In die grüne Tiefe hinab. Daimon Legion

In die grüne Tiefe hinab - Daimon Legion


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       Er brummte etwas Unverständliches, zog den zweiten Schuh aus und krempelte die Hosenbeine hoch. Dann stieg er mutig ins Wasser. Bis zu den Knien stand er in der Kälte und konzentrierte sich darauf, keine Miene zu verziehen. Doch schlussendlich war es zu viel und er hüpfte regelrecht zurück aufs Trockene. Fluchend rieb er seine rot angelaufenen Füße.

       Was sollte das denn? , fragte ich verwirrt.

       Ich wollte mal sehen, wie verweichlicht ich bin. Einige Leute gehen im Eis baden. Und ich komm gerade mal so weit …“

       Er schien zornig auf sich selbst zu sein.

       Ich fand das albern. Aber er war cool, er durfte das.

       Hey! , kreischte eine Stimme über den See. Wir zuckten zusammen.

       Ein alter Mann im braunen Anzug stand hinter uns. Er ging mit seinem Rauhaardackel spazieren.

       „I hr jungen Leute könnt wirklich keine Schilder mehr lesen, wie?! Baden ist hier nicht gestattet! , schimpfte der Alte streng.

       Er war nur kurz mit den Füßen drin! , erklärte ich.

       Trotzdem , wetterte der Alte weiter, sind schon genug Leute abgesoffen, die nicht hören wollten. Ist kein Spielplatz. Und barfuß gehen ist hier auch nicht gut. Schneidest dich bloß, Junge.

       Danke für die Sorge , gab sich Florian gelassen.

       Wir warteten, bis seine Füße etwas trockener für die Socken waren. Dann gingen wir zur Herberge zurück, bevor wir uns erkälteten.

       Mich kümmerte bald nicht mehr die Mahnung des Mannes. Immerhin verließen wir morgen die Stadt.

       Florian dagegen redete noch oft vom grünen See.

       In dieser letzten Nacht konnte ich nicht richtig schlafen. Ständig wachte ich auf. Mir war, als hörte ich immer wieder ein Rufen. Nicht meinen Namen, aber ein Rufen. Und doch war niemand außer meinen Mitschülerinnen im Zimmer. Sie schliefen alle, als ich aufstand, um auf die Toilette zu gehen.

       Draußen war es stockdunkle Nacht. Na ja, wobei in der Großstadt die Lichter nie ausgingen.

       Als ich fertig war, wollte ich eigentlich zurück ins Bett. Da hörte ich es wieder.

       Hey.

       Leise, fast geflüstert. Zu deutlich aber für eine Einbildung.

       Ich drehte mich um. Im Halbdunkel glaubte ich, am Ende des Flurs jemanden stehen zu sehen.

       Hey.

       Florian? , fragte ich nach.

       Ja.

       Ich wollte näher treten, doch sagte er: Leise. Sonst hört man uns.

       Ich blieb stehen.

       Was ist denn? , wollte ich endlich wissen. Sein heimliches Getue war merkwürdig.

       Erinnerst du dich an den See?

       Was für eine Frage. Wir waren doch erst dort gewesen. Was wollte er bloß mit dem See?

       Klar?!

       Wir treffen uns dort. Ich will mit dir den Mond ansehen.

       Den Mond?

       Ich sah nach draußen. Tatsächlich war der Mond beinahe voll. Vor lauter Lichtabfall hatte ich ihn erst gar nicht gesehen.

       Warum können wir ihn nicht hier - , doch er unterbrach mich.

       Er ist viel schöner am See. Viel heller. Zieh dich an. Wir sehen uns dort.

       Was soll das werden?

       Die Herberge ist abgeschlossen, und wenn die Lehrerin spitzkriegt - , versuchte ich den Unsinn seiner Bitte zu erklären, trotzdem schüttelte er widerspenstig den Kopf.

       Ich habe für alles gesorgt. Ich erwarte dich dann.

       Er trat tiefer ins Dunkel.

       Florian?

       Hatte ich geträumt? Er war verschwunden.

       Was sollte ich also tun? Zurück ins Bett? Ihm folgen? Er stand doch wirklich hier, nicht?

       Ich schlich mich zurück ins Zimmer. Alles schlief. Schnell zog ich mir meine Jeans über die kurze Schlafanzughose und einen blauen Pullover über das Shirt. Dann folgten noch Anorak und Turnschuhe. Ich musste verrückt geworden sein, um auf eine derartige Verabredung einzugehen.

       Vielleicht … wieso sagte er so etwas? Wofür hatte er gesorgt? Was hatte er am See geplant?

       Mir ging vieles durch den Kopf. Ein Kuss? Der Kuss eines Jungen, in den man richtig verliebt war, musste etwas Besonderes sein. Heiß und süß dachte ich ihn mir aus und mir wurde schwindlig.

       Ach was! Die Haustür wird eh abgeriegelt sein …

       Aber sie war es nicht. Sie stand offen. Hatte es geregnet? Auf dem Boden glänzten Wasserpfützen.

       Zögerlich verließ ich die Herberge, unsicher auf den Beinen. Mein Herz schlug vor Aufregung. Geradewegs rannte ich zum See. Die Nacht war kühl, der Frost biss mir in die Wangen. Ich hörte die nächtlichen Geräusche der Stadt, die heulenden Sirenen von Polizei und Krankenwagen, das Rufen der umtriebigen Menschen, das Knallen eines Feuerwerkskörpers. Die Laute wurden weniger, je näher ich meinem Ziel kam. Wo wir am Ufer gesessen hatten, war nichts zu sehen. Außer den alten Spuren unzähliger Füße im Sand. Der Mond schien hell und beleuchtete das stille Wasser.

       Hey! , vernahm ich wieder Florians Rufen. Es kam vom Wald her. Vom schwarzen, dunklen Wald. Langsam bekam ich Angst. Das Rauschen in den Bäumen war unheimlich. Der Wind blies wirklich kalt. Es war ja noch immer Winter.

       Mein Smartphone … lag vergessen im Zimmer. Ich hatte kein Licht.

       Hey! , rief es abermals leise aus dem Astwerk der Bäume.

       Ich ging einen schmalen Trampelpfad am Ufer entlang. Vorsichtig, denn er war steil. Ich wollte nicht fallen und wie ein begossener Pudel enden. Der Rückweg zur Herberge würde dann noch peinlicher als so schon werden.


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