In die grüne Tiefe hinab. Daimon Legion

In die grüne Tiefe hinab - Daimon Legion


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blickte direkt in die goldgelben Augen. Erst erschienen sie ihr lidlos und unbeweglich, fest auf die Beute fixiert. Doch endlich blinzelte er und sie funkelten lebendig. Allein seine Augen waren wirklich alt. Sie hatten viel gesehen. Viel erlebt. Und getötet. In seinem bohrenden Blick erkannte das Mädchen, was er war.

      Ein Jäger. Ein großer, starker, gefährlicher Raubfisch.

      Ein Ungeheuer, gegen das ein schwacher Mensch nie eine Chance hätte. Sie fühlte sich verloren. Ihm ausgeliefert. Er würde sie fressen oder gar Schlimmeres mit ihr anstellen und würde dabei noch nicht einmal Skrupel verspüren. Typisch für einen Dämon.

      Ein Grollen entwich seiner Kehle und Una sah hinter den schmalen, blutleeren Lippen nadelspitze Zähne blitzen. Fischzähne. Ein Mann gewordener Fisch.

      „Was machst du in meinem See?“, fauchte er sie wütend an. Das „meinem“ betonte er extrem deutlich.

      Sie schlotterte, doch nicht vor Kälte. Sein Körper lag auf ihrem und Una fühlte sein Gewicht. Fühlte den glatten, glitschigen, muskulösen Fischleib, in den sein humanoides Selbst nahtlos überging. Ein kryptozoologisches Wunder, der wirren Fantasie eines Kindes entsprungen.

      „Mach dein Maul auf!“, brauste er lauter auf und Una zuckte zusammen.

      „I-i-ich“, bekam sie schwer vor Angst die Worte heraus, „wollte nicht. J-jemand hat mich nach unten gezogen und ich bin er-ertrunken. Ich wollte nicht sterben!“ Ihre Stimme wurde recht weinerlich, an der Furcht erstickend, und Una begann sich zu schämen, dass sie es nicht verhindern konnte. „Ich wollte leben!“

      „Das sagen sie alle“, knurrte Sharik herzlos. „Jeder Wurm, den ich ertränkt habe, hat mir die Ohren vollgejammert, wie sehr er doch am Leben hing. Doch das kümmert mich nicht.

      In meinem See dulde ich niemanden neben mir.

      Du erzählst mir keine Lügen. Wenn du dich schon töten musstest, warum konntest du dir keine Kugel durch den Schädel jagen und an Land verrecken? Dann wärst du kein Problem für mich geworden!“

      „Ich lüge nicht! Ehrlich, ich bin nicht schuld daran!“, lag es jetzt an Una mit aller Kraft zu schreien, nur wesentlich verzweifelter und noch immer gedämpft vom Wasser. „Jemand hat mich nachts mit falschen Versprechen weggelockt! Zu deinem See! Und noch mal, er hat mich gepackt, hinuntergezerrt und erst wieder losgelassen, als ich am Ertrinken war! Ich hatte nicht vor, dir deinen Platz wegzunehmen! Und ich will auch gar nicht bleiben! Ich will wieder leben! Ich will zurück nach Hause!“

      „Leider ist das jetzt unmöglich“, sagte Sharik ungerührt und seine blauen Lippen verzogen sich zu einem boshaften Lächeln, „auch wenn es sehr in meinem Interesse läge, dich zurückzuschicken, glaub mir …“

      Er nahm eine nachdenkliche Haltung ihr gegenüber ein.

      Verlegen war er nicht. Seine Arme lagen verschränkt auf Unas Brust, sodass sie sich noch immer nicht erheben konnte.

      Hat der Kerl nie etwas von Abstand gehört?, dachte sie ärgerlich.

      „Doch nehme ich mal an“, begann er für sich laut nachzudenken, „du sagst die Wahrheit … Wer hätte dich töten sollen und wieso?

      Es ist zu früh im Jahr, die meisten Wassergeister schlafen noch. Die wenigen, die jetzt schon wach sind, leben weit ab von meinem See, außerhalb der Stadt. Und was hätten sie für einen Grund, mir eine jammernde, nutzlose Göre wie dich aufzuhalsen? Das ergibt keinen Sinn und ist den Aufwand nicht wert.

      Kann dich wirklich kein Mensch getötet haben?“

      „Er hätte einen Neoprenanzug tragen müssen. Und eine Sauerstoffflasche. Außerdem, welcher Mensch würde unter Wasser warten, bis ich vorbeikomme? Das ist Blödsinn!“, sprach Una überzeugend.

      Sharik schnalzte mit einer schwarzen Zunge und hob die nicht vorhandenen Brauen. „Das stimmt. Darauf hat keiner Lust. Noch dazu habe ich zig Taucher ertränkt. Genauso wie andere Schwimmer, Kinder wie Greise. Die Menschen der Stadt müssten eigentlich kapiert haben, dass besser niemand meinen See betreten sollte. Es sei denn, dieser Mensch will sterben.

      Und dann kommst du und wagst es, mein Territorium zu beschmutzen.“

      „Weil ich gelockt wurde – wie oft denn noch?!“, verlor Una die Geduld.

      „Wie wurdest du denn gelockt?“, fragte er, wenn auch nicht ehrlich an einer Antwort interessiert. An der Krallenhand stützte der Herr vom See sein Kinn auf.

      „Er hat mich in der Nacht gerufen. Und die Gestalt eines Freundes angenommen. Es war dunkel, ich konnte ihn nicht richtig sehen. Er sagte, ich sollte zum See kommen, er würde mich dort erwarten. Sein Rufen lockte mich näher ans Ufer. Dort griff er mich vom Wasser aus an.“

      Schweigend betrachtete er ihr Gesicht, als ob er nach einem Anzeichen der Lüge suchte. Ein Muskel im blassen Kiefer zuckte.

      Penina schwamm beiden zur Seite und richtete ihr Wort vorsichtig an Sharik: „Herr, bei allem Respekt. Ihre Schilderung klingt für mich überzeugend danach, dass es ein echter Wassergeist gewesen ist. Ich vermute fast, ein Fremder hat sich hier aufgehalten, während Ihr geschlafen habt.“

      „Ein Wilderer“, verstand der Herr es ebenso. Seine Augen funkelten gefährlich. Obwohl er innerlich zornig sein musste, blieb er nach außen ganz ruhig. „In dieser Gegend bin ich der mächtigste meiner Art. Mir gebührt Respekt. Wer sollte sich also eine solche Dreistigkeit erlauben? Und warum sollte er sie ertränken, wenn er sie nicht fängt?“

      „Vielleicht als Entschuldigung?“, war Peninas bescheidene Vermutung. „Möglich, dass es nur ein Unfall war? Vielleicht dachte er auch, Ihr würdet Euch einsam fühlen und sucht eine Partnerin -“

      Ein entschiedenes Fauchen ließ die Karausche eilig die Flucht ergreifen.

      Dann wandte Sharik sich wieder Una zu.

      „Solltest du das Opfer eines anderen geworden sein“, zischte er bissig, „werde ich diesen Wassergeist zerreißen. Ich werde meinen See nicht mit einer Nymphe teilen. Du kannst dann gern sein Gewässer übernehmen, aber du bleibst auf keinen Fall für immer hier!“

      Mit einem starken Ruck, der ihr glatt die Rippen hätte brechen können, stieß er sich von ihr fort und ließ sie aufstehen.

      Keuchend setzte sich die junge Frau auf und rieb sich das Brustbein. Ob sie das als Erfolg verbuchen konnte? Es klang für sie jedenfalls so, als wollte Sharik ihr helfen, ihren Mörder ausfindig zu machen. Und sei es nur aus Rache für eine unwillkommene Störung seines Friedens.

      Una betrachte ihn, wie er einige Schritte von ihr entfernt schwamm, abfällig über die grüne Schulter blickend. Ihm gefiel seine Nachgiebigkeit wohl wenig. Gutherzig wollte sie ihn nicht nennen, dazu erschien er ihr zu selbstgefällig.

      Sein langer Fischleib wand sich geschmeidig im Wasser. Schwarz geschuppte Streifen gingen von seinem Rückgrat aus, verliefen mit dem Dunkelgrün an seinen Seiten, bis sie heller wurden und im Weiß der Unterseite verschwanden. Fast blaugrüne Seiten- und Schwanzflossen machten ihn überaus wendig. Sein Körper war der eines Hechts. Ein gut zwei Meter langer Hecht.

      „Gaffe nicht!“, knurrte er sie mürrisch an und drehte sich von ihr weg.

      „Darf ich nicht?“, zickte das Mädchen zurück. „Ich habe hier unten so viele schräge Dinge gesehen. Da ist es doch mal erlaubt, dreimal hinzusehen.“

      Abfällig schnaufte Sharik über ihre Äußerung und zeigte ihr den gemusterten Rücken.

      „Du lässt mich also bleiben, bis wir meinen Mörder gefunden haben?“, wollte Una ihren Deal sicherheitshalber noch mal bestätigt wissen.

      „Muss ich ja“, grollte er ihr. „Du solltest mir besser dankbar sein, dass ich mich deiner erbarme. Andere hätten einen Schmarotzer wie dich davongejagt.“

      Über diese abwertende Beleidigung rümpfte sie die Nase, hatte allerdings auch keine Lust, sich mit ihm über das Verhältnis Mensch und Monster zu streiten.


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