Teufel Alkohol. Carl Betze
die sich der physiologische Prozess der Gewöhnung oder biologischen Toleranz anschließt. Unter biologischer Toleranz versteht man die Abnahme der Drogenwirkung bei wiederholter Einnahme. Sucht-Patienten kompensieren diesen Wirkungsverlust mit immer höheren Dosen. Ein weiterer Aspekt bei Süchten ist das Eintreten einer Gewohnheit: Der Substanz-Konsum gewinnt immer mehr Bedeutung und Funktion in verschiedenen Lebenslagen und Gemütszuständen. Sucht ist also keine Charakterschwäche, sondern eine Krankheit, die im Gehirn nachgewiesen werden kann.
Neben den erwähnten stoff-gebundenen Süchten existieren auch „Nicht-stoffgebundene Abhängigkeiten" wie Glücksspiel, Computerspiel- oder Internetsucht, aber auch Arbeitssucht oder Sexsucht. Krankhaftes Stehlen (Kleptomanie) oder Brandstiften (Pyromanie) werden medizinisch nicht zu den Suchterkrankungen gezählt. Diese Verhaltensauffälligkeiten werden als Störungen der Impulskontrolle zusammengefasst, der Patient kann seine Handlungen nicht bewusst steuern. Körperliche Abhängigkeitsanzeichen treten im Gegensatz zu den meisten Suchterkrankungen hier nicht auf (40).
Soviel zu Sucht und Abhängigkeit als solchen. Wie steht es aber nun um den Alkoholismus, eine spezielle Form der Sucht?
Alkoholsucht, also die Abhängigkeit von der psychotropen Substanz Ethanol, gilt weltweit als eine behandlungs-bedürftige Krankheit, weil der Abhängige sich meist nicht selbst aus der Abhängigkeit befreien kann (41).
Nach der Definition im ICD-10, das von der Weltgesund-heitsorganisation (WHO) herausgegebenen wird, sollte die Diagnose Abhängigkeit, gleichbedeutend mit Sucht, nur gestellt werden, wenn mindestens drei der folgenden Kriterien während des letzten Jahres vorhanden waren:
Starkes oder zwanghaftes Verlangen, Alkohol zu konsumieren (Fachterminus: Craving)
Verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich der Menge, des Beginns oder Ende des Konsums. Es wird regelmäßig mehr oder über einen längeren Zeitraum konsumiert als geplant oder es bestehen der anhaltende Wunsch und Versuche, den Alkoholkonsum zu verringern oder zu kontrollieren, ohne dass dies nachhaltig gelingt.
Körperliche Entzugserscheinungen bei Konsumstopp oder
Konsumreduktion
Nachweis einer Toleranz, um die gewünschte Wirkung hervorzurufen, sind zunehmend größere Mengen an Alkohol erforderlich
Einengung des Denkens auf Alkohol, eine Vernachlässigung anderer Interessen zugunsten des Alkoholkonsums
Anhaltender Substanzkonsum trotz gesundheitlicher und sozialer Folgeschäden für den Konsumenten, obwohl der Betroffene sich über die Art und das Ausmaß des Schadens bewusst ist oder bewusst sein könnte. Beispiele hierfür sind Leberkrankheiten wie Leberzirrhose, eine Verschlechterung der kognitiven Funktionen, der Verlust des Führerscheins oder Arbeitsplatzes, die Trennung des Lebenspartners oder der Rückzug des Bekannten- und Freundeskreises (42).
Von psychischer Abhängigkeit spricht man, wenn der Alkohol vom Betroffenen zur Steigerung des seelischen Wohlbefindens eingesetzt wird. Er fungiert gezielt als Problemlöser. Es geht nicht mehr um das Genießen eines Gläschens Wein in geselliger Runde, sondern um die Wirkung des Getränks auf den Körper (43).
Die psychische Abhängigkeit birgt die Gefahr, dass der Betroffene es sich zur Gewohnheit macht, immer häufiger zur Flasche zu greifen, dass er immer mehr Anlässe findet, die es, seiner subjektiven Empfindung entsprechend, wert sind, mit Alkohol bekämpft zu werden.
Auf die psychische Abhängigkeit folgt meist die körperliche.
Nimmt man eine chemische Substanz wie den Alkohol über längere Zeit hinweg zu sich, gewöhnt sich der Körper daran, es kommt zur Toleranzerhöhung: Um die gleiche Wirkung im Körper zu spüren, muss mehr Alkohol getrunken werden (44).
Wird die Alkoholmenge stetig gesteigert, kommt irgendwann der Punkt, an dem der Körper den Alkohol nicht mehr abbauen kann. Fortan behandelt er ihn so, als wäre er eine körpereigene Substanz und baut ihn in seine chemischen Prozesse ein. Ein Absinken des Alkoholspiegels im Körper führt nun dazu, dass die chemischen Prozesse des Körpers aus dem Gleichgewicht geraten, eine Störung, die der Alkoholabhängige als intensives Verlangen nach Alkohol erlebt. Er spürt Entzugserscheinungen wie innere Unruhe, Ängste und Schweißausbrüche und bekämpft diese erneut mit dem Konsum von Alkohol (45).
So ist aus einem nur psychisch abhängigen Problemtrinker ein nun auch körperlich abhängiger Alkoholabhängiger geworden.
Wie schnell die Entwicklung von der einen zur anderen Abhängigkeit voranschreitet, ist individuell verschieden und die Übergänge sind meist fließend (46).
Alkohol trinken, um Stress abzubauen, sich glücklich zu fühlen oder Sorgen zu verjagen – manche Menschen sind anfällig dafür, manche eher nicht.
Die Anlagen zur Sucht sind nach aktuellem Stand der Wissenschaft abhängig von den Genen, der Sozialisation und der Psyche (47).
Zunächst zu den Genen: Es gibt kein 'Abhängigkeitsgen'. Aber Wissenschaftler haben herausgefunden, dass Alkoholismus zum Teil genetisch bedingt ist und vererbt wird. Menschen mit bestimmten Genveränderungen trinken mehr und häufiger, berichteten Wissenschaftler des Nationalen Genomforschungsnetzes (NGFN). Sie entschlüsselten zwei Gen-Varianten, durch die Trinkgewohnheiten beeinflusst werden. Betroffene betränken sich im Schnitt doppelt so häufig wie andere Menschen und tränken bei jedem Anlass im Schnitt auch wesentlich mehr. Beide jetzt entschlüsselten Varianten im CRHR1-Gen sind nach Angaben der Forscher in der Bevölkerung weit verbreitet. Etwa jeder Fünfte beziehungsweise jeder Zehnte weise diese Veränderung im Erbgut auf.
Neben den CHHR1-Varianten gibt es noch viele weitere Gene, die, zusammen mit äußeren Faktoren, das Trinkverhalten beeinflussen.
Alkoholsucht wird zu 50-60% vererbt. Das zeigten auch Untersuchungen an Kindern, deren leibliche Eltern Alkoholiker waren, die aber in Pflegefamilien ohne Alkoholmissbrauch aufgewachsen sind. „Das Risiko, dass diese Kinder Alkoholiker werden, ist drei- bis viermal erhöht“, so Prof. Gunter Schumann, der am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim tätig ist (48).
In anderen Studien hat man herausgefunden, dass das Gen, welches für die Dopamin-Rezeptoren verantwortlich ist, bei Vieltrinkern aus der Reihe tanzt. Menschen mit in Unordnung geratenem Dopaminhaushalt sind kontinuierlich unterbelohnt. Was sie auch leisten, wie erfolgreich sie auch sind, das adäquate Wohlgefühl bleibt mäßig. Mit Alkohol hoffen Sie, eben diesem auf die Sprünge helfen zu können.
Neben den Genen ist auch die Sozialisation maßgeblich für eine Veranlagung zur Sucht. Von klein auf beobachtet man wie die Familie, wie das Umfeld, wie Menschen auf der Straße trinken und wie sich all' diese Menschen durch den Alkohol verändern.
Wird der Papa nach Bier und Schnaps kuschelig oder aggressiv? Sind die angetrunkenen 'Jecken' im Karneval lustig oder laut?
Findet man die beobachtete Wirkung erstrebenswert, steigt die Gefahr, dass Trinkverhalten nachzuahmen. Wirkt das, was man registriert hat, eher abschreckend, wird man eher Vorsicht um Umgang mit dem Alkohol walten lassen.
Nicht zuletzt kann auch die Psyche eine Veranlagung zur Sucht determinieren. Die häufigsten psychischen Merkmale bei Trinkern lassen sich dabei in drei Typen untergliedern.
Typ 1 ist zu schwach und feige, seine Interessen zu vertreten. Er ist ängstlich und verlogen. Manchmal platzt er nach innen (Depression) oder außen (Aggression), dabei will er eigentlich nur Ruhe&Frieden.
Immer schlecht behandelt fühlt sich Typ 2. Er sieht sich zu klein und zu machtlos, um das zu werden, was er gerne wäre. Trinkt er, ist er groß und stark.
„Ich bin super, aber keiner honoriert es“ rumort es in Typ 3. Er weiß, wo es langgeht, aber immer stellt sich ihm etwas oder jemand in den Weg (49).
Eine weitere wesentliche Determinante, die in die Abhängigkeit führt, ist das gewohnheitsmäßige Trinken.
„Alc as usual“ verändert die Nervenzellen im Lust- und Erfahrungszentrum des Gehirns so nachhaltig, dass das zentrale Nervensystem die Alkoholzufuhr nach einer gewissen Zeit zum Funktionieren braucht. Im Fachjargon bezeichnet man diesen Umstand als Neuroadaption.
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