Hier in der Prairie, wo meilenweit kein Eisen den Blitz ablenkt, hätten ihn unsere Räder unfehlbar angezogen. Nun frühstücken Sie erst, Proviant haben Sie nicht bei sich, nehmen Sie mit meinem Rinderbraten fürlieb. Als Getränk giebt es Regenwasser, aber auch mit Citronensäure gewürzt. Ich sehe inzwischen nach den Maschinen.«

      Er hatte sich erhoben und deckte ihr den Tisch, das zusammengelegte Gummituch, stellte die geöffnete Ledertasche daneben. Unverwandt schaute ihn Ellen an. Heiss stieg ihr das Blut aus dem Herzen in den Kopf, die Gedanken schneller jagen machend. Was hatte sie ihm nicht für Namen gegeben? Am ersten Tage war wohl »Sclavenseele« das letzte Wort gewesen. »Sie sind mir ein Ekel — unverschämter Mensch — aufdringlicher Gesellschafter.«

      »Mr. Starke, geben Sie mir Ihre Hand — schlagen Sie mir die Bitte nicht ab.«

      »Weshalb?«

      »Was wäre aus mir geworden, hätte ich Sie nicht gehabt. Verzeihen Sie, ach, verzeihen Sie meine Undankbarkeit.«

      Diesmal nahm er die ihm gebotene Hand, er drückte sie sogar.

      »Wenn Sie glauben, einer Verzeihung zu bedürfen, so gebe ich meine Hand gern. Zu danken brauchen Sie mir nicht, ich werde für meine Dienste bezahlt.«

      Schliesslich war er doch wieder derselbe. Immer kalt, immer zurückhaltend, ohne Herz. Aber sein Händedruck war dennoch herzlich gewesen. Er konnte eben nicht anders sprechen, und da dies Ellen erkannte, fühlte sie sich nicht gekränkt durch seine kühle Abweisung.

      Während sie es sich schmecken liess, ölte er die Maschinen und spannte die Ketten.

      »Das Wasser wird sich bald verlaufen haben, und sobald wir nur waten können, muss es sofort weiter gehen,« meinte er dabei. »Erst strömte es mächtig nach dem tieferen Norden, jetzt steht es so ziemlich; die festgebrannte Bodenschicht weicht auf, dann wird die durstige Erde schon schlucken, das Uebrige besorgt die Sonne. In einer Stunde wird Alles wieder trocken sein.«

      »Und so lange wollen wir nicht warten, bis es wieder trocken ist?« fragte Ellen, mit einigem Schaudern an eine Watparthie über den sumpfigen Boden denkend.

      »Erinnern Sie sich der beiden noch lebenden Cowboys, von denen wir nur 6 - 8 Meilen entfernt sein mögen. Vielleicht sind sie ertrunken — das belastete mein Gewissen sehr wenig, dann sind es eben Tölpel gewesen, die sich nicht zu helfen gewusst haben. Wahrscheinlich aber wussten sie sich eben zu helfen, Einer löste mit den Zähnen die Knoten des Anderen, auch ein Knebel hätte sie nicht lange daran gehindert, und ich möchte meinen Kopf darauf setzen, dass wir sie bald hinter uns haben werden. Verstehen Sie nun? Jetzt sitzen die auch auf einer Insel, und sobald sie die Möglichkeit haben, die ihrige zu verlassen, um ihre Kameraden aufzusuchen, müssen wir von der unsrigen herunter. Da ist jeder gethane Schritt unschätzbar. Von 100 Schritten kann unser Leben abhängen, ob wir z. B. dann die Räder auf einen guten Weg setzen können oder nicht, ehe wir in Schussweite ihrer Revolver sind.«

      »Oh mein Gott,« hauchte Ellen mit bleichen Lippen, »so sind wir also noch gar nicht ausser Gefahr.«

      »Machen Sie sich keine Sorge, so lange es nicht nöthig ist. Wir werden uns schon durchschlagen. Und wenn sie uns auch kriegen, zum Schiessen lasse ich es dann nicht kommen, und ausserdem habe ich immer noch allerlei Mittelchen in der Tasche. Denken Sie doch, es ist nicht das erste Mal, dass ich ein derartiges Abenteuer erlebe. Nun essen Sie, essen Sie; mit leerem Magen ist der Mensch nichts werth.«

      Wirklich, Ellen konnte noch immer mit Appetit essen. Solche Worte, so einfach und sorglos gesprochen, wirkten geradezu herzstärkend. Plötzlich schwand vor ihren Augen jede Gefahr. Was sollte sie denn auch fürchten, wenn sie diesen Mann an ihrer Seite hatte.

      Starke hatte sich wieder gesetzt, er band die breiten Lederstreifen ab, welche er als Gamaschen von den Fussgelenken an bis an die Kniee trug, und wickelte sie fester. Dass seine Stiefeln hackenlos waren, hatte Ellen schon bemerkt, und nun sah sie, dass er nur dünne Halbschuhe trug, richtige indianische Mokassins. Wahrhaftig, dann war dies ja ein ......

      »Mr. Starke, kennen Sie Cooper's Lederstrumpf?«

      »Natürlich kenne ich den, wenn auch nicht persönlich. Als Kind habe ich ihn mehrmals verschlungen. So,« er hatte jeden Mokassin noch besonders mit zwei kurzen Riemen am Fusse befestigt, »nun gestatten Sie, dass ich Ihnen die Beine auszureissen versuche. Halten Sie sich am Grase fest.«

      Fassungslos blickte Ellen den auf sie Zukommenden an. Dass er eine gute Portion Humor besass, Witze machen konnte, hatte sie schon mehrmals bemerkt, nur dass er nichts davon durch sein Äusseres verrieth. Gerade dadurch vielleicht wirkten seine trockenen Worte um so komischer. Was wollte er aber jetzt von ihr?

      »Halten Sie sich fest,« sagte er nochmals, und ehe sich Ellen versah, hatte er ihren Fuss in der Hand und riss aus Leibeskräften daran, nun hielt sich Ellen von ganz allein fest, und ebenso probirte er dann den anderen Fuss.

      »Fest sitzen die Schnürstiefel, Sie werden keinen im Sumpf stecken lassen. Ich rathe Ihnen aber doch, sich Gamaschen und dünne, hackenlose Schuhe anzuschaffen, wie ich sie benutze. Oder ich werde Ihnen nächstens ein Paar anfertigen. Diese starken Stiefel haben beim Radfahren gar keinen Vortheil, und Sie können in ihnen keine 80 Meilen marschieren, ohne sich wunde Füsse zu holen. Werden sie nass, bekommen Sie sie nicht aus und nicht wieder an. Gewöhnen Sie sich an meine Fussbekleidung; sie verbindet alle Vortheile. Lernen Sie wieder so laufen, wie eine weise Natur es uns vorgeschrieben hat, ohne Hacken. Die kleinen Menschlein wollen nur immer grösser erscheinen, als sie sind — besonders die Damen. Wenn Sie nun bereit sind, wollen wir den Wasserspaziergang antreten.«

      Ellen war bereit dazu. Er hing sich beide Räder, an denen er vorher seine und Ellen's Schusswaffen und Munition befestigte, über die Schultern, sie folgte ihm; das Wasser ging ihr fast immer bis an die Kniee, manchmal bis an den halben Leib, Hassan schwamm beständig.

      »Es ist immer noch besser als es in einer viertel Stunde sein wird,« sagte er mit schlechtem Trost, »jetzt ist der Boden wenigstens noch weich, dann aber, wenn kein Wasser mehr darüber steht, wird er uns wie mit Klammern festhalten. Doch das wird auch vorüber gehen. Können Sie schwimmen? Ja? So bitte ich Sie, als Pfadfinder vorauszugehen. Es ist doch wohl besser, wenn die Räder nicht unter Wasser kommen.«

      Das sah Ellen ein. Sie war sogar mit Vergnügen dazu bereit, wenn nur ein Loch käme, in dem sie ...... Da war sie auch schon verschwunden und als sie wieder auftauchte, festen Boden suchend, blies sie lustig und lachend das Wasser von sich.

      Das war es ja, was sie sich immer gewünscht, solche urwüchsige Romantik zu erleben, das könnte sie in England nicht haben. Schade nur; dass der Gedanke an die Cowboys die Harmlosigkeit des Abenteuers etwas trübte.

      Starke hatte Recht. Das Wasser schwand zusehends, der Boden mochte auch steigen; aus dem Waten im Wasser wurde ein solches im Schlamm, und jetzt kam erst die Anstrengung;


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