Les Misérables / Die Elenden. Victor Hugo

Les Misérables / Die Elenden - Victor Hugo


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      Tholomyès fuhr fort:

      »Quiriten, gentlemen, caballeros, Freunde! Wollet Ihr die Begierden des Fleisches dämpfen und Amor ein Schnippchen schlagen? So vernehmet folgendes Rezept: Limonade, viel Bewegen, Bachulken, schindet Euch, sägt Holz, schlaft nicht, schlagt Euch den Leib voll mit salpetrigen Getränken, Seerosenthee, Mohnmilch, Keuschbaumemulsionen, würzet diese Genüsse mit einer knappen Diät, dazu kalte Bäder, Kräutergürtel, Abwaschungen mit Bleibaumlikor und Weinessigumschläge.«

      »Etwas Weibliches ist mir lieber!« meinte Listolier.

      »Den Weibern ist nicht zutrauen! versetzte Tholomyès. Das Weib liebt Veränderung, ist falscher Art und wandelt gern krumme Wege. Wenn sie die Schlangen nicht leiden kann, so thut sie das nur aus Konkurrenzneid.

      »Tholomyées, rief Blachevelle, Du bist besoffen!«

      »Na ob! räumte Tholomyès ein.

      »Dann sei gemüthlich.«

      »Meinetwegen.« Er füllte sein Glas bis zum Rande und erhob sich von seinem Sitze. »Es lebe der Wein! Nic, te, Bache, canam. Verzeihung, meine Damen, daß ich spanisch spreche. Beweis hierfür ist der Spruch: Wie ein Volk ist, so ist sein Weinmaß. Die kastilische Arroba faßt sechszehn Liter, der Cantaro von Alicante zwölf, die Almuda der kanarischen Inseln fünfundzwanzig, der Cuartin der Balearen sechsundzwanzig, der Stiefel Peters I. von Rußland dreißig. Ein Lebehoch dem Zaren, der ein großer Mann war, und ein noch höheres seinem noch größeren Stiefel! Einen guten Rath, meine Damen! Irren Sie Sich, wenn es Ihnen paßt, küssen Sie einen Andern. Irren ist menschlich, und von Einem zum Andern zu irren ist lieblich. Meine Damen, ich verehre Sie Alle, O Sephine, o Josephine. Sie sind reizend, schade nur, daß ihr Gesicht ein wenig schief gerathen ist. Es sieht aus, als hätte sich einmal Einer aus Versehen auf ihren Kopf gesetzt, und seitdem sind Ihre holden Züge etwas verschoben. Was Favourite anbetrifft, o Nymphen und Musen! Eines Tages sah Blachevelle ein schönes Mägdelein über einen Rinnstein schreiten. Sie hatte weiße knappe Strümpfe an, was in den Strümpfen steckte, war schön, und es gefiel ihm, und er empfand Liebe. Sie hieß Favourite. O Favourite, Du hast jonische Lippen. Es war einmal ein griechischer Maler, genannt Euphorion, dem hatte man den Beinamen »der Lippenmaler« gegeben. Nur dieser Grieche wäre wert gewesen. Deine Lippen zu malen. Höre mich! Vor Dir gab es nichts Schönes auf Erden. Du verdienst den Apfel, den Paris der Venus gab, zu besitzen oder ihn aufzuessen wie Eva. O Favourite, ich höre auf Sie zu duzen, weil ich jetzt von der Poesie zur Prosa übergehe. Sie sprachen so eben von meinem Namen. Das hat mich tief gerührt; aber mißtrauen wir allen Worten und Namen. Es kann einer Reich heißen und sein Leben lang an unheilbarem Dalles kranken. Auch Ihnen, Fräulein Dahlia, möchte ich rathen, sich Rosa zu nennen. Die Rose riecht gut und der Wohlgeruch ist das Beste an der Blume, wie der Verstand an dem Weibe. Ueber Fantine will ich nichts sagen. Sie ist eine Träumerin, eine Denkerin, eine zarte Mimose; ein Schatten in Gestalt einer Nymphe und mit der Sittsamkeit einer Nonne, die als Grisette unter Grisetten lebt, aber sich in das Reich der Illusionen flüchtet, die singt und betet und zu der Azurbläue hinaufschaut, ohne zu wissen, was sie da sieht, und was sie thut; und ihre Augen über einen himmlischen Garten hinschweifen läßt, wo mehr Vögel herumfliegen, als es auf der Welt giebt, O Fantine. wisse: Ich Tholomyès, bin eine Illusion; aber sie versteht mich nicht, die blonde Tochter einer Chimaere. Im Uebrigen ist sie eitel Jugendfrische, Süßigkeit, Holdseligkeit, lichte Klarheit. O Fantine, Mägdelein du verdienst Margarete, das ist verdolmetscht Perle, zu heißen, denn du bist eine Perle von schönstem Wasser. Ein zweiter Rath, meine Damen. Heirathen Sie nicht. Die Ehe ist wie Pfropfreis. Es kann veredeln oder auch nicht. Vermeiden Sie dieses Risiko. Aber ach! ich rede in den Wind! Die jungen Mädchen können das Heiraspeln nicht lassen, und was wir Weisen auch reden mögen, wird keine Putzmacherin oder Schneiderin unterlassen von einem Diamantenprinzen zu träumen, der sie eines schönen Tages zum Ehegemahl erküren wird. Sei es drum; aber, Ihr Schönen, merket Euch folgende Lehre: Ihr esset zu viel Zucker, und dies ist ein großer Fehler, allerdings Euer einziger. Aber, Freundinnen, der Zucker ist ein Salz. Ein jedes Salz zieht das Wasser an und trocknet folglich aus. Der Zucker aber ist das austrocknendste unter allen Salzen. Er saugt die flüssigen Bestandtheile des Blutes auf; daher Gewinnung, dann Verdickung des Blutes; daher Tuberkulose und endlich der Tod. Deshalb ist die Zuckerkrankheit mit der Schwindsucht verwandt. Also naschet keinen Zucker, und Ihr werdet am Leben bleiben. Nun wende ich mich an das Mannsvolk. Meine Herren, machen Sie Eroberungen. Stibitzen sie sich gegenseitig Ihre Liebchen. Chassez-Croisez. In Liebessachen hört die Freundschaft auf. Handelt es sich um ein hübsches Mädchen, so sind die Feindseligkeiten eröffnet. Kein Pardon! Krieg bis aufs Messer! Ein hübsches Mädchen ist ein casus belli. In allen Invasionen der Geschichte spielt der Unterrock die Hauptrolle. Romulus hat die Sabinerinnen, Wilhelm die Angelsächsinnen, Caesar die Römerinnen geraubt. Der Mann, der nicht mit etwas Liebem versehen ist, schwebt wie ein Geier über den Liebchen Andrer, und ich für mein Theil rufe allen den Unglücklichen, die unbeweibt sind, Bonapartes großartige Proklamation zu: »Soldaten, Euch mangelt es an Allem. Der Feind hat Alles. Greift zu.«

      Tholomyès brach ab.

      »Verpuste Dich, Tholomyès!« rieth Blachevelle.

      Zu gleicher Zeit gab er der Rührung, die Tholomyès Weisheit in ihm erzeugt hatte, angemessenen Ausdruck, indem er, sekundirt von Listolier und Fameuil, ein erbauliches Lied anstimmte. Sinn hatte es nicht, denn es bestand aus zusammengewürfelten Wörtern; aber es wurde nach einer wehmüthigen, feierlichen Bänkelsängermelodie vorgetragen, die der weihevollen Stimmung des Augenblicks angepaßt war. Leider übte es keinen Einfluß auf Tholomyès, der wieder sein Glas füllte und fortfuhr:

      »Nieder mit der Weisheit und Vernunft! Vergeßt Alles, was ich gesagt habe. Ich bringe einen Toast aus auf die Freude! Gesellen wir dem Jus den Ulk und den Suff zu. Vermählen wir Justinian mit der Fidelität! Freue dich, Weltall! Ich bin glücklich. Wie die Vögel sich amüsieren! Sei mir gegrüßt, Sommer. O Parke und Gärten, wie schön seid ihr, mit euern döseligen Kommisjungen und allerliebsten Kindermädchen, die nicht blos die Kinder, die schon da sind, warten, sondern auch das Fundament zu anderen legen! Die Pampas könnten mir gefallen, aber ich ziehe die Arkaden des Odeons vor. Umarme mich, Fantine!«

      Er irrte sich aber und küßte Favourite.

      VIII. Tod eines Pferdes

      »Bei Bombarda ist es hübscher als bei Edon«, behauptete Sephine.

      »Bewahre!« entgegnete Blachevelle. »Edon ist luxuriöser eingerichtet. Fast asiatisch. Bei Bombarda sind die Messerhefte aus Silber, bei Edon aus Horn.«

      »Dort«, sagte Tholomyès und zeigte auf den Invalidendom, »sind Welche, die nicht für das Silber schwärmen. Diejenigen, denen man silberne Kinnbacken eingesetzt hat.«

      Nach einer Pause fragte Fameuil:

      »Wen ziehst Du vor, Descartes oder Spinosa?«

      »Desaugiers!« entschied Tholomyès, trank sein Glas aus und fuhr fort:

      »Ich habe nichts gegen das Leben einzuwenden. Es ist nicht alles zu Ende auf der Welt, so lange man noch Unsinn reden kann. Den unsterblichen Göttern danke ich dafür. Man lügt, aber man lacht. Man behauptet, aber man zweifelt. Aus dem Syllogismus entwickelt sich Unerwartetes, und das ist schön. Noch giebt es hienieden Menschen, die mit der Vexirschachtel des Paradoxes umzugehen wissen. Was Sie jetzt so gleichgültig trinken, meine Damen, ist Madeira, Coural das Freiras, das 317 Klafter über dem Meeresspiegel liegt, und diese 317 Klafter verkauft ihnen der splendide Restaurateur Bombarda für vier und einen halben Franken. Gepriesen sei Bombarda. Er könnte sich messen mit Munophis von Elephanta, wenn er mir eine Bajadere zulegen und Thygelion von Chäronea, wenn er mir eine Hetäre nachweisen könnte, denn, o meine Damen, es gab Bombardas in Griechenland und Aegypten. Dies theilt uns Apulejus mit. Immer dasselbe und nie etwas Neues! Das ist der Lauf der Welt. Nil sub sole novum, sagt Salomo. In der Liebe sind alle gleich! sagt Virgil.«

      So hätte Tholomyès noch lange schwabbeln können, wenn nicht draußen auf dem Pflaster plötzlich ein Pferd gestürzt wäre, was einen Auflauf verursachte. Bei dem Lärm liefen Alle auf die Fenster zu und Tholomyès verstummte.


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