Das Rubikon-Papier. Christoph Güsken
von Ihnen geplante Interview so etwas wie einen inhaltlichen Schwerpunkt?”
„Nun ja”, entschloss sich Kerkhoff zu einer direkten Antwort, „den gibt es in der Tat. Ich wüsste gern etwas über Dr. Eichendorfs zahlreiche Verbindungen zur Raumfahrtindustrie.”
Die Assistentin nahm ihren Kaffee in Empfang. Sie runzelte die Stirn. „Raumfahrtindustrie? Welche Verbindungen soll es da geben?”
„Genau darüber möchte ich ja gern mit Dr. Eichendorf sprechen. Und über Arca Nostra.”
„Würden Sie mir das bitte erklären?”
Kerkhoff verlor allmählich die Geduld. „Warum sollte ich das tun? Ich habe den langen Weg hierher gemacht, damit Dr. Eichendorf es mir erklärt. Und ich verstehe, ehrlich gesagt, nicht ganz, wieso er seine Sekretärin schickt, um mir damit …”
„Assistentin.”
In dem Moment wusste Kerkhoff, dass er verspielt hatte. „Also gut”, sagte er. „Assistentin.”
„Und ich hatte, ehrlich gesagt, für ein Interview mit dem Spiegel ein etwas höheres Niveau erwartet.”
„Na ja, Spiegel ...”
Frau van Basten musterte ihn mit unverhohlenem Misstrauen. „Sie sind doch vom Spiegel?”
„Ja, das kann man so sagen.”
„Also sind Sie es nicht?
„Im Prinzip schon. Sehen Sie, ich habe früher für den Spiegel das eine oder andere gemacht. Seit einigen Jahren bin als ich Blogger tätig und vertrete eine große Öffentlichkeit, die gern auch und ganz besonders über Vorgänge informiert werden will, die hinter den Kulissen ablaufen, wie zum Beispiel -”
Grit van Basten knallte die Tasse auf den Unterteller. „Das reicht mir. Es tut mir leid, aber für so etwas habe ich schlicht keine Zeit. Guten Tag.” Sie zog einen Geldschein aus ihrem Portmonee, ließ ihn auf den Tisch fallen und erhob sich. Wenige Sekunden später hatte sie das Café verlassen.
Kerkhoff bestellte sich jetzt doch ein Bier. Er ließ das kurze Gespräch Revue passieren und kam zu dem Schluss, dass es auch nicht viel geändert hätte, wenn er Frau van Basten nicht Sekretärin genannt hätte. Im Großen und Ganzen war er zufrieden. Eichendorf selbst hätte seine Fragen auch nicht beantwortet. Niemand plaudert Dinge aus, von denen niemand wissen soll. Aber wenn man wie ich lange genug diesen Job macht, dann weiß man, dass man die Leichen im Keller nicht findet, wenn man einfach so die Treppe hinunter stürmt. Und dass es in jedem Teppich mehr als ein Loch gibt, durch das man manchmal einen Blick auf die Dinge erhaschen kann, die unter ihn gekehrt werden.
Als er sich auf den Weg machte, war es schon früher Nachmittag. Er trat hinaus auf den Bürgersteig, atmete die Luft ein, die wieder nach Regen schmeckte. Als er zwischen zwei geparkten Autos auf die Straße trat, um sie zu überqueren, nahm er mit halbem Ohr ein Geräusch wahr. Es klang wie das Aufheulen eines Motors. Eine winzige Sekunde später quietschten in unmittelbarer Nähe durchdrehende Reifen.
Und dann raste etwas auf ihn zu.
3. Kapitel
Das Handy klingelte.
Dünn und aufdringlich piepsend verunglimpfte es ein Thema von Johann Sebastian Bach, einem genialen Komponisten, der das Glück gehabt hatte, lange vor der Erfindung der Telekommunikation zu sterben.
Hauptkommissar Nils Andersen hasste Mobiltelefone, in seinen Augen waren sie die Plage des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Die Menschheit glaubte sich im Rausch vollkommener und allgegenwärtiger Kommunikation. Spätere Generationen dagegen würden vom Untergang der Privatsphäre sprechen.
„Ich bin‘s, Tatjana. Hast du Zeit?”
Sie hatten sich vor kurzem getrennt. Tatjana nannte ihn, wenn sie mit anderen sprach, ihren Ex. Er fand, dass sie nicht seine Ex war. Für den Moment konnte man nur sagen, dass sie nicht zusammenlebten.
„Wie man‘s nimmt”, sagte er. „Wir sind auf dem Weg zu einem Tatort.”
„Es geht um Luise. Kann sie für ein paar Tage zu dir zu Besuch kommen?”
„Warum jetzt?”, entfuhr ihm. Schnell korrigierte er sich: „Natürlich, gern. Jederzeit. Ich verstehe nur nicht, warum, schließlich wollte sie bisher nie …”
„Da solltest du sie fragen.” Tatjana wartete.
„Also gut”, sagte er. „Wann?”
„Wie wär‘s mit heute Abend? Und am Mittwoch wolltest du doch sowieso zum Abendessen kommen. Elmar freut sich schon darauf, dass ihr euch endlich kennenlernt.”
Das war ihr Neuer. Elmar Stieleke. Dozent an der Uni, Kandidat der Linken für ein Landtagsmandat. Was ihre Lebenspartner anging, ging es für Tatjana klar nach oben: erst der Bulle, dann ein Linksintellektueller. Wie gern hätte er Tatjana die Freude gemacht und gesagt, dass die Freude ganz auf seiner Seite sei. „Also gut”, sagte er, „dann am Donnerstag.”
„Wir kochen auch was Leckeres, versprochen.”
Andersen unterbrach die Verbindung und steckte das Smartfone ein. „Das war Tatjana”, sagte er.
Hauptkommissar Frank Grunwald war zwei Jahre jünger als Andersen. Eingefleischter Single, der eine ganze Legion von Frauen seine Ex nannte. Andersen kannte ihn schon etliche Jahre als einen Mann, der heimlich dem Prototyp des US-amerikanischen Cop nacheiferte, was wahrscheinlich seinen Erfolg bei den Frauen ausmachte. Heimlich - weil er gleichzeitig für Filme schwärmte, in denen mutige Kommissare gegen die da oben und ihre Machenschaften vorgingen, und sich als Kämpfer für die kleinen Leute sah.
Es regnete in Strömen. Andersen machte eine Bemerkung über das lausige Wetter und schaltete die Scheibenwischer einen Gang schneller.
„Angeblich soll es ab nächste Woche besser werden“. Grunwald deutete nach links. „Musst du da nicht abbiegen?“
„Keine Ahnung.“ Andersen setzte den Blinker. „In dieser Nobelgegend kenne ich mich nicht aus.“
Sie bogen in eine Allee ein, die an der nördlichen Seite des Sees entlang führte. Schließlich hielten sie vor einer der Villen, deren Grundstücke direkt an die Grünanlage grenzte, die den See umgab.
Das Haus war weiß getüncht und trug ein Dach aus blankgeputzten blauen Ziegeln. Aufgrund seiner enormen Breite wirkte es wie ein Flachbau, obwohl es zweistöckig war. Den Vorgarten beherrschte ein mannshoher Granitklumpen, der an einen Grabstein erinnerte. Die Haustür stand offen.
„Nicht besonders schön, aber ein Palast“, kommentierte Andersen.
„Benno von Zabern“, erklärte Grunwald. „So heißt der Ermordete. Einer der wenigen Promis in unserer Stadt. Er hat Bücher geschrieben und Fernsehsendungen moderiert.“
„Sowas hätte ich auch machen sollen statt Bulle.“ Andersen trat ein und kollidierte mit Lingen, einem Beamten der Schutzpolizei.
„Folgt mir, Kollegen“, sagte der junge Mann.
Durch einen breiten Flur gelangten die beiden Hauptkommissare in ein großes Wohnzimmer, das wie der Leseraum einer Bibliothek wirkte. Hunderte von Büchern füllten die Regale, die bis zur Decke reichten. Der Schreibtisch stand mitten im Raum, mit Blick aus dem Fenster über den leicht abschüssigen Rasen zum See hinunter. Seine Schubladen waren herausgerissen worden und ihr Inhalt, lose Blätter, Disketten und Büroklammern auf dem Boden verteilt. Einen halben Meter von dem Chaos entfernt lag der Tote, ein schlanker Mann, schätzungsweise Mitte sechzig. Er trug Turnschuhe, eine blaue Jogginghose und ein kurzärmliges Sweatshirt. Unter den Achseln konnte man Schwitzflecken erkennen.
„Man hat ihn aus nächster Nähe erschossen“, erklärte Dr. Künzel, die Gerichtsmedizinerin, die neben dem Toten stand.