Les Misérables / Die Elenden. Victor Hugo

Les Misérables / Die Elenden - Victor Hugo


Скачать книгу
zu begehen, indem Sie Tag und Nacht das Haus für Jeden, der hinein wollte, offen ließen, und ob Sie nicht fürchteten, es könne ein Unglück geschehen in einem so mangelhaft gehüteten Hause. Der Bischof klopfte ihn mit mildem Ernst auf die Schulter und citierte: »Wenn der Herr nicht das Haus behütet, wachen die Hüter umsonst.

      Er behauptete gern, der Priester habe so gut seine Tapferkeit, wie der Dragoneroberst. »Nur muß unsere Tapferkeit, fügte er hinzu, eine ruhige sein.«

      VII. Cravatte

      Hier dürfen wir eine Begebenheit nicht unerwähnt lassen, die am deutlichsten die Charaktereigenthümlichkeiten des Bischofs von Digne erkennen läßt.

      Nach der Vernichtung der Räuberbande, mit der Gaspard die Schluchten bei Allioules unsicher gemacht hatte, flüchteten sich die Ueberreste unter der Anführung eines gewissen Cravatte in das Gebirge. Nachdem er sich eine Zeitlang in der Grafschaft Nizza verborgen gehalten, glückte es ihm nach Piemont zu gelangen, und von dort aus erschien er plötzlich wieder in Frankreich, in der Gegend von Barcelonnette. Zuerst wurde er bei Jauziers, dann bei Tuiles gesehen. Darauf versteckte er sich in den Höhlen des Joug de l'Aigle, und von dort aus rückte er durch die Schluchten der Ubaye und der Ubayette bis nach Embrun vor und räumte eines Nachts die Sakristei des Domes aus. Seine Räubereien verbreiteten Schrecken über das ganze Land. Aber vergebens heftete sich die Gendarmerie an seine Fersen: Er entkam immer und bisweilen ließ er es sogar auf einen Kampf ankommen. In die Gegend nun, die Cravatte beherrschte, kam eines Tages der Bischof auf einer Reise nach Chastelar. Der Maire suchte ihn auf und rieth ihm umzukehren. Cravatte durchstreife das Gebirge bis nach l'Arche und darüber hinaus. Selbst eine Eskorte biete keine genügende Sicherheit. Man setze nur das Leben der armen Gendarmen unnützen Gefahren aus.

      »Ich gedenke ja ohne Eskorte zu reisen,« erwiderte ihm der Bischof.

      »Das kann nicht Ihr Ernst sein. Bischöfliche Gnaden.«

      »Das ist so sehr mein Ernst, daß ich jede Begleitung entschieden ablehne und binnen einer Stunde aufbreche.«

      »Bischöfliche Gnaden wollen wirklich eine so gefährliche Reise unternehmen?«

      »Ganz wirklich.«

      »Und allein?«

      »Ganz allein.«

      »Bischöfliche Gnaden, das werden Sie nicht thun.«

      »Im Gebirge, erklärte der Bischof, ist eine bescheidne, ganz kleine Gemeinde, die ich seit drei Jahren nicht besucht habe. Es wohnen dort gute Freunde von mir, gutmüthige und rechtschaffne Hirten. Von dreißig Ziegen, die sie hüten, ist eine ihr Eigenthum. Sie verfertigen recht hübsche bunte Wollenschnüre und spielen Gebirgsmelodien auf der Flöte. Sie haben das Bedürfniß von Zeit zu Zeit das Wort Gottes zu hören. Was würden sie zu einem Bischof sagen, der sich fürchtet? Was würden sie sagen, wenn ich nicht zu ihnen käme?«

      »Aber denken Bischöfliche Gnaden denn gar nicht an die Räuber?«

      »Sie haben Recht, daß Sie mich an die erinnern. Ich könnte mit ihnen zusammentreffen. Auch sie haben es nöthig, daß sie etwas von Gott hören.«

      »Herr Maire, vielleicht will mich unser Heiland grade über diese Heerde zum Hirten einsetzen.« Wer kennt die Wege der Vorsehung?«

      »Bischöfliche Gnaden, das Gesindel wird Sie ausplündern.«

      »Ich habe ja nichts.«

      »Sie werden Sie totschlagen!«

      »Ei was! Einen harmlosen alten Priester, der seine Gebete murmelt? Was hätten sie davon?«

      »Mein Gott, wenn Bischöfliche Gnaden den Kerlen begegneten!«

      »Dann würde ich sie um eine milde Gabe für meine Armen ansprechen.«

      »Um des Himmels Willen, Bischöfliche Gnaden, reisen Sie nicht! Sie setzen Ihr Leben aufs Spiel!«

      »Weiter nichts? Ich bin nicht auf der Welt um mein Leben, sondern um die Seelen meiner Nebenmenschen zu behüten.«

      Man mußte ihn also gewähren lassen. Er brach auf ohne andre Begleitung als einen Knaben, der sich erboten hatte, ihn zu führen. Seine Hartnäckigkeit machte großes Aufsehen und erregte große Besorgnisse.

      Seine Schwester und Frau Magloire nahm er nicht mit. Er ritt auf einem Maulthier über das Gebirge, begegnete Niemandem und kam wohlbehalten bei seinen guten Freunden, den Hirten an. Er blieb vierzehn Tage bei ihnen, reichlich beschäftigt mit der Vollziehung seiner Amtspflichten. Kurz vor seiner Abreise beschloß er noch ein Tedeum abzuhalten und sprach mit dem Dorfpfarrer davon. Aber ach! Es war kein bischöflicher Ornat aufzutreiben. Ein paar alte verschossene Damastgewänder mit falschen Tressen war alles, was die ärmliche Dorfsakristei ihm zur Verfügung stellen konnte.

      »Gleichviel! sagte der Bischof. Herr Pfarrer, wir kündigen unser Tedeum trotzdem an. Die Sache wird sich schon machen.«

      Man hielt Umschau in allen benachbarten Kirchen, aber alle Herrlichkeiten, welche diese dürftigen Gemeinden hätten aufbringen können, würden nicht zur angemessenen Bekleidung eines Domkantors ausgereicht haben.

      Während man sich noch in vollster Verlegenheit befand, wurde von zwei unbekannten Reitern, die sich sofort wieder aus dem Staube machten, in der Pfarrwohnung eine Kiste für den Herrn Bischof abgegeben. Dieselbe enthielt einen Chorrock aus Goldstoff, eine mit Diamanten besetzte Bischofsmütze, ein Erzbischofskreuz, einen kostbaren Krummstab, Pontifikalkleider, überhaupt sämtliche Gegenstände, die vier Wochen vorher in der Notredamekirche zu Embrun gestohlen worden waren. In der Kiste lag noch ein Zettel, auf dem geschrieben stand: »Von Cravatte an den Herrn Bischof Bienvenu.«

      »Sagte ich's nicht, daß die Sache sich machen würde? triumphirte der Bischof. Wer sich mit einem Pfarrerrock bescheidet, dem sendet Gott ein Erzbischofsgewand.«

      »Gott – oder der Teufel«, entgegnete scherzend der Pfarrer, und schüttelte den Kopf.

      Der Bischof sah den Pfarrer fest an und wiederholte mit Nachdruck: »Gott.«

      Dieses Abenteuer hatte die Wirkung, daß er auf dem Rückwege und in Le Chastelar der Gegenstand der allgemeinen Neugierde war. Im Pfarrhause zu Le Chastelar traf er Fräulein Baptistine und Frau Magloire, die auf seine Rückkehr dort warteten, und sagte zu seiner Schwester: »Nun, hatte ich nicht Recht? Mit leeren Händen ist der arme Priester zu den armen Gebirglern gegangen und mit vollen Händen kommt er zurück. Ich nahm nur mein Gottvertrauen auf die Reise mit und bringe einen Domschatz nach Hause.«

      Am Abend, ehe sie sich zur Ruhe begaben, sagte er noch:

      »Fürchten wir nie die Räuber und Mörder. Die Gefahren, die uns von der Seite drohen, sind äußere, geringfügige. Fürchten wir uns vielmehr vor uns selber. Die Vorurtheile sind die wahrhaft gefährlichen Räuber, die Laster sind die Mörder. Die großen Gefahren lauern in uns. Gleichviel, wer unsre Habe und unser Leben bedroht! Denken wir nur an das, was unsre Seele gefährdet.«

      Dann, zu seiner Schwester gewandt, fuhr er fort: »Liebe Schwester, der Geistliche darf nie Vorsicht gegen seinen Nebenmenschen gebrauchen. Was unser Nebenmensch thut, läßt Gott zu. Beschränken wir uns darauf zu Gott zu beten, wenn wir glauben, daß eine Gefahr uns naht. Beten wir nicht für uns, sondern, daß wir nicht unserm Bruder Veranlassung geben in eine Sünde zu verfallen.«

      Im Ganzen war jedoch sein Leben arm an Ereignissen. Wir erzählen diejenigen, die zu unsrer Kenntnis gelangt sind; aber für gewöhnlich that er immer dieselben Dinge zu derselben Zeit.

      Was wurde aber aus dem Schatz des Domes zu Embrun? Wir gestehen, daß diese Frage uns in arge Verlegenheit setzt. Diese verführerischen Kostbarkeiten legten nur allzu leicht den Gedanken nahe, sie zu stehlen und zum Vortheil der Armen in bares Geld umzumünzen. Gestohlen war sie ja schon so wie so. Zur Hälfte war die Sache schon gethan; das gestohlene Gut brauchte blos noch eine andre Richtung einschlagen und nur die kleine Strecke zu den Häusern der Armen zu wandern. Etwas Positives können wir darüber freilich nicht behaupten. Es hat sich nur unter den Papieren


Скачать книгу