Mord am Campus. Susan Carner
die wichtigsten historischen Sehenswürdigkeiten Bostons miteinander verband und plauderten über dies und das. Als sie klein war, erzählte er ihr Anekdoten über die einzelnen Stätten, bis sie alt genug war, die Geschichte der Stadt Boston und ihre Rolle im Unabhängigkeitskrieg gegen England zu verstehen. Stundenlang konnte sie im Granary Burying Ground verbringen, einem der ältesten und schönsten Friedhöfe Bostons, wo ihre Vorfahren begraben liegen. Sie konnte nicht genug bekommen von Erzählungen über die berühmten Personen, die dort bestattet sind. Ehrfürchtig stand sie vor dem Obelisken, der an die Familie Benjamin Franklins erinnern sollte und lachte fröhlich, als er ihr erzählte, dass seine zwei Vornamen auf Benjamin Franklin zurückzuführen seien, der in Boston geboren wurde.
Er lächelte, als er sich das fröhliche Gesicht der kleinen Lilly vorstellte. Nun war sie eine junge Dame und hatte andere Interessen. Letzte Woche hatte er mit ihr den Parteitag der Demokraten in Philadelphia verfolgt und die Ansprache Hillary Clintons, als sie ihre Kandidatur für die Präsidentschaft der Vereinigten Staaten annahm. Beide fanden sie, dass es eine großartige Rede war. Kämpferisch, allerdings auch selbstkritisch.
Sie hatten Hillary schon öfter persönlich erlebt, da wirkte sie wesentlich gelöster und lockerer als bei Ansprachen vor einer Menschenmenge. Ihr Mann Bill konnte die Massen begeistern, sie wirkte stets ein wenig kalt. Doch das war sie nicht. Im Gegenteil. Er hoffte so sehr, dass sie das Rennen machen würde. Und Lilly mit ihm.
Lilly, dachte er betrübt. Bald wird sie ganz ausgezogen sein. Hoffentlich findet sie einen jungen Mann, der ihrer wert war.
Um seine Traurigkeit zu bekämpfen, schenkte er sich einen dritten Scotch ein. Und seine Gedanken schweiften zu Deborah ... Sie hatte er gestern angerufen, als Caroline das Haus verlassen hatte.
»Hallo Deborah, heute Abend schon etwas vor? Oder hast du Lust auf einen kleinen Ausflug?«, hatte er sie mit seiner tiefen Stimme verführerisch gefragt.
»Woran denkst du denn so?«, hatte sie kokett geantwortet. So, wie sie es als Person ebenfalls war. Irgendwie Caroline ähnlich. Jedoch aufrichtiger und ehrlicher. Ihn faszinierte ihre ungenierte Art. Obwohl mit einem Kongressabgeordneten verheiratet, hielt sie sich nicht an die starren Konventionen. Seit fünf Jahren eine praktische Geliebte. Sie hatte keine Ambitionen, ihren wesentlich älteren Mann zu verlassen, denn über kurz oder lang würde sie ein Vermögen erben. Aber sie hatte viel Motivation, sich bis dahin trotzdem zu vergnügen.
Vor allem, da sie wusste, dass ihr Mann nach wie vor fremdging. Das schien in seinen Genen zu liegen. Schon sein Vater war als der größte Schürzenjäger der Ostküste bekannt, sein Sohn stand dem in nichts nach.
»Du wolltest doch schon mal in meiner Bibliothek ein bisschen schmökern. Heute Abend wäre sie frei«, hatte er ins Telefon gelächelt.
»Isst Caroline wieder mal auswärts?«, hatte sie spöttisch wissen wollen.
»Nein, sie hat mich verlassen«, hatte er kalt geantwortet.
»Das glaub ich jetzt nicht. Hat sie sich einen Reicheren geangelt?« Denn lange Zeit war es Deborahs größte Sorge gewesen, ihr Mann könnte sie für Caroline verlassen. Sie hatte ebenfalls einen Ehevertrag unterschrieben. Bei Scheidung gab es nichts. Gleich, wie die Schuldfrage lautete.
Ben hatte nie verstanden, warum Caroline mit dem alten Frank Williams ein Verhältnis begonnen hatte. Er war tattrig, ständig lief ihm Speichel aus dem Mund. Böse Zungen behaupteten, er träumte immerzu von jungen vollbusigen Frauen.
Caroline hatte wahrscheinlich gedacht, mit dieser Affäre könnte sie ihn besonders erniedrigen. Auch seine Mutter war jahrelang die Geliebte dieses Mannes gewesen. Es hatte seinem Vater fast das Herz gebrochen, denn der hatte seine Frau aufrichtig geliebt. Allerdings wurde seine Mutter bei der Wahl ihres Ehemannes nicht um ihre Meinung gefragt. Sie war William Warden schon in jungen Jahren versprochen worden, die Familien waren seit Generationen befreundet und heirateten gegenseitig. So war das bei der Ostküstenelite. Dass seine Mutter Frank Williams geliebt hatte, interessierte keinen. Frank war ein Möchtegern, wollte groß herauskommen und man hatte ihm unterstellt, dass er mit Hilfe der jungen und hübschen Mildred Fletcher seine Ziele erreichen wollte.
Er hat es auch ohne Mom geschafft, ging Ben durch den Kopf. Frank ist ein Arbeitstier und ein gerissener Geschäftsmann. Bald ist er reicher gewesen als die Familie meiner Mutter und meines Vaters zusammen. Ob Großvater sich manchmal geärgert hat, weil er Mom nicht ihren Willen gelassen hat?
»Ben? Bist du noch da?«
»Ja, ja natürlich. Entschuldige, habe mich etwas in Träumereien verloren. Nein, im Gegenteil. Es ist der neue Trainer aus eurem Fitnessstudio, von dem alle Ladys so schwärmen«, hatte er verächtlich erklärt.
Ein erfrischendes Lachen erklang in seinen Ohren. »Na, da wird sie ganz schnell wieder angekrochen gekommen. Der hat es auch bei mir probiert. Mehr als ein kurzes Abenteuer war er mir allerdings nicht wert. War mir zu süß, zu schmeichelnd. Außerdem taugte er als Liebhaber nicht viel. Der will nur ihr Geld.«
»Davon gehe ich aus. Sie hat mir schon verkündet, dass sie die Hälfte meines Vermögens möchte.«
»Und?«
»Keinen Cent mehr als notwendig bekommt sie. Und das nur wegen Lilly.«
»Na ja, vielleicht findet sie andere Sponsoren«, hatte sie gehässig gemeint.
»Wie sieht es aus? Lust auf einen Besuch bei mir?«
»Natürlich. Schließlich war ich bis jetzt nie in deinem Heiligtum. Kannst schon mal den Champagner kalt stellen.«
Er freute sich auf sie. Auch, dass er sie in seinem Haus empfangen würde. Noch nie hatte er Damenbesuch in seinem komfortablen Heim, aus Rücksicht auf Caroline, aber vor allem wegen Lilly. Er wusste, dass Caroline ihre Liebhaber in seinem Schlafzimmer empfing, das störte ihn allerdings nicht. Die Haushälterin hatte die Aufgabe, sein Bett jeden Abend frisch zu beziehen, kurz bevor er eintraf.
Es hatte nicht lange gedauert, und Deborah hatte an der Tür geläutet. Seinen Angestellten hatte er für diesen Abend frei gegeben, also öffnete er selbst. Sie war in einem Trenchcoat und High Heels im matten Schein der Gaslaterne von der Straße auf der mittleren der drei Stufen gestanden, die zu seinem eleganten Stadthaus führten. Er hatte sie hereingebeten, doch sie war stehen geblieben.
Überrascht hatte er aufgeblickt. Da hatte sie langsam den Gürtel ihres Trenchcoats geöffnet. Der war aufgeklafft. Und hatte eine hinreißende Frau in schwarzen Spitzen preisgegeben. Sie hatte die Reizwäsche getragen, die er ihr vor vier Jahren zu seinem Geburtstag geschenkt hatte, mit dem Wunsch, dass sie nur mit dieser Wäsche bekleidet in das Hotelzimmer nach New York zur intimen Feier kommen sollte.
Er hatte sie angelächelt. »Du hast es nicht vergessen.«
»Wie könnte ich«, hatte sie mit brüchiger Stimme geantwortet.
Ja, es war eine unvergessliche Nacht gewesen in New York. Fast hätte er sie damals gebeten zu bleiben, für immer. Aber wegen Lilly ...
Er hatte sie lange angeblickt, wie sie da im fahlen Licht stand und ihn herausfordernd anblickte. Doch da war noch etwas in ihrem Blick, das er nicht deuten konnte ...
So hatte er ihr die Hand entgegengestreckt, sie hatte ihre sanft in seine gelegt. Zart hatten seine Lippen ihren Handrücken berührt. Danach war sie in die Vorhalle getreten und hatte wie unbeabsichtigt ihren Mantel fallen gelassen.
»Also, wo geht´s zur Bibliothek?«, hatte sie forsch, doch immer noch leicht brüchig, gefragt.
»Wenn die Dame mir folgen möchte«, hatte er eine Verbeugung angedeutet und war vorausgegangen.
Dann war sie in der Mitte seines Heiligtums gestanden, sanft beleuchtet von seiner Leselampe.
»Du siehst zum Anbeißen aus«, hatte er geflüstert. »
»Dann beiß an«, hatte sie zurück geflüstert.
Er