In die grüne Tiefe hinab. Daimon Legion

In die grüne Tiefe hinab - Daimon Legion


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Und ich will davon erzählen, bevor ich ganz verschwinde.

       Meinen Namen hatte ich von meinem Vater bekommen. Sein Name war Marco und er arbeitete als Hausmeister bei der städtischen Wohngesellschaft. Ich fand, er war ein toller Vater – zwar nicht der beste der Welt, aber auch nicht der schlechteste. Ich konnte mich jedenfalls nicht über ihn beschweren. Er war ein riesiger Irland-Fan und mochte die Geistergeschichten von dort, weswegen für mich kein anderer Name infrage kam als ein irischer.

       Meiner Mutter hatte ich es zu verdanken, dass ich mich nie mit einer dieser schrägen Schreibweisen auseinandersetzen musste. Sie hieß Christine, war Bürokauffrau und immer die Überkorrekte in der Familie. Manchmal hatte mich das ganz schön genervt, aber zumindest brauchte ich ihretwegen den Leuten nicht ständig erklären, wie sie meinen Namen richtig auszusprechen hatten.

       Im Gegensatz zu vielen anderen Menschen, die etwas gegen ihre komischen Namen hatten, fand ich meinen schön. In unserer kleinen Stadt war er einmalig. Es gab ja überall zig Leonies, Marias oder Annas. Aber bloß eine Una.

       Als Kleinkind war ich total niedlich. Mein Haar war so dunkelbraun, dass es fast schwarz wirkte. Mit meiner blassen Haut und den blauen Augen, die mit der Zeit grünlicher werden sollten, war ich für die alten Damen im Wohnblock gern das Schneewittchen. Das hatte mir viele Extra-Süßigkeiten eingebracht und ich musste nie lange betteln, um zu bekommen, was ich wollte.

       Vielleicht hat mich das etwas verwöhnt. Okay, ganz sicher hat es das!

       Das verzogene Einzelkind. Niemand konnte mir lange böse sein, egal, was ich anstellte. Ich hielt es für selbstverständlich. Doch das war es nie.

       Nichts ist je selbstverständlich.

       Mit fünf bekam ich einen Bruder und alle nannten mich bald die große Schwester , was mich zunächst sehr stolz machte. Wie alle Kinder wollte ich schnell erwachsen werden und da kam diese Verantwortung wie gerufen. Ich dachte, es wäre witzig, kleine Geschwister zu haben … Bis die Windeln zum Himmel stanken und Kieran – wieder so ein außergewöhnlicher Name dank Papa – das halbe Haus zusammenschrie. Die ersten Monate fragte ich mich, warum ich mit diesem sabbernden Quälgeist bestraft wurde? Ich war es nicht gewohnt, plötzlich auf jemanden Rücksicht zu nehmen, der nur heulen, quietschen und kreischen konnte. Teilen wollte ich auch nicht und ich hasste es, wenn Kieran meine Spielsachen anknabberte oder sonst wie kaputtmachte.

       Doch irgendwann war seine Schreiphase vorbei. Nachdem er zu sprechen begann und ich ihn verstehen konnte, hielten mein kleiner Bruder und ich eigentlich zusammen wie Pech und Schwefel.

       Unser Familienleben konnte man harmonisch nennen. Ab und an gab es den üblichen Krach, allerdings war der auch bald wieder begraben. Mein Vater brach sich mal auf der Arbeit das Bein. Meine Mutter hatte einmal einen Auffahrunfall. Ich prügelte mich mit einem Jungen aus der Nachbarschaft. Kieran beschmierte im Kindergarten die Wände mit … na ja. Kleinigkeiten halt. Wir waren eine normale Familie. Relativ große Mietwohnung, alles Nötige in der Nähe, genug Geld – weder zu viel noch zu wenig. Ich wüsste nicht, dass es uns an etwas gemangelt hätte.

       Fast schon langweilig, oder?

       Ich kam mit sieben in die Grundschule. Sie machte mir zuerst Spaß. Ich konnte dem Unterricht folgen, hatte gute Noten und fand Freunde. Ich war nicht übermäßig beliebt, aber auch kein Außenseiter. Manchmal hatte ich Probleme mit den Jungs. Sie zogen die Mädchen gern an den Haaren oder Kleidern, und wenn mir das passierte, schubste ich zurück. Ich ließ mir nichts gefallen. „Auffällig“, nannten mich die Lehrer. „Wildfang“, sagte mein Vater und lächelte.

       Ich habe nie verstanden, warum sich Jungs und Mädchen am Anfang immer streiten müssen, wenn sie doch später zusammenfinden sollten. Belastet so was nicht eine Beziehung? „Ich weiß noch, was du für eine Kratzbürste warst …“ Klingt irgendwie dämlich. Woran merken wir Mädchen, dass Jungs nicht bloß blöde Hunde sind? Und wann merkten die, dass nicht alle Mädchen dumme Ziegen waren? Vielleicht könnte mal jemand etwas daran ändern.

       In der Mittelschule sah mein Enthusiasmus fürs Lernen schon sehr viel anders aus. Auch, weil Streber noch nie besonders gern gesehen waren. Warum hatte ich nur solchen Wert darauf gelegt, was andere von mir halten? Hatte ich es so nötig, mich nach anderen zu richten? Was war aus dem kleinen Wildfang geworden? Ein Fisch, der mit dem Strom schwamm, um nicht aufzufallen …

       Den Bildungsweg über das Gymnasium schlug ich aus, weil sich bei mir die Langeweile breitmachte. Ich tat das Nötigste für meinen Zensurspiegel, um keine Versetzung zu riskieren, aber das war auch schon alles. Nach dem Unterricht erledigte ich meine Hausaufgaben schnell und unsauber, um kurz darauf auf dem Bett zu liegen, Chips und Schokolade zu futtern und die „geilen“ neuen Videos auf meinem Smartphone zu checken. Klatsch im Internet – wenn du ihn nicht kanntest, warst du unten durch. Auch zog ich mit den damaligen Freundinnen um die Häuser; wir sprachen über Mode und süße Schauspieler und zockten per App mit Leuten, von denen wir niemanden wirklich kannten.

       Irgendwie ist die ganze Technik eine absolute Verschwendung von Zeit, oder? Ich dachte damals, es wäre spaßig. Cool, richtig stark und so erwachsen. Alle machten schließlich mit. Dabei hätte ich mehr auf Kieran achten müssen.

       Als ich dreizehn war, bekam ich meinen ersten Kuss. Von einem siebzehnjährigen Jungen. Wenn meine Eltern das je erfahren hätten, wären sie vielleicht strenger mit mir gewesen. Mama sah es lustigerweise nicht so eng, wenn junge Mädchen ihre heimlichen Erfahrungen machten. Vielleicht hatte auch sie geheime Dinge getan, von denen Papa nichts wusste. Er wäre wohl nicht so ruhig geblieben.

       Dieses Geheimnis wird meins bleiben. Nach zwei Wochen Geknutsche war eh Schluss. Teenagerliebe hält ja nie lang vor. Sie ist nur oberflächlich und leicht zu zerbrechen. Ich konnte mir zu dem Zeitpunkt nicht vorstellen, wie es wäre, jahrelang ein und denselben Partner zu haben. Was ist die Liebe überhaupt? Ich denke nicht, dass ich den Jungen sehr mochte …

       Leider werde ich nie alt genug sein, um von Jugendsünden “ s prechen zu können. Oder um die Liebe mit dem einen Mann gefunden zu haben.

       Mit vierzehn wurde ich echt ätzend und war ja so überzeugt davon, dass ich hübsch aussah. Trotz allem Süßkram war ich nicht aufgequollen wie ein Hefeteig und kein dürres Klappergerippe wie die Models in den TV-Shows. „ Kurvig“ , hatte mich ein Verehrer genannt und ich fühlte mich gut dabei, ohne mehr darüber nachzudenken, was das bedeutete.

       Es war mir sehr wichtig geworden. Das Aussehen für andere. Das Ansehen bei anderen. Gerade bei den richtig coolen Jungs. Ich zählte laut einem Highscore zu den schönsten Mädchen der Schule und hatte fast täglich einen ungeschickten Liebesbrief unter meinem Schreibtisch. Meine Beliebtheit gab meinem Wort auch mehr Gewicht. Wenn ich etwas zu sagen hatte, hörte man mir zu; egal, ob es klug oder dumm war. Ich hatte mehr Beachtung als der öde Streber oder der freakige Nerd, auch wenn die mehr vom Fach verstanden als ich. Aber wer cool war, hörte nicht zu.

       Warum habe ich nie etwas für sie getan? Warum habe ich nie etwas gesagt, wenn die anderen sie mobbten? Ich sah nur weg. Ich wollte nicht, dass die anderen dachten, ich gäbe mich mit diesen komischen Typen ab. Ich hatte einen Status zu verlieren.

       Wovor hatte ich Angst?

       Scheinbar vor dem Alleinsein.

       Die Außenseiter sind viel mutiger als ich.

       Eines Tages kam Florian in unsere Klasse. Er war vom Gymnasium abgegangen und alle Mädchen begannen gleich auf ihn zu fliegen. Groß, schlank, sportlich gebaut, denn er ging zum Schwimmen und machte außerdem Kampfsport. Intelligent, witzig, charmant.


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