Teufel Alkohol. Carl Betze
des Objektes der Begierde zu schauen, vom Anbahnen einer Unterhaltung ganz zu schweigen.
Nach einer Weile steht mein Freund auf und verabschiedet sich, um „nur kurz eine Kleinigkeit essen“ zu gehen. Als er sich nach circa dreißig Minuten wieder zu uns gesellt, bietet sich uns ein ganz anderes Bild: breit grinsend, den von der Band zu Gehör gebrachten Musiktitel mitsingend, stolpert er fast über die Holzbank und quetscht sich geradezu in die kaum vorhandene Lücke zwischen meiner Freundin und derer Bekannter, um unmittelbar das Gespräch mit beiden aufzunehmen.
Die Vermutung liegt nahe, dass er statt einer „Kleinigkeit essen“ am nächsten Tresen verweilt und eher flüssige Nahrung zu sich genommen hat.
Dass der Versuch, die Auserwählte an diesem Abend nachhaltig zu beeindrucken, kläglich scheitert, bedarf nicht der Erwähnung...
Frisch verliebt nehme ich eines Abends meine neue Herzdame zu einer Geburtstagsparty mit, man trifft sich in einem bekannten Kölner Stimmungslokal.
Als wir in dem Lokal feiern, verändert sich die Stimmung meiner Begleiterin schlagartig: Sie redet kaum, schaut mehrmals betreten auf den Boden und sieht einfach nur unglücklich aus. In diesem Lokal, bei dieser Musik und unter völlig unbekannten Menschen fühlt sie sich offenbar nicht wohl.
„Ich bin mal 'ne halbe Stunde weg“, sagt sie auf einmal, ich denke mir nichts dabei. Vielleicht ein wenig frische Luft schnappen, vielleicht ein wichtiges Telefonat. Um die fünfundvierzig Minuten später steht ein anderer Mensch vor uns: hoch erhobenen Hauptes, dabei lächelnd und sich rhythmisch zur Musik bewegend scheint meine neue Freundin den Abend auf einmal zu genießen. Auch das Gespräch zu meinen Freunden sucht sie nunmehr.
„Ich war kurz draußen am Kiosk, nüchtern kann ich diesen Laden nicht ertragen“ flüstert sie mir ins Ohr.
Das Selbstwerttrinken mag in manchen Situationen durchaus ein probates Mittel sein, um sich selbstbewusster zu fühlen, sicherer aufzutreten, „cooler“ zu wirken.
Selbstwerttrinker neigen jedoch manchmal dazu, immer mehr Situationen auszumachen, in denen sie sich selbstsicherer fühlen möchten.
Das birgt die Gefahr, dass sich der Selbstwerttrinker langsam, aber sicher in Richtung Gewohnheitstrinker entwickelt.
Bei dem Begriff „Schöntrinken“ denkt man unweigerlich an Karneval, an Ballermann und andere Lokalitäten, die mit „Bagger-Image“ versehen sind, also im Ruf stehen, aufgrund Ihres Ambientes die Kontaktaufnahme zum anderen Geschlecht zu fördern.
Der platte Männerspruch „die sauf' ich mir schön“, wenn es darum geht, der wahrgenommenen Attraktivität einer Vertreterin des anderen Geschlechts mit Alkohol auf die Sprünge zu helfen, ist allseits bekannt.
Das sprichwörtliche Schöntrinken gibt es nach Erkenntnissen britischer Wissenschaftler tatsächlich – und zwar nicht nur in Bezug auf die Attraktivität des jeweils anderen Geschlechts. Nach ein paar Gläschen fanden heterosexuelle Männer bei einer Versuchsreihe der Universität von Bristol sowohl Frauen als auch Vertreter des eigenen Geschlechts hübscher als vorher. Auch in den Augen von Frauen wurden Vertreter beider Geschlechter attraktiver (38).
Der Schöntrinker beeinflusst mittels Alkoholes dabei keinesfalls nur seine Wahrnehmung vom weiblichen Gegenüber, er merkt schnell, dass sein Prozedere auch in andern Lebenssituationen Erfolg verheißt und er sich vieles
schöntrinken kann, wenn nur der Pegel stimmt.
Eine Visite der nicht unbedingt heiß und innig geliebten Verwandtschaft wird infolge von Begrüßungssekt, Tischwein zum Essen und dem Schnäpschen danach durchaus erträglich.
Den Besuch einer Travestieshow, an der mich nun wirklich überhaupt nichts reizt, finde ich beinahe amüsant.
Sie sollten sich einmal nüchtern in die entsprechenden Situationen begeben. Ich habe es versucht. Nach dem Besuch der Verwandtschaft habe ich davon abgesehen, mich nüchtern dem heiteren Spott der Travestiekünstler auszuliefern...
Erst ohne den Einfluss von Alkohol erkennt man, was einem wirklich Freude bereitet und was eben nicht.
Ist der regelmäßige Alkoholkonsum zur Gewohnheit geworden, ist oftmals allein das schon Grund genug, weiter zu trinken, der Betroffene wird zum Gewohnheitstrinker.
Denn die Wirkung des Alkohols, in Maßen genossen, ist ja auch ohne die Probleme, die man mit selbigem bekämpfen will, eher angenehm als das sie uns stört. Und so vermisst man nach einer Zeit regelmäßigen Trinkens das wohlige Gefühl der Leichtigkeit des Seins, welches sich bereits nach recht geringen Mengen Alkohol einstellt.
Außerdem verbindet man gewisse Situationen des Alltags, beispielsweise das Abendessen oder das abendliche Fernsehen, unweigerlich mit dem Genuss von alkoholischen Getränken - oft fällt es schwer, diesen Gewohnheitszusammenhang aufzulösen.
Dazu kommt, dass manch' einer sich gar nicht bewusst ist, dass er viel beziehungsweise zu viel trinkt und dieser Gewohnheit weiter nachgeht, ohne überhaupt in irgendeiner Form darüber
nachzudenken.
Gerade Menschen, die ein durch Arbeit, Familie und Freizeitgestaltung ausgefülltes Leben führen, nehmen sich oft nicht die Zeit zur Selbstreflektion, sondern leben einfach in ihrem gewohnten Rhythmus weiter. Ist der Genuss alkoholischer Getränke erst einmal Bestandteil desselben, wird er, wie andere Bestandteile des täglichen Lebens auch, weiter fortgesetzt.
Das Einteilen alkoholgefährdeter Menschen in „Trinkertypen“
kann wertvolle Unterstützung bieten, wenn es darum geht, den Ursachen für einen übermäßigen Alkoholkonsum auf den Grund zu gehen.
Basierend auf diesem Wissen ist es dann möglich, entsprechende Ansatzpunkte zur Bekämpfung der möglichen Alkoholsucht des Betroffenen zu erhalten.
Doch was ist das eigentlich genau – Sucht? Und wie kommt sie zustande? Damit befassen wir uns im nächsten Kapitel.
05 – Sucht und Alkoholismus
„Wer je den Durst mit Bier gelöscht, wird wieder danach streben“
Man könnte annehmen, dass das Wort „Sucht“ etymologisch mit dem Begriff „suchen“ zu tun hat – weit gefehlt. Es hat seinen Ursprung im Wort „siechen“, also an einer Krankheit leiden.
„Sucht ist ein unabweisbares Verlangen nach einem bestimmten Erlebniszustand. Diesem Verlangen werden die Kräfte des Verstandes untergeordnet. Es beeinträchtigt die freie Entfaltung der Persönlichkeit und zerstört die sozialen Bindungen und die sozialen Chancen des Individuums.", so Klaus Wanke, mittlerweile verstorbener, früherer Sprecher des Wissenschaftlichen Kuratoriums der Deutschen Hauptstelle zur Abwehr der Suchtgefahren (39).
Süchtiges Verhalten kann ein jeder von uns entwickeln, denn jeder wiederholt gern, was ihm Wohlgefallen bereitet. Substanzen wie Tabak, Coffein, bestimmte Beruhigungs- und Schlafmittel wie Benzodiazepine oder Barbiturate, flüchtige Lösungsmittel und illegale Drogen wie Cannabis, Ecstasy, LSD, Kokain und Heroin (Opioide), und eben auch Alkohol besitzen allesamt ein Suchtpotenzial. Das bedeutet, dass möglicherweise bereits ihr einmaliger, in jedem Fall aber ihr mehrmaliger Konsum der erste Schritt in eine Abhängigkeit sein kann.
Aber warum wird man nach diesen Substanzen süchtig?
Kurzfristig wird mit dem Konsum eines Suchtmittels eine positive Wirkung erzielt, die oft als unbefriedigend empfundene Ausgangssituation wird scheinbar gebessert. Die anschließende „Ernüchterung" lässt einen Teufelskreis entstehen, der Wunsch nach einem erneuten Rausch rückt für den Betroffenen immer mehr in den Lebensmittelpunkt.
Eine Suchterkrankung basiert auf einer Fehlsteuerung des Belohnungssystems im Gehirn. Suchtmittel aktivieren verschiedene Botenstoffe, die zum Beispiel Wohlbefinden oder Euphorie auslösen. Dadurch lernt das Gehirn relativ schnell, ein bestimmtes Suchtmittel als positiven Reiz wahrzunehmen. Fehlt dieser Reiz, empfindet es eine Art Belohnungsdefizit – mit der Folge, dass der unkontrollierte Wunsch nach dem Suchtmittel entsteht.